Alles am Fluss

3,12 Millionen Liter Wasser in fünf Minuten

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Andreas Gandzior

Foto: Sergej Glanze / Glanze

Der Berliner Karsten Mros bewegt riesige Wassermassen. 15.600 Badewannen kann er in fünf Minuten volllaufen lassen. Der Schichtleiter der Schleuse Spandau erzählt.

Geschichtsträchtiger könnte eine Schleuse kaum gelegen sein. Zwischen der Altstadt Spandau und der Zitadelle befindet sich die Schleuse Spandau im Kolk, dem ältesten Siedlungsgebiet des Bezirkes direkt an der Havel – ein Schleusenstandort seit dem 13. Jahrhundert. Besucher, die sich auf den Weg zu der Schleusenkammer machen, begeben sich zu den Ursprüngen des westlichen Berliner Bezirkes. Durch enge Gassen führt der Weg über Kopfsteinpflaster, vorbei an Fachwerkhäusern und der alten Stadtmauer bis an das Ufer der Havel. Der Spaziergang ist wie der Besuch in einem Freiluftmuseum.

Doch wer eine romantische kleine Schleusenanlage erwartet hat, wird überrascht. Die Schleuse Spandau ist das modernste Bauwerk in diesem Teil des Bezirks. Nur Schrifttafeln und alte Fotografien am Zaun der Anlage zeugen von den Ursprüngen und der Geschichte des Bauwerkes.

„Hallo, hier ist Sportboot ,Calypso‘“, tönt es aus dem Funkgerät. „Wir möchten gern zu Tal schleusen.“ Karsten Mros lässt den Freizeitkapitän mit seinem Motorboot in die Schleusenkammer fahren. Es ist fünf Minuten nach 9 Uhr am Morgen. Vor 30 Minuten hat er andere Boote geschleust. „Jetzt warte ich noch auf ein Motorboot.“

Dabei zeigt er auf einen kleinen Punkt auf einem Monitor. „Dort, in Sichtweite an der Eiswerderbrücke, kommt schon das nächste Schiff.“ Dem wird Mros nicht das Schleusentor vor der Nase zumachen. „Wenn möglich, sammeln wir die Sportboote und schleusen mehrere gemeinsam.“ Trotz einer mehrmonatigen Sperrung der Schleuse Spandau wegen Bauarbeiten wurden im vergangenen Jahr bei 8629 Schleusungen 22.892 Fahrzeuge befördert, darunter 14.063 Sportboote.

Die Zeiten der Schleusenwärter sind vorbei

Der Arbeitsplatz von Mros befindet sich in einem Turm direkt an der Schleusenkammer. Mehrere Meter über dem Wasser hat er freien Blick auf der einen Seite bis zur Juliusturmbrücke, zur anderen Seite bis zur nächsten Flussbiegung. Die Eiswerderbrücke kann er nur auf einem Monitor sehen. Auf acht Bildschirmen beobachtet er das Geschehen auf der Wasserstraße, zwei weitere Monitore zeigen Daten des technischen Bauwerkes an und sind bedienbar.

Mit einem Joystick und per Knopf wählt er die Bilder aus, die ihm Außenkameras in den Turm liefern. Die Zeiten des guten alten Schleusenwärters sind vorbei. „Seitdem die Schleusen automatisiert worden sind, gibt es den Begriff Schleusenwärter eigentlich nicht mehr“, erklärt der 52-Jährige. „Ich bin der Schichtleiter der Schleuse Spandau.“

Ebenfalls mit einem Knopfdruck setzt Mros die Tore der Schleusenkammer in Bewegung, füllt das Becken oder lässt das Wasser abfließen. So ein Vorgang dauert rund fünf Minuten. 3,12 Millionen Liter Wasser oder rund 15.600 Badewannen werden mit einem Knopfdruck gefüllt oder entleert, rechnet Mros vor. „Wir nutzen dabei die Strömung des Flusses aus“, sagt er. „Vom oberen Flussverlauf lassen wir das Wasser in die Kammer reinfließen und lassen dann in Richtung Flussmündung abfließen.“

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Je nach Wasserstand der unteren Havel- und der oberen Havelwasserstraße variiert der Pegelstand in der Kammer. An diesem Tag sind es 1,6 Meter Unterschied, die in der Schleusenkammer überbrückt werden müssen. Es dauert nur wenige Minuten, bis sich die Sportboote auf dem unteren Niveau des Flusses befinden.

„Sportboot ,Calypso‘ bedankt sich und wünscht einen schönen Tag“, kommt es aus dem Funkgerät. Dann nimmt das Boot Fahrt auf und verschwindet unter der Juliusturmbrücke. „Das Schleusen von Sportbooten kostet je nach Länge zwischen drei und 25 Euro“, sagt der Schichtleiter. „Das zahlen aber die Jachtverbände als Pauschale an das Bundesverkehrsministerium.

Kohle aus China

Anders verhält es sich bei der Berufsschifffahrt. Da komme es auf die gefahrenen Kilometer auf den Bundeswasserstraßen an, auf Wert und Menge der Ladung, erklärt Mros. Die Lastschiffe passieren in der Regel morgens ab 6 Uhr die Schleuse. Die meisten von ihnen kommen aus Stettin. „Kies, Stahl, Schrott, Getreide und Kohle sind die häufigsten Ladungen“, zählt Mros auf. Viel Kohle aus Polen sei dabei, aber auch aus China. „Im Stettiner Hafen wird die Kohle aus Übersee auf kleinere Lastschiffe umgeladen.“ Stettin ist auf dem Wasserweg nur rund 100 Kilometer von Berlin entfernt. „Eigentlich ist Stettin der Berliner Seehafen“, sagt Mros.

„Das zuletzt eingefahrene Sportboot passiert bitte mit dem Heck die gelbe Markierung“, schallt es aus dem Außenlautsprecher an der Staustufe. Mros gibt Anweisungen per Mikrofon nach außen weiter. Auf einem der Monitore zeigt er eine Linie, die die Boote hinter sich lassen müssen. Aus Sicherheitsgründen.

Mittlerweile sind drei Motorboote, ein Segelboot mit gelegtem Mast und ein Hausboot in der Kammer und festgemacht. Jedes einzelne Boot wird auf Papier im Verkehrstagebuch und im Rechner protokolliert. Nur wenige Minuten später können alle ihre Fahrt Richtung Tal fortsetzen. Mros blickt auf die Uhr. Im Kopf hat er auch die Fahrpläne der Fahrgastschiffe. Gegen 10.55 erwartet er die „Havelstern“.

„Der kommt aus Tegel und fährt Richtung Wannsee und muss zu Tal geschleust werden“, sagt Mros. „Das plane ich jetzt so ein, dass ich nicht kurz vorher schleuse und das Schiff zu lange auf die nächste Schleusung warten muss. Die haben schließlich Fahrpläne, und wir bemühen uns, dass sie die auch einhalten können.“

Das Kommen des Ausflugsdampfers kündigt der Kapitän per Funk an. Während der Dampfer auf die richtige Höhe für die Weiterfahrt gebracht wird, versorgt ein Kellner auf dem Oberdeck Passagiere mit Getränken. Ein Blick aus der Vogelperspektive, der sich dem Schichtleiter im Sommer regelmäßig bietet.