An der Kreidetafel der sechsten Klasse an der Zehlendorfer Schweizerhof-Grundschule steht das Thema der Unterrichtsstunde: Dinosaurier. Eine vergilbte Rollkarte mit den Abbildungen der Urzeit-Tiere hängt an einem Stativ. Die Kinder schauen sich die Zeichnungen auf der Schautafel kurz an und greifen dann aufgeregt zu den Virtual-Reality-Brillen, die auf einem Tisch aufgereiht liegen.
Mit einem Startklick der Lehrerin tauchen sie in die Welt der Dinosaurier ein. Zunächst befinden sie sich in den Räumen des Naturmuseums Frankfurt Senckenberg und schon werden die Exponate lebendig.
„Die virtuelle Expedition soll den Klassenausflug ins Museum nicht ersetzen“
Mit Google Expeditionen können ganze Klassenzimmer auf eine virtuelle Reise gehen, ins Museum, auf fremde Planeten oder auf den Mount Everest. Die Stiftung Lesen hat dazu das Unterrichtsmaterial entwickelt und ab dem kommenden Schuljahr können alle interessierten Schulen das Programm ausprobieren. Die Schüler der Schweizerhof-Grundschule konnten die Expeditionen schon vorab testen, bevor sie auf der Bildungsmesse didacta 2017 in Stuttgart der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
Klassenlehrerin Caroline Frey war mit ihren Schülern nicht nur im Naturmuseum in Frankfurt, sondern auch schon auf dem Mond und in der Tiefsee. „Die virtuelle Expedition soll den Klassenausflug ins Museum nicht ersetzen“, sagt die Lehrerin der Berliner Morgenpost. Aber es wäre wohl kaum möglich, mit der Klasse innerhalb einer Woche nach Ägypten zu den Pyramiden und nach New York ins MoMA zu reisen. „Die 3-D-Welt ist viel anschaulicher als eine kleine Abbildung im Schulbuch“, sagt Caroline Frey. Sie sei überzeugt, dass die Schüler sich das, was sie so gesehen haben auch besser merken können.
Und wie funktioniert der digitale Unterricht in der virtuellen Welt? „Eigentlich ganz einfach“, sagt die Lehrerin. In die simplen, kostengünstigen Pappbrillen mit Linsen für den 3-D-Effekt wird hinter die Linsen ein Smartphone geklemmt, auf dem die entsprechende kostenlose App geladen ist. Die Lehrerin steuert über ein Tablet, was die Kinder sehen. Trotzdem können die Schüler, je nachdem in welche Richtung sie gucken, unterschiedliche Dinge entdecken. Die Lehrerin kann auf ihrem Tablet über kleine Smileys, die sich über den Bildschirm bewegen, nachvollziehen, worauf sich die Augen der Kinder gerade richten.
Die Kinder sollen neugierig gemacht werden
„Es ist lustig zu sehen, wie jedes Kind im Klassenzimmer sich in eine andere Richtung dreht und den anderen aufgeregt mitteilt, was es gerade entdeckt hat“, sagt Caroline Frey. Da die Schüler die Pappbrillen nur mit der Hand vor die Augen halten, können sie das Hilfsmittel auch jederzeit herunternehmen und miteinander kommunizieren.
Der elfjährige Oscar staunt: „Unter Wasser ist man eben unter Wasser, kann aber trotzdem noch atmen und Schildkröten sehen“. Es sei mal etwas anderes als nur in den Büchern darüber zu lesen, sagt sein Freund Linus.
Google Expeditionen gibt es zu 200 verschiedenen Themen. „Wir sichten das Material und wählen aus, was für den Unterricht geeignet ist“, erklärt Sigrid Fahrer von der Stiftung Lesen. Es gehe um spannende Sachthemen, wie zum Beispiel die Erhaltung der Ozeane. Aber auch im Fremdsprachenunterricht könne man die Brille einsetzen, etwa mit einer Expedition nach Paris.
Dabei soll das Lernen in der virtuellen Realität keinesfalls die anderen Methoden verdrängen. „Es soll die Kinder neugierig machen, sich weiter in die Thematik zu vertiefen“, sagt Sigrid Fahrer. Im Nachgang sollen die Kinder dann forschen, im Internet, in der Bibliothek oder auf Ausflügen. Die Stiftung Lesen erarbeitet für jedes Thema didaktisches Unterrichtsmaterial, wie das Thema mit den Schülern weiter bearbeitet werden kann. Schließlich soll der Lerneffekt nachhaltig sein und nicht nach der anfänglichen Begeisterung verpuffen. Zunächst werden lediglich 20 Themen für den Schulunterricht von der Stiftung Lesen aufbereitet. Interessierte Schulen können sich ab dem kommenden Schuljahr bewerben.
Die Brillen können die Schüler sogar selbst herstellen
Eine besondere technische Ausstattung an den Schulen ist nicht nötig. Die Brillen sind kostengünstig oder können sogar von den Schülern aus Pizza-Kartons selbst hergestellt werden. Die Schüler können ihre eigenen Smartphones verwenden. Sollten einzelne Kinder keine Smartphones haben, gebe es auch die Möglichkeit in Gruppen zu arbeiten. Es müssten ja nicht immer alle Schüler gleichzeitig in die virtuelle Realität reisen, sagt Sigrid Fahrer.
Caroline Frey von der Schweizerhof-Grundschule will auf jeden Fall die Methode auch künftig im Unterricht nutzen. „Für uns alle war es total spannend, wie real sich die Expedition tatsächlich anfühlt“, sagte die Lehrerin. Allerdings, gab sie dann doch zu bedenken, könne sich die Begeisterung auch abnutzen, wenn die Brillen erst einmal zum ganz normalen Schulalltag dazugehörten.
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