Tempelhof-Schöneberg. Ranger Björn Lindner zog den Frischling groß. Das Wildtier ist Teil der Familie geworden. Auch beim Familienfest war Borstel dabei.
Björn Lindner ist noch nicht am Holzzaun angekommen, da läuft ihm „Borst vom Forst“ schon entgegen. „Ja, hallo Borstel!“, ruft er mit fast zärtlicher Stimme. „Alte Fußhupe! Wie geht’s?“ Der Rüssel vibriert leicht, zu hören ist ein freudiges Begrüßungsgrunzen. Endlich Besuch! Außerdem Schwein gehabt: Der Mann in der gefleckten Rangerhose und der olivgrünen Jacke hat eine Banane mit. Bananen sind eine von Borstels absoluten Lieblingsspeisen.
Das Wildschwein darf anders als seine namenlosen Artgenossen, die ungebeten in der Hauptstadt unterwegs sind, gefüttert werden. Denn es lebt ganz offiziell auf dem Gelände der Naturschutzstation Marienfelde – und Björn Lindner ist hier Naturranger. Der 48-Jährige sorgt nicht nur für das Tier, die beiden verbindet weit mehr als das. Borstel ist bei Lindners zu Hause aufgewachsen.
„Meine Töchter haben ihm zum ersten Geburtstag einen Bananenkuchen gebacken. Er war auch bei Annas Firmung dabei, denn wir gaben ihm die Flasche, und da mussten wir ihn überall mit hin nehmen.“ Zur Familie gehören Björn und Nicole Lindner mit Anna, 17, Julia, 14, Leila und Lea, beide zwölf, sowie der fünfjährige Tristan.
Das Sofa tauschte Borstel erst spät mit dem Erdboden
Das von ihm so gern in Beschlag genommene Sofa tauschte Borst vom Forst erst spät mit dem Erdboden. Zuerst bekam er ein kleines Gehege im Garten, dann ein größeres am nur etwa 100 Meter entfernten Arbeitsplatz des Rangers. „Borstel weiß nicht, dass er ein Wildschwein ist“, sagt sein Ziehvater. „Denn er hat nie unter seines Gleichen gelebt.“
Am 28. März vorigen Jahres, an einem Dienstag, war der Ranger ins Marienfelder Industriegebiet „Motzener Straße“ gerufen worden. Da lag der Kleine, erst kurz davor zur Welt gekommen. „Die Nabelschnur hing noch dran“, erzählt Lindner. „Die Mutter war wohl gestört worden und hatte ihn zwischen Paletten und Lkws zurückgelassen. Er hat noch nicht mal seine Erstlingsmilch bekommen.“ Der Frischling war so klein, dass er in zwei Hände passte.
Lindner entschied sich, ihn leben zu lassen. „Im Wald hätte er alleine keine Chance gehabt, deshalb nahm ich ihn mit nach Hause“, erzählt er. Denn ohne Bache und Rotte wäre er dort verhungert.

Laute Geräusche und schnelle Bewegungen machen ihm Angst
„Bist ein echter gebürtiger Marienfelder nicht wahr?“, fragt Lindner, während er zu seinem Schwein über den Zaun klettert. Ausgiebig krault er den grau-braunen Rüsselrücken, ehe Borstel blitzschnell seinen Kopf zwischen die Beine des Rangers schiebt. „Das mag er, da fühlt er sich geborgen“, erklärt der Ziehvater. Man hört das am leisen Grunzen.
Der Ranger kennt sich damit aus, was Borstel gefällt – und nicht gefällt. Fressen mag er und gebürstet werden. Laute Geräusche machen ihm Angst und auch schnelle Bewegungen. „Was er auch gar nicht mag, ist miese Stimmung. Er merkt sofort, wenn man gestresst ist“, betont Lindner. Dann stellt er seine Borsten auf und wird unruhig. „Er ist sehr schlau und aufmerksam, nichts entgeht ihm.“
Inzwischen ist der „Kleine“ gut 20 Monate alt und zum Wildtier-Botschafter ernannt. „Borst vom Forst“ steht auf dem provisorischen Schild am Zaun. „Vom Büro Grunzlow“.
Paten für Borstel werden gesucht
Regelmäßig kommen Schulklassen und Kitagruppen vorbei. Auch die Erwachsenen lassen sich gern bei ihm sehen. „Er reagiert schon, wenn sein Liebling unter den Rentnern sich nähert, aber noch gar nicht zu sehen ist“, berichtet Lindner. „Der bringt ihm auch Bananen mit und leckere Haselnüsse und Eicheln. Äpfel mag Borstel auch gern.“
Schweine sind Allesfresser, haben aber doch ihre Vorlieben. Fleischprodukte und Essensreste bekommt das Wildschwein nicht, es soll sich ausgewogen und gesund ernähren. „Ich habe die lebenslange Verantwortung für das Tier“, sagt er. Wildschweine können 15 bis 20 Jahre alt werden. „Wir würden uns daher sehr über Paten für Borstel freuen. Für Tierarztrechnungen, ein schöneres Gehege und ein neues Schild am Zaun.“
Ob es dem Wildschwein wirklich gut geht, so allein? „Das denke ich schon“, sagt der Ranger. "Er kennt es doch nicht anders.“ Na ja, bei der großen Familie, in der er aufgewachsen ist, stimmt das nicht ganz. „Wir sind ja ständig da“, entgegnet Lindner. Manchmal kommen die Töchter noch zum Mittagsschlaf vorbei. Dann breiten sie eine Decke im Gehege aus, und Borstel legt sich einfach dazu.
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