Berlin. Zwei kleine Jungs kicken sich auf dem Gang einen Fußball zu, drei ihrer Freunde sitzen auf dem Boden an die Wand gelehnt und blicken jeder auf sein Handy. Zwei lachende junge Frauen in bunten Oma-Bademänteln, Schlappen und mit Handtuch-Turbanen kommen gerade aus dem Hygienebereich und spazieren vorbei an der Essensausgabe durch den Gemeinschaftsbereich, wo gerade die Kartoffelsuppe ausgeschenkt wird.
Auf dem Teil der Gepäckbänder, die man als Fluggast hinter der Wand des Terminal C nie gesehen hat, könnte man mal Staub wischen - aber die braucht niemand mehr. Denn der Flughafen Tegel ist seit einem Jahr Ankunftszentrum für ukrainische Flüchtlinge. Die erste Start- und Landebahn des Flughafens wurde noch während der Berlin-Blockade 1948/49 angelegt, entwidmet wurde TXL am 5. Mai 2021 nach der Inbetriebnahme des BER. Gerade wird die Rollwegbrücke abgerissen, über die einst die Flugzeuge die Straße querten.
Nach Russlands Angriff am 24. Februar flüchteten viele Ukrainer ins Ausland. Die meisten ins benachbarte Polen, aber auch in Berlin, als nächste europäische Hauptstadt, kamen etwas zeitverzögert viele Geflüchtete an Haupt- und Busbahnhof an. Schnell hat die Stadt damals in den Terminals A und B des ehemaligen Flughafens Tegel ein Ankunftszentrum eingerichtet. Drei, vier Tage sollten die Flüchtlinge dort bleiben, registriert werden und auf die Zuteilung einer Unterkunft in Berlin oder anderen Bundesländern warten. Anfangs klappte das auch erstaunlich gut.
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Trotzdem mussten sie versorgt werden. „Wir haben sehr kurzfristig einen Anruf des Deutschen Roten Kreuz bekommen mit der Bitte, ob wir uns um die Versorgung mit Essen kümmern können“, erzählt Klaus Kühne, Geschäftsführer von „3 Köche“. Eigentlich versorgt das Unternehmen Schulen und Kitas mit Essen, mehr als 75 Berliner Einrichtungen. Aber sie haben seit 2015 immer mal wieder punktuell bei der Versorgung von Geflüchteten ausgeholfen.
Morgens, mittags, abends: Je 2200 Mahlzeiten
Anfangs ging es in Tegel nur ums Beschaffen und Verteilen von 10.000 Lunch-Tüten am Tag. Mittlerweile versorgen Kühns Leute die Geflüchteten mit drei vollwertigen Mahlzeiten täglich. Kürzlich sind sie mit allem umgezogen ins 2007 eröffnete Terminal C. Somit können in den Terminals A und B nun die Umbauarbeiten für die Berliner Hochschule für Technik (BHT) beginnen. 2028 will die BHT in das Gebäude in der Form eines Hexagons einziehen.
Die „3 Köche“ haben im langgezogenen Zweckbau des Terminal C fünf Ausgabestationen aufgebaut. Neben großen Thermobehältern, an welchen die Ukraine-Geflüchteten sich selbst Kaffee, Tee und heißes Wasser holen können, serviert das Team ein Frühstück, eine Suppe zum Mittag und ein warmes Abendessen. Gegessen wird an Bierzelt-Mobiliar. „Morgens, mittags und abends geben wir aktuell jeweils 2200 Mahlzeiten aus, da steht eine ordentliche Logistik dahinter“, sagt Daniel Becker, der verantwortliche Schichtleiter.
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„Bäuerliche Küche kommt am besten an“
In der ehemaligen Küche des Restaurants Marché stapeln sich Palettenweise abgepackte Frühstücksportiönchen, frisch hingegen werden jede Nacht die Brötchen gebacken. Über die Monate haben die Köche ihre Gäste besser kennengelernt und das Menü angepasst: Suppen nach Möglichkeit klar, viele Kartoffeln und osteuropäische Zutaten wie Buchweizen stehen auf dem Plan. „Bei unseren Gästen kommt eine bäuerliche Küche am besten an, so wie bei uns früher“, sagt Klaus Kühn.
Bei frisch Angekommenen bemerkt Kühn, dass sie alles an Essen greifen, was sie bekommen können. „Ich glaube, es ist nicht unnormal zu hamstern in einer solchen Situation“, sagt Kühn. Aber es sei eben aus hygienischen Gründen ein Problem. „Leider ist das hier nicht schädlingsfrei, es gibt Tiere auf dem Gelände.“ Er meint damit nicht die vielen Haustiere, die die Geflüchteten mitgebracht haben.
Waren die Kriegsgeflüchteten zu Beginn des Kriegs nur zwei bis drei Tage in Tegel untergebracht, viele kamen schnell privat unter, verschiebt sich aktuell der Umzug in eine dauerhafte Unterkunft immer weiter nach hinten. „Mittlerweile bleiben die Menschen eher zwei bis drei Wochen, bevor sie aus der Notunterkunft eine Wohnung zugeteilt bekommen. Manchmal, besonders, wenn es sich um größere Gruppen handelt, die eine gemeinsame Unterkunft brauchen, kann es bis zu drei Monaten dauern“, erklärt Rote-Kreuz-Sprecherin Regina Kneiding. „Aktuell haben wir wieder steigende Ankünfte“, am Mittwoch seien zum Beispiel 354 Geflüchtete registriert worden. „Die Zahl der Unterkunftsplätze steigt kontinuierlich – da tut der Senat wirklich viel, aber es reicht eben nicht aus.“
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Die zuständige Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales geht davon aus, dass in den letzten zwölf Monaten mehr als 360.000 Kriegsgeflüchtete am ZOB und Hauptbahnhof angekommen sind. 60.000 von ihnen seien in Berlin geblieben. „Das Landesamt für Flüchtlingsfragen hat 10.000 neue Plätze in Unterkünften geschaffen und verfügt mit 32.000 Plätzen über so viele, wie noch nie in der Geschichte des Amtes“, sagt ein Sprecher. Das ist viel. Aber nicht genug.
Die teils lange Verweildauer in den Tegeler Zehn-Betten-Abteilen hat auch Auswirkungen auf die Stimmung. „Die Nerven liegen manchmal blank bei den Menschen“, gibt Sabrina Sayin ganz offen zu, als sie gerade mit ihrer Kelle Kartoffelsuppe in Pappschalen ausgibt. Wenn es mal zu schlimm wird, macht sie einfach Pause und atmet durch, sagt Sayin. „Aber ist doch klar, dass die Leute hier auch mal einen Lagerkoller bekommen.“
Die „3 Köche“ bekommen knapp unter zehn Euro Verpflegungspauschale pro Person und Tag. Das sei gerade so kostendeckend, sagt Geschäftsführer Klaus Kühn. Aber für ihn ist es Ehrensache. „Uns wäre es natürlich sehr lieb, wenn unser Einsatz hier von heute auf morgen nicht mehr nötig wäre, weil der Krieg vorbei ist“, sagt Kühn, der sich selbst noch daran erinnern kann, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in den Ruinen rund um die Oranienstraße in Kreuzberg gespielt hat. Auch geschäftlich wäre es kein Problem. „Wir müssten keine Mitarbeiter kündigen. Wir suchen eher noch.“ Denn gerade bauen die „3 Köche“ eine weitere Küche in Ludwigsfelde. Eine Ukrainerin, die als Geflüchtete nach Tegel kam, arbeitet nun schon bei ihnen.
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