Berlin. Wer nutzt eigentlich die ZLB, die vielleicht bald in die Galeries Lafayette umzieht? Ein Besuch in der Amerika Gedenkbibliothek.

Räume, die man betreten kann, ohne zu konsumieren, Eintritt zu zahlen, einen Mitgliedsausweis zu zeigen, sind selten. Einer davon ist die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) am Blücherplatz nahe des Halleschen Tors. Ein Standort der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, der bald Geschichte sein könnte, ginge es nach Kultursenator Joe Chialo (CDU). Dann würden die Bücher, CDs und DVDs nämlich an die Friedrichstraße, in die heutigen Galeries Lafayette ziehen. Aber würden die Menschen mitkommen?

An einem Nachmittag unter der Woche ist die Bibliothek so voll wie ein beliebtes Café. Man findet kaum einen Sitzplatz. Studierende schreiben Hausarbeiten, Schülerinnen lernen für Klausuren und Jungs im Grundschulalter lesen Comics. Zwischen ihnen: Bücher. Dieses totgesagte Medium übt wohl immer noch eine Anziehung auf die Menschen aus, wenngleich die meisten Besucher der Bibliothek vor einem Laptop sitzen.

Recherchieren und schlafen: Vielfältige Nutzung der Bibliothek

Oder darauf schlafen. Flavio, der eigentlich anders heißt, hat den Kopf auf die überkreuzten Arme gebettet und schreckt etwas verwirrt aus seinem Nickerchen hoch. Der Hobbymathematiker löst in der AGB zwei bis dreimal die Woche mathematische Probleme. Heute liest der 61-Jährige in dem Buch „Analytische Zahlentheorie“, das er als digitale Version auf seinem Laptop gespeichert hat.

Dem 61-jährigen Flavio sind in der Amerika-Gedenkbibliothek über der „Analytischen Zahlentheorie“ die Augen zugefallen.
Dem 61-jährigen Flavio sind in der Amerika-Gedenkbibliothek über der „Analytischen Zahlentheorie“ die Augen zugefallen. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Pro & Contra:Eine Bibliothek in den Galeries Lafayette?

Manfred ist Filmeditor und ebenfalls Stammgast in der AGB. Hier recherchiert er für Projekte, mehrmals die Woche. Die AGB sei ein geschichtsträchtiger Ort, dort arbeiten zu können etwas Besonderes. Genauso die lockere Atmosphäre, die bunte Mischung an Menschen. Dass die am neuen Standort an der Friedrichstraße auch entstehen könnte, bezweifelt er.

Amerika-Gedenkbibliothek – Ein Geschenk der USA

In den 1950er-Jahren wollten die Amerikaner den West-Berlinern eine Kultureinrichtung schenken. Diese hatten all ihre Bücher im Nationalsozialismus und Krieg zerstört und verloren, und das meiste von dem, was übrig war, stand im Osten. Also bekamen sie eine Bibliothek nach dem Konzept der „public library“, der öffentlichen Bibliothek. Bibliothekare sollten nicht nur Fachwissen, sondern auch soziale Kompetenzen haben, die Bibliothek ein Ort für die Menschen, für die Gemeinschaft sein.

Zara kommt für die türkischsprachigen Bücher in die Amerika-Gedenkbibliothek. Die 23-Jährige schätzt die große Auswahl.
Zara kommt für die türkischsprachigen Bücher in die Amerika-Gedenkbibliothek. Die 23-Jährige schätzt die große Auswahl. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

In der AGB ist die Gesellschaft so vollständig repräsentiert wie selten. Jede Altersstufe und Bevölkerungsgruppe scheint vertreten zu sein. Von der 70-jährigen Hanne, die sich in einem kleinen Kabuff einen Heinz Erhardt-Film auf Videokassette ansieht, während aus dem Klavierraum nebenan Musik dringt, über die 23-jährige Bürokauffrau Zara, die wegen der guten Auswahl an türkischer Literatur herkommt, heute aber in einem Buch über Yoga blättert. Oder Tashy, 32, die ihrem zweijährigen Sohn nach der Kita aus englischen Kinderbüchern vorliest.

Jugendliche lieben Mangas und Konsolenspiele

Vor allem die Kinder und Jugendlichen leihen heutzutage nicht nur Bücher aus. Mit am beliebtesten sind „Tonis“, digitale Abspielgeräte für Musik, Manga-Comics und Konsolenspiele, erzählt eine Mitarbeiterin. Schüler kämen zum Lernen, vor allem rund um die Abiturzeit sei es sehr voll. Deswegen freue sie sich, dass man an einen größeren Standort umziehe. Sie ist sich sicher, dass die ganzen Kinder und Jugendlichen, die heute die Kreuzberger Bibliothek besuchen, auch an die Friedrichstraße fahren würden.

Tashy sucht mit ihrem zweijährigen Sohn jeden Tag nach der Kita nach familienfreundlichen Aktivitäten. Eine davon sind die englischen Kinderbücher in der Zentral- und Landesbibliothek.
Tashy sucht mit ihrem zweijährigen Sohn jeden Tag nach der Kita nach familienfreundlichen Aktivitäten. Eine davon sind die englischen Kinderbücher in der Zentral- und Landesbibliothek. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

„Eine Bibliothek ist mehr, als nur Bücher, es ist ein Ort der Begegnung“, betont immer wieder die Sprecherin der ZLB, Anna Jacobi. Dass es in der AGB etwas entspannter zugeht, als in manchen Universitätsbibliotheken oder der Staatsbibliothek, gefällt auch der Studentin Joana. Sie arbeitet mit ihrer Kommilitonin Laura an einer gemeinsamen Hausarbeit. „Würden wir in der Stabi so miteinander reden, hätte man sich schon dreimal geräuspert und die Security wäre gekommen“, sagt Laura.

Oper oder Bibliothek? Die Geschichte wiederholt sich

Noch ein Unterschied ist die Buchauswahl. Neben Gedichtbänden, Fachliteratur und Belletristik stehen in der AGB auch Titel wie „Grillen vegetarisch“ oder „Viva la Vagina“. Das Angebot richtet sich an ein breites Publikum, nicht nur an ein akademisches oder bildungsbürgerliches.

Das Bürgertum war es auch, dass sich in den 1950er-Jahren lieber eine Philharmonie gewünscht hatte, als eine Bibliothek. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, wenn es heute heißt, Berlin müsse sich zwischen der Sanierung der Komischen Oper und einem neuen Standort für die ZLB entscheiden.

Anders als in vielen anderen Bibliotheken darf in die ZLB am Standort Amerika-Gedenkbibliothek Essen mitgebracht werden. Selbst wenn die Eier dann nur als Smartphone-Halter dienen.
Anders als in vielen anderen Bibliotheken darf in die ZLB am Standort Amerika-Gedenkbibliothek Essen mitgebracht werden. Selbst wenn die Eier dann nur als Smartphone-Halter dienen. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Wann, wie und ob die ZLB überhaupt an die Friedrichstraße einziehen könnte, ist ungewiss. „Die Galeries Lafayette verhandeln derzeit mit dem Eigentümer Tishman Speyer über die Weiterführung ihres Mietvertