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Berliner wollen mehr Flüchtlinge aufnehmen

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Joachim Fahrun

Foto: Swen Pförtner / dpa

Die Vorbehalte gegen Flüchtlinge sind in Berlin eher gering. 72 Prozent der Bürger sind dafür, mehr Asylbewerber aufzunehmen. Anders sieht es aus, wenn das Heim in der Nachbarschaft liegt.

Die zwei bosnischen Familien stehen im Flur der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in der Turmstraße. Und weil sonst kein Platz mehr frei ist in Berlin, hat das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) die Menschen schon mal in Alt-Moabit notdürftig untergebracht, auf Feldbetten des Arbeiter-Samariterbundes. Eigentlich wollte Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) das ehemalige Vermessungsamt erst am Freitag als neues Flüchtlingsheim eröffnen. Nun mussten nach Angaben der Lageso-Sprecherin die ersten Bewohner schon einziehen, obwohl Küche und Duschen noch nicht fertig installiert sind.

Immer mehr Schutz suchende Menschen kommen nach Berlin. Und nach Ansicht einer übergroßen Mehrheit von drei Vierteln der Berliner sollte die Stadt auch weitere Flüchtlinge aufnehmen.

72 Prozent der 1000 Wahlberechtigten, die Infratest dimap zwischen 5. und 9. September für den Berlin Trend der Berliner Morgenpost und der RBB-Abendschau befragte, sind dieser Meinung. 23 Prozent sagten dagegen, Berlin solle keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Die Bereitschaft, Menschen in Not unterzubringen, ist quer durch alle Altersgruppen ähnlich ausgeprägt. Unter den Berlinern mit Abitur oder Fachhochschulreife ist sie aber noch einmal deutlich größer als bei den weniger gebildeten Bürgern. Fast neun von zehn (86 Prozent) sind für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge in der Stadt. Unter Bürgern mit Hauptschulabschluss oder mittlerer Reife sind es nur zwei Drittel.

Berlin will mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen

In Sachen Syrien will Berlin auch mehr Flüchtlinge aufnehmen als zunächst beschlossen. Syrer, die mindestens seit Jahresbeginn mit Aufenthaltserlaubnis in Berlin leben, sollen bald nahe Angehörige zu sich holen können, wie die Senatsinnenverwaltung am Donnerstag mitteilte. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) müsse dem Vorhaben Berlins aber noch zustimmen. Die in Deutschland lebenden Verwandten sollen sich allerdings verpflichten, Kosten für Unterbringung und Lebensunterhalt ihrer Angehörigen zu übernehmen.

„Neben der bereits beschlossenen Aufnahme von 5000 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen aus dem Bundesprogramm können wir damit auch im Bereich des Familiennachzugs eine Lösung für Menschen erzielen, die nachvollziehbar ihren Angehörigen im Krisengebiet helfen wollen“, erklärte Innensenator Frank Henkel (CDU).

Zu den engen Verwandten, die nach Berlin geholt werden können, sollen Ehegatten, Verwandte ersten und zweiten Grades sowie deren Ehegatten und minderjährige Kinder zählen.

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Zwischen den politischen Lagern bestehen jedoch messbare Unterschiede in der Flüchtlingsfrage. Jeder dritte CDU-Anhänger (32 Prozent) ist dagegen, weitere Asylbewerber aufzunehmen. Derart verbreiteten Widerstand gibt es ansonsten nur unter Nichtwählern oder bei den Unterstützern sonstiger Parteien. Wähler der SPD, Linken und Piraten sind zu drei Vierteln für mehr Großzügigkeit, unter Sympathisanten der Grünen sind fast alle (94 Prozent) dafür, mehr Flüchtlinge nach Berlin kommen zu lassen.

In der Stadt werden in diesem Jahr noch rund 1000 zusätzliche Asylbewerber erwartet. Hinzu kommen 250 Syrer, die als Kontingentflüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland nach Berlin kommen dürfen. Mit diesem Status erhalten sie schneller eine Aufenthaltserlaubnis als normale Asylbewerber, dürfen arbeiten und werden im Regelfall in Wohnungen untergebracht. In der ersten Zeit sollen sie auch möglichst zusammen untergebracht werden.

