Am neuen Schülerforschungszentrum in Berlin können Kinder ihr Interesse für Naturwissenschaft und Technik entdecken. Das ist auch dringend nötig, denn der Fachkräftemangel wird immer größer.

Er glitzert und glänzt – und essen könnte man ihn auch. Stolz hält Lukas einen fast handtellergroßen blauen Kristall in der Hand. Auf dem Tisch vor ihm liegen noch andere, in rot, gelb, grün, lila. Alle sind aus Zucker. „Das hätte ich nie gedacht, dass das mit Zucker geht“, sagt der Zehnjährige.

Seit September kommt der Fünftklässler regelmäßig in die Lise-Meitner-Schule nach Gropiusstadt. Zusammen mit anderen Schülern züchtet er hier Kristalle in verschiedenen Farben, lässt sie jeden Dienstagnachmittag ein bisschen größer werden und untersucht das Verhalten der glitzernden Gebilde.

Nawi, also Naturwissenschaft, ist in der Schule Lukas Lieblingsfach. Ab und zu – nach seinem Gefühl viel zu selten – dürfen die Schüler im Unterricht auch mal selber Experimente machen. Aber Kristalle aus Zucker konnten sie noch nie herstellen. „Das ist auch eine ganz schön klebrige Angelegenheit“, erklärt Ronny Wutzler, die die Schülergruppe betreut.

Was aber in der Schule nicht möglich ist, dürfen die Kinder hier in ihrer Freizeit ausprobieren. Betreut werden sie dabei von Lehrern der Lise-Meitner-Schule wie Ronny Wutzler. Sie entwickeln mit den Kindern Forschungsideen, helfen bei Versuchsreihen und geben ihnen die entsprechenden Erklärungen für Erfolg oder Misserfolg eines Experiments.

Vorbereitung für Wettbewerb „Jugend forscht“

Vor zwei Monaten eröffnete das Schülerforschungszentrum an der Lise-Meitner-Schule, es ist ein bislang einzigartiges Angebot für Berlin und Brandenburg. Das erste entstand vor 13 Jahren in Südwürttemberg, inzwischen gibt es deutschlandweit etwa 20 solcher Einrichtungen, die meisten davon im süddeutschen Raum.

Das Neuköllner Zentrum versteht sich als Freizeiteinrichtung für naturwissenschaftlich oder technisch interessierte Kinder und Jugendliche. So wie ihre Mitschüler am Nachmittag in einen Sportverein oder eine Musikschule gehen, können sie hier in insgesamt zehn Laboren Tests und Experimente durchführen.

Etwa 20 bis 30 Schüler zwischen neun und 19 Jahren kommen jede Woche. Damit ist die Kapazität ziemlich erschöpft. Viele kommen aus der näheren Umgebung, manche reisen aber sogar aus dem Umland an. Gerade jetzt steigen die Anfragen, weil im November die Anmeldefrist für den Wettbewerb „Jugend forscht“ endet. Auch Lukas wird im kommenden Jahr das erste Mal dabei sein, er wird sich zusammen mit vier anderen Kindern bei „Schüler experimentieren“ anmelden, der „Jugend forscht“-Sparte für die jüngsten Teilnehmer.

„Es fehlt an Räumen, Geräten und der nötigen Betreuung“

Die Gruppe will in ihrer Arbeit rund um die Zuckerkristalle verschiedenen Fragen nachgehen. Zum Beispiel auch der, wieso Kristalle eigentlich nicht rund sind. Auf diese Idee kam die zehnjährige Alina. Die Schülerin aus Britz wurde bei der „Langen Nacht der Wissenschaften“ auf das Schülerforschungszentrum aufmerksam und hat sich schnell mit Lukas, Samantha, Erik und Felix zusammengetan. Dafür dass sie sich vorher nicht kannten, ist das Team schnell zusammengewachsen.

Die Idee zum Schülerforschungszentrum gärte bereits einige Jahre, bevor sie jetzt umgesetzt wurde. Beteiligt daran war Babette Pribbenow, die an der Lise-Meitner-Schule Biologie unterrichtet und die seit Jahren in der Jury von „Jugend forscht“ sitzt. „Viele Schulen haben gar nicht die Möglichkeiten, aufwendige Experimente umzusetzen“, erklärt die Lehrerin, „es fehlt an Räumen, Geräten und der nötigen Betreuung.“ Schulklassen können zwar bislang auch schon in Berlin Schülerlabore besuchen, außerschulisch gab es bislang aber kaum Angebote in der Region.

