Berlin ist eine Insel

Die Insel der Jugend ist ein Ruhepol in der Großstadt-Hektik

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Regina Köhler

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Die 1,8 Hektar große Insel der Jugend in Treptow ist ein Ort für Familien. Große Konzerte sind auf der Insel der Jugend verboten, dennoch gibt es Kultur für Besucher. Unsere Insel-Serie, letzter Teil.

Es riecht nach Wasser. Die Vögel zwitschern. Kleine Motorboote blubbern vorbei, Paddler und Ruderer ziehen ihre Bahnen. Hin und wieder fährt ein launiger Sommerwind in die alten Erlen am Flussufer. Auf der Treptower Insel der Jugend kann man im Inselgarten in Liegestühlen sitzen oder an Gartentischen Kaffee trinken. Abends, wenn es aussieht, als würde die Sonne in den Treptower Park fallen, gibt es Kino und Musik.

Ricarda breitet die Arme aus. „Was für ein schöner Arbeitsplatz“, ruft sie. Die junge Frau mit der blonden Hochsteckfrisur ist gut gelaunt. Sie sieht entspannt aus, fast so, als wäre sie in der Sommerfrische. Dabei haben sie und ihr Geschäftspartner Renaldo viel zu tun bei diesem schönen Wetter. Seit 2010 führen die beiden einen Bootsverleih auf der Insel. „Kanuliebe“ haben sie ihr Unternehmen genannt.

Das Besondere an den Booten ist die Bemalung, die Ricarda und Renaldo – beide sind Designer – selbst gemacht haben. Besonders sind aber auch die Tretboote, die man sich hier ausleihen kann, alles Bötchen aus den 50er- und 60er-Jahren. Ricarda und Renaldo haben sie in ganz Deutschland zusammengekauft. Ihre neuste Anschaffung ist ein rosa Exemplar aus dem Jahr 1961, gefunden bei einem Bootsverleiher in der Nähe von Kassel.

Nun wartet das rosa Schiffchen an der Insel der Jugend auf Kundschaft. „All unsere Boote sind für längere Touren geeignet“, sagt Renaldo. Es gehe darum, die Menschen zu bewegen, sich Zeit zu nehmen und die Stadt zu erkunden. Dieses Ziel hätten auch ihre geführte Wasserwandertouren. „So eine Fahrt kann schon mal vier bis fünf Stunden dauern“, sagt Renaldo. Ein Hit sei der „Neukölln Explorer“: vier Stunden, viele Kanäle, Wissenswertes über den Bezirk.

Das Schmuckstück ihrer Flotte

Ricarda und Renaldo kamen 2001 nach Berlin, sie aus dem Rheinland, er aus Sachsen. Beide hatten ein Atelier am Kreuzberger Urbanhafen gemietet. Wegen der Wassernähe haben sie sich damals ein Kanu zugelegt, das Renaldo irgendwann bemalt hat. Heute ist es das Schmuckstück ihrer Flotte: Auf gelbem Grund sind schwarze Muster und der Kopf eines Fabelwesens zu sehen. „Mit unserem Boot sind wir nie sehr weit gekommen, ohne dass uns jemand angesprochen hat“, erzählt Ricarda.

Sie wurden gefragt, woher das schöne Kanu stamme und ob man es mieten könne. „Das hat uns auf die Idee gebracht, einen Bootsverleih aufzumachen, mit selbst gestalteten Booten.“ Doch magische Boote benötigen auch einen magischen Ort. Auf der Suche nach einem Hafen für ihre Kanus sind die beiden eines Tages an der Insel der Jugend vorbeigepaddelt.

Der Zufall wollte es, dass gerade ein neuer Pächter den dort ansässigen Jugendklub übernommen hatte. „Wir haben uns sofort in diese Insel verliebt und die Macher vom Jugendklub gefragt, ob wir mitmachen können“, sagt Ricarda. Sie kann viel über die Geschichte „ihrer“ Insel erzählen. „Dass das Eiland überhaupt eine Insel wurde, haben wir dem Rixdorfer Ziegeleifabrikanten Emil Heinicke zu verdanken“, sagt sie. Er habe Ende des 19. Jahrhunderts das winzige Stück Land gekauft, es mit Schutt aus seiner Fabrik auffüllen lassen. „So erfüllte er sich den Traum von einer eigenen Insel, von dem auch wir noch etwas haben.“

Viele Namen für ein kleines Stück Land

Die Insel der Jugend liegt zwischen Treptower Park und Plänterwald, direkt neben der Halbinsel Stralau. Das kleine Stück Land hatte schon viele Namen. Es hieß Rohr-Insel und Neu-Spreeland. Schließlich wurde zur Gewerbeausstellung 1896 ein Restaurant im Stil einer schottischen Klosterruine errichtet, was der Insel den Namen Abteiinsel einbrachte. Das Lokal brannte 20 Jahre später ab. 1949 wurde die 1,8 Hektar große Fläche zur Insel der Jugend.

Seit den 50er-Jahren wird das Brückenhaus auf der Insel als Kulturhaus und Jugendklub genutzt. Zu DDR-Zeiten fanden dort, aber auch auf der großen Wiese im Zentrum der Insel, legendäre Rockkonzerte statt. Das ging auch nach dem Fall der Mauer so weiter, bis sich Anwohner über den Lärm beschwerten. Vor allem einige, die in die teuren Wohnungen auf Stralau eingezogen waren, gaben keine Ruhe, bis große Konzerte verboten wurden.

Für André Szatkowski, der mit seinem Verein Kulturalarm den Klub damals gerade übernommen hatte, war das ein schwerer Schlag. Er besann sich auf die Ausflugskultur der 20er-Jahre, als es auch in den Lokalen im Treptower Park hieß: „Hier können Familien Kaffee kochen.“ Aus dem Jugendklub wurde ein Ort für die ganze Familie. „Wir setzen auf Kultur, bei uns ist für alle etwas dabei“, sagt Szatkowski. Und seine Geschäftspartnerin Victoria Heinz ergänzt, dass sie anders sein wollen, als die hippen Klubs in Mitte oder Friedrichshain. „Bei uns geht es viel unaufgeregter zu.“

„Die Insel benötigt unbedingt mehr Pflege“

André hatte sich in den 90er-Jahren bei Konzertbesuchen in die Insel verliebt: „Als ich das erste Mal über den Brückenbogen ging, dachte ich, vor mir liegt ein Märchenschloss.“. Er und Victoria haben noch viel vor mit dem Inselgarten. Gern würden sie auch das kleine Amphitheater nutzen, das an der Spitze der Insel liegt. Leider fehlt ihnen die Unterstützung des Bezirks. „Die Insel benötigt unbedingt mehr Pflege“, sagt André. Im Treptower Grünflächenamt heißt es diesbezüglich jedoch rundheraus, dass kein Geld da ist.

Auch der 20 Meter lange Steg ist baufällig und deshalb gesperrt. Trotzdem sitzen hier abends oft Besucher, um sich den Sonnenuntergang anzuschauen. Doch nicht nur an dieser Stelle ist die Insel wild-romantisch. Für eine besondere Stimmung sorgen auch die großen Bäume – Linden, Erlen, Eichen. Einmalig ist schließlich der Ausblick – auf das gegenüber liegende Gasthaus „Zenner“, den schiefen Kirchturm von Stralau, auf die Schornsteine des Kraftwerks Rummelsburg oder den Fernsehturm. Schon deshalb lohnt ein Rundgang auf der Insel.