Die ersten Familien aus dem 5000 Köpfe umfassenden Kontingent für ganz Deutschland sind am Mittwoch in Hannover gelandet. Menschen, die nach Berlin zugewiesen sind, waren aber im ersten Flieger nicht dabei. Im Lageso erwartet man die ersten Flüchtlinge aus dem syrischen Kontingent erst in rund drei Wochen. Bisher wisse man nicht, wann die ersten für Berlin bestimmten Syrer ankommen werden, sagte die Lageso-Sprecherin. Zunächst würden alle Kontingentflüchtlinge aber 14 Tage im Aufnahmelager Friedland in Niedersachsen untergebracht, ehe sie in die jeweiligen Bundesländer weiter ziehen.

Flüchtlingsheim in der Nähe eher kein Problem

Weil es aber zwei paar Schuhe sind, grundsätzlich für die Aufnahme von weiteren Menschen zu sein oder mit einem Flüchtlingsheim in der eigenen Straße zu leben, haben die Demoskopen auch danach gefragt. Die Befragten hatten vier Kategorien zur Auswahl: ob sie ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft als sehr großes, als eher großes, als eher kleines oder als gar kein Problem sehen. Auch hier zeigt sich eine sehr ausgeprägte Toleranz der Berliner. Nur acht Prozent sehen eine Unterkunft in ihrem Kiez als sehr großes Problem an, 15 Prozent sagen, es sei ein eher großes Problem. Drei Viertel der Menschen sind eher entspannt: 39 Prozent halten ein Heim in ihrer Nähe für ein eher geringes, 34 Prozent für gar kein Problem.

Die Haltung der Berliner gegenüber Flüchtlingen in der Nachbarschaft ist signifikant weniger negativ als im Bundesdurchschnitt. Infratest dimap hatte vor zwei Wochen die Werte für ganz Deutschland erhoben. Demnach sieht jeder dritte Deutsche in einem Heim ein sehr großes oder eher großes Problem. Knapp zwei Drittel sehen das anders.

Über 60-Jährige sind tolerant

Während die Einstellung der Berliner zur Aufnahme von Flüchtlingen generell quer durch alle Altersgruppen kaum variiert, sieht es bei der konkreten Frage nach einer Unterkunft im eigenen Kiez anders aus. Vor allem die Jüngeren zwischen 18 und 29 Jahren haben relativ große Vorbehalte. 27 Prozent dieser Gruppe sehen das als großes oder eher großes Problem an, der Durchschnitt bei allen Befragten liegt bei 23 Prozent. Besonders tolerant sind die Älteren über 60 Jahre. Von ihnen halten nur 17 Prozent ein Heim in ihrer Nähe für problematisch. Insgesamt sind Frauen deutlich skeptischer gegenüber fremden Bewohnern in der Nachbarschaft als Männer. 26 Prozent sehen sehr große oder eher große Probleme, unter den Männern sind es nur 19 Prozent.

Die Analyse der Infratest-dimap-Experten erlaubt es auch, nach Wohnlagen zu differenzieren. In guten Wohnlagen, zu denen die Demoskopen die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf zählen, sind die Bürger gegenüber Flüchtlingen in ihrer Nähe zu 27 Prozent reserviert. Hingegen halten in einfachen und mittleren Wohnlagen, also den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg, Neukölln, Pankow, Spandau und Tempelhof-Schöneberg 22 Prozent die Präsenz von Asylbewerbern in ihrem Wohngebiet für problematisch. Ebenso ist das Stimmungsbild in den Bezirken mit gemischter Struktur, zu denen Mitte, Marzahn-Hellersdorf, Reinickendorf und Treptow-Köpenick zählen.

Nach politischer Einstellung betrachtet, sind die Vorbehalte unter CDU-Anhängern (34 Prozent) und Sympathisanten sonstiger Parteien (45 Prozent) am größten.