Berlin

Wie Drittklässler die digitale Welt erkunden

| Lesedauer: 6 Minuten
Jürgen Stüber
Gesche Joost mit dem Calliope mini

Gesche Joost mit dem Calliope mini

Foto: Reto Klar

Berliner Professorin Gesche Joost stattet Schulen mit speziellem Computer aus.

Berlin.  Es hat geklappt: Der Internetschwarm hat 60.000 Euro Startkapital für das digitale Bildungsprojekt Calliope zusammengetragen. Dabei handelt es sich um einen Kleincomputer, mit dem Kinder in der Schule lernen sollen, die digitale Welt zu verstehen. Der nach einer besonders klugen Muse der griechischen Antike benannte Kleincomputer soll Drittklässlern die digitale Welt begreifbar machen. Initiatorin des Projekts ist Gesche Joost – Professorin an der Berliner Universität der Künste und Internetbotschafterin der Bundesregierung bei der EU-Kommission. Sie gilt als eine der wichtigsten Wortführerinnen für eine digitale Bildung.

Ihr geht es nicht darum, Programmieren als Schulfach einzuführen, wie es in der Vergangenheit häufig gefordert wurde. Das wäre in einem Land mit einem föderalen Bildungssystem auch zu kompliziert. „Kinder sollen in der Schule lernen, mit der digitalen Welt umzugehen und sich in ihr zurechtzufinden. Wir wollen in der Grundschule keine Informatiker ausbilden“, sagt Joost. Digitale Bildung soll deshalb in die einzelnen Fächer integriert werden. Denn jedes Fach hat irgendwie mit Digitalisierung zu tun – wenn ein Lehrer im Fach Erdkunde eine interaktive Grafik einsetzt oder in der Sachkunde lehrt, wie ein Stromkreis funktioniert. Der Umgang mit Daten soll digitale Kompetenz vermitteln.

Programmieren nach dem Legostein-Prinzip

Programmiert wird der kleine Rechner über ein Laptop. Calliope wird dazu einfach per USB-Kabel mit dem Laptop verbunden. Das Programmieren ist so spielerisch wie das Zusammenfügen von Legosteinen. Das Programm enthält einen einfachen Editor, mit dem die Befehlsbausteine aneinandergereiht werden. Das sieht dann in etwa so aus: Auf den ersten Baustein „Wenn Taste A gedrückt ...“ wird der zweite Baustein „... dann schreibe das Wort Hallo“ gesetzt. „Dieser Schritt ist das Grundprinzip allen Programmierens“, sagt Gesche Joost. Nebenbei begreifen Kinder, wie ein Computer von innen aussieht – das Herzstück der digitalen Welt. So lassen sich mit dem Minirechner nützliche Programme bauen – zum Beispiel ein Gieß-Alarm für Zimmerpflanzen. Dazu wird ein Feuchtigkeitssensor an den Calliope angeschlossen, der in den Blumentopf gesteckt wird. Wird die Erde trocken, schlägt der Computer Alarm.

Sechs digitale Köpfe stehen hinter dem Projekt: Neben Gesche Joost sind das der Digitalunternehmer Stephan Noller, die Design-Dozentin Franka Futterlieb, der Lernspielzeug-Entwickler Jørn Alraun, der IT-Berater Maxim Loick sowie Klaus J. Buß, der Mitbegründer der Telekom Innovation Laboratories in Berlin.

Vorbild war der Kleincomputer Microbit, der in britischen Schulen in der siebten Klasse eingesetzt wird. „Das ist zu spät“, findet Gesche Joost. Denn Mädchen mit elf oder zwölf Jahren seien nur schwer für dieses Thema zu begeistern. „Deshalb wollen wir in der dritten Klasse beginnen.“ Also haben sich Joost und ihr Team mit den Microbit-Entwicklern zusammengesetzt und ein neues Gerät entwickelt. Es sollte einfacher zu bedienen sein, weniger Fehlerquellen bieten. „Wir haben dann immer wieder Workshops mit Kindern gemacht“, sagt Gesche Joost.

So entstand ein sternförmiger Kleincomputer: In der Mitte der Platine sind 25 Leuchtdioden angeordnet. Darum gruppieren sich der Prozessor, ein Sensor für Bewegung und Beschleunigung, ein Lautsprecher, ein Bluetooth-Empfänger sowie Anschlüsse für die Stromversorgung und eine USB-Buchse. „Im Februar 2016 hatten wir dann den ersten Prototypen“, sagt Joost.

Crowdfunding-Kampagne für den Start des Pilotprojekts

Die Initiatoren haben für den Start ihres Projekts auf der Crowdfunding-Plattform Startnext 60.000 Euro gesammelt. Mit dieser Summe sollen einige Tausend Calliope-Computer (Stückpreis ca. 20 Euro) samt Zubehör und Lehrmaterial finanziert werden. Pilotschulen sollen den Computer kostenfrei erhalten. Als Pate des Projekts fungiert Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der die Entwicklung des Prototypen bezuschusst hat. Die Anschubfinanzierung wurde durch Spenden von den Google- und Telekom-Stiftungen gewährleistet. Auch die Industrie hat sich beteiligt. „Bosch hat zum Beispiel einen Sensor gestiftet“, sagt Joost.

Nun soll das Projekt auf eine breitere Basis gestellt werden – das heißt in möglichst viele Pilotschulen getragen werden. Nach dem Saarland haben Bremen und Niedersachsen Interesse gezeigt. Mit Unterstützung der Körber-Stiftung soll das Gerät in Hamburger Schulen gebracht werden. Auch die Berliner Senatskanzlei habe Interesse bekundet, sagt Joost. Für den Erfolg des Projekts ist es auch wichtig, Lehrerinnen und Lehrer mit der neuen Technik vertraut zu machen. Dazu planen die Initiatoren einen Onlinekursus. Unter anderem ist der Berliner Schulbuchverlag Cornelsen bei der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien beteiligt. Geplant ist ein Schulbuch, das den Calliope enthält. „Die Platine Calliope mini ist ein wunderbares digitales Lehrmittel, für das wir wirksame Einsatzszenarien im Unterricht verschiedener Schulfächer sehen“, erklärt Mark van Mierle, CEO des Verlages. „Es wird spannend zu sehen sein, welche Potenziale für Programmier-Themen gerade in den höheren Klassenstufen liegen.“ Ferner ist geplant, das Gerät im Elektronik-Fachhandel anzubieten.

Das Ziel der Initiative ist, flächendeckend alle Drittklässler jedes Jahr mit einem Calliope mini auszustatten – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. In diesem Jahr einige Zehntausend Kinder. Die Initiatoren wollen damit eine Spaltung der Gesellschaft vermeiden – in Kinder mit und ohne digitale Kompetenz. Aus diesem Grund ist die komplette Plattform auch quelloffen angelegt, also gebührenfrei nutzbar. „Ich freue mich schon darauf, wenn die Kids anfangen, ihre Welt zu vermessen und zu erkunden“, sagt Gesche Joost.