Aus Sicht von Babette Pribbenow zeigt das auch Auswirkungen bei „Jugend forscht“. In Berlin würden weniger Arbeiten eingereicht und die Qualität sei schlechter als anderswo. „Wir müssen hier etwas unternehmen“, warnt sie. Auch Bildungsstudien belegen das, danach schneidet Berlin selbst in den Naturwissenschaften meist schlechter als der Bundesdurchschnitt ab.

121.000 Fachkräfte fehlen im Mint-Bereich

Im sogenannten Mint-Bereich, also den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, fehlen laut Mint-Report des Instituts der deutschen Wirtschaft jetzt schon 121.000 Arbeitskräfte. Bis zum Jahr 2020 könnte diese Lücke auf 1,4 Millionen anwachsen. Daher sei es wichtig, dass schon bei Schülern das Interesse für Forschungen auf diesem Gebiet früh geweckt werde, sagt auch Petra Christiansen, Leiterin der Lise-Meitner-Schule. Dass diese Förderung nun gerade an ihrer Schule angesiedelt wird, findet sie naheliegend, weil das Oberstufenzentrum als „School of Science“ ohnehin im Mint-Bereich seinen Schwerpunkt hat.

Die Schirmherrschaft des Schülerforschungszentrum hält die Technische Universität Berlin. Sie gibt den Schülern auch die Möglichkeit, in den Uni-Laboren ihre Experimente weiterzuführen, wenn die Gegebenheiten in der Lise-Meitner-Schule einmal nicht reichen sollten. Finanziert wird das Projekt vom Land Berlin und aus der Wirtschaft: Die Berlin-Chemie AG hat für die ersten drei Jahre 30.000 Euro zur Verfügung gestellt, von der Bayer Science & Education Foundation kommt eine Fördersumme von 25.000 Euro, außerdem hat sie einen 3-D-Drucker gespendet, der an den Forschungsdienstagen immer im Einsatz ist.

Pensionierte Lehrer sollen am Forschungszentrum aushelfen

Ziel der neuen Einrichtung ist es, nicht nur Kinder in die Labore zu bekommen, die ohnehin viel Förderung erfahren. Vor allem sollen auch die Schüler angesprochen werden, die bislang wenig Bezug zu den entsprechenden Fächern haben. So spielt das Forschungszentrum auch eine wesentliche Rolle beim Schulverband Campus Efeuweg, der gerade entsteht und die Bildungschancen für Kinder aus Neukölln verbessern soll. Neben der Lise-Meitner-Schule gehören die Walt-Disney-Grundschule und die Liebig-Schule zu diesem Verbund.

Am Dienstag zieht der Campus nun weitere Kreise. Julia und Mareike kommen zum Beispiel aus Lichtenrade und Mariendorf. Die beiden 15-Jährigen untersuchen verschiedene Materialien auf Radioaktivität. Von überall aus der Welt haben ihnen Freunde Bodenproben, Tabak oder Tee aus dem Urlaub mitgebracht, die jetzt sauber beschriftet in Glasdosen um die Mädchen herumstehen. Sie wurden von ihrem Lehrer ins Schülerforschungszentrum geschickt, weil es hier ein Gammaspetroskop gibt, das radioaktive Strahlung anzeigt. Keine normale Schule hat so ein Gerät.

Zwischen ihrem Tisch und dem von Rick und Toni, die an einem Roboter arbeiten, springt Dimitri Podkaminski hin und her. Der Biologie- und Chemielehrer leitet das Schülerforschungszentrum und wünscht sich dringend noch ein paar Ehrenamtliche mit Fachwissen, die ihn und sein Team bei der Arbeit unterstützen könnten. Pensionierte Lehrer könnte er sich dafür gut vorstellen, die vielleicht mal wieder Lust hätten, mit wirklich motivierten Schülern zusammenzuarbeiten. Denn das könne er garantieren: strahlende Kinderaugen und Begeisterung für die Forschung.