Im Zuge der Misshandlungsvorwürfe gegen Kinder- und Jugendheime in Brandenburg sind zwei Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Cottbus eingegangen. Eine beziehe sich konkret auf die Einrichtung in Jessern (Kreis Dahme-Spreewald), sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Freitag. Eingereicht habe sie ein ehemaliger Bewohner des Kinder- und Jugendheims. Zum Inhalt machte der Sprecher keine Angaben. Die zweite Anzeige sei allgemein formuliert und beziehe sich auf mehrere Vorwürfe zur Haasenburg GmbH, die die Heime betreibt.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus hatte keine Ermittlungen gegen den Betreiber von Heimen für Kinder und Jugendliche, die Haasenburg GmbH, aufgenommen. „Es gab in der Vergangenheit mehrfach Anzeigen“, sagte eine Sprecherin am Vortag. „Es kam aber nur in einem Fall zur Anklage.“ Dabei habe es sich um einen Betreuer gehandelt, der ein Verhältnis mit einem Mädchen begonnen habe.
Die Zeitung „taz“ hatte berichtet, dass in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH in den vergangenen Jahren mehrere Kinder und Jugendliche misshandelt worden sein sollen. Der Betreiber weist das zurück. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen die Zeitung um die Akten gebeten. „Wir hoffen auch, dass der Kontakt mit den Betroffenen zustande kommt“, sagt die Sprecherin. „Nur so kommen wir weiter.“
Die Heime liegen fernab im Brandenburgischen. Eines in Müncheberg im Landkreis Märkisch-Oderland, die anderen beiden idyllisch in Jessern und in Neuendorf im Unterspreewald direkt am See. Doch die Kinder und Jugendlichen, die hier wohnen, sind nicht zur Erholung dort. Sie stammen größtenteils aus schwierigen Familienverhältnissen.
Wer hierher kommt, hat meist schon die ganze Jugendhilfe-Palette durchlaufen. Wer hier Betreuer ist, muss besonders viel Kompetenz mitbringen. Mittlerweile werden immer mehr Vorwürfe laut, wenn auch anonymisiert. Dabei gerät nun auch das Brandenburger Bildungsministerium unter Erklärungsdruck.
Denn laut der Protokolle, die der „taz“ vorliegen, wusste das Brandenburger Landesjugendamt über „Knochenfrakturen bei drei weiblichen Insassen des Heimes“ Bescheid. Die Regierungsfraktionen von SPD und Linke und die Opposition haben wegen der schweren Vorwürfe jetzt eine Sondersitzung des zuständigen Ausschusses im Potsdamer Landtag beantragt.
Angebliche Knochenbrüche
Frühere Heimbewohner hatten in der „taz“ ohne Nennung ihrer Namen berichtet, Kinder und Jugendliche seien bereits bei kleinen Verstößen drakonisch bestraft worden. Das Anti-Aggressions-Training sei manchmal so brutal verlaufen, dass Knochenbrüche entstanden. Einem Mädchen, das sich wehrte, sei der Arm gebrochen worden.
Kinder seien darüber hinaus auf Fixierliegen angeschnallt worden, obwohl dies so laut einer Auflage des Landesjugendamts von 2010 verboten sei. Außerdem sollen Medikamente verabreicht worden sein, die erhebliche Nebenwirkungen haben. Die „taz“ hat nach eigener Darstellung mit neun Jugendlichen gesprochen, die in der Haasenburg waren. Sie alle fordern laut „taz“, das Heim zu schließen.
Der Betreiber wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Bei uns werden keine Kinder gequält“, sagt Hinrich Bernzen. Er ist für die Außenkommunikation der Haasenburg GmbH zuständig. „Die behaupteten Körperverletzungen und Menschenrechtsverletzungen gibt es bei uns nicht.“ Bernzen fordert die in der „taz“ zitierten Betroffenen auf, sich zu melden. „Wir sind dabei, die geschilderten Fälle anhand der Unterlagen zu prüfen.“
„Die Haasenburg ist kein Knast“
Die Regeln in der Einrichtung seien nicht vergleichbar mit anderen Jugendhilfe-Einrichtungen. „Zu uns kommen Kinder und Jugendliche, bei denen bis zu zehn andere Maßnahmen nicht funktioniert haben“, sagt er. Es handele sich vielfach um Intensivtäter, die andere gefährden, oder auch um „junge Menschen, die sich selbst gefährden“. „Die Haasenburg ist keine geschlossene Unterbringung, keine psychiatrische Einrichtung und auch kein Knast“, sagt er.
Doch auch das Bildungsministerium ist inzwischen in der Kritik: Als die Vorwürfe am Wochenende publik wurden, sagte dessen Sprecher Stephan Breiding, sie seien dort nicht bekannt. Das Landesjugendamt stehe aber in engem Kontakt mit der Einrichtung, es gebe regelmäßig Überprüfungen. Mittlerweile aber stellt sich laut „taz“ heraus, dass dem Jugendamt die belastenden Protokolle vom Vorgehen der Betreuer bekannt sein müssen – und damit auch die Knochenbrüche.
„Von Knochenbrüchen hatten wir vorher noch nichts gehört – das wäre eine Körperverletzung“ , sagt Breiding jetzt. Zur Aufklärung sei das Ministerium aber auf konkrete Aussagen angewiesen. Die Behörde richtete deshalb eine Telefon-Hotline ein (0331-8663701). Dort haben sich laut Breiding bis Donnerstagabend bereits mehrere Betroffene gemeldet. Das Ministerium hat angekündigt, eine unabhängige Kommission zur Aufklärung der Vorwürfe einzusetzen.
Landtagsabgeordnete fordern jetzt, die Staatsanwaltschaft müsse sofort ermitteln. Nach Angaben der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Bettina Fortunato (Linke) sind im Landtag Petitionen eingegangen, die eine Schließung des Heimes fordern. Der Ausschuss werde sich voraussichtlich am 23. Juli damit befassen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, müssten die Einrichtungen geschlossen werden, verlangt die Linke-Politikerin.
Berlin fordert Aufklärung
In den drei Heimen in Brandenburg werden derzeit 79 Kinder und Jugendliche ab 10 Jahre betreut. Davon 56 Kinder aus 14 Bundesländern nach der sogenannten richterlichen „Genehmigung von freiheitsentziehenden Maßnahmen“ , also in geschlossener Unterbringung. Nur Schleswig-Holstein und Bremen haben keine Jugendliche geschickt. Aus Brandenburg sind es sechs, aus Berlin drei Kinder.
Auf Anfrage der Berliner Morgenpost teilt die Bildungssenatsverwaltung mit, dass die bezirklichen Jugendämter von Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte und Tempelhof-Schöneberg derzeit jeweils ein Kind in einer Einrichtung der Haasenburg untergebracht haben. Anlässlich der Berichterstattung habe die Senatsverwaltung die Jugendämter um Überprüfung gebeten, ob die Unterbringung notwendig ist und das Kindeswohl gefährdet ist, sagt der Sprecher der Bildungssenatsverwaltung, Torsten Metter. Diese teilten mit, dass „immer eine starke Selbst- und Fremdgefährdung Anlass für die Unterbringung in der Haasenburg ist“. In allen Fällen seien mehrere Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder anderen -Einrichtungen vorausgegangen, so Metter.
Nach Auskunft der Bezirke wurde der Hilfeplan durch Besuche vor Ort regelmäßig überprüft. „Dabei gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rechte der Jugendlichen nicht beachtet wurden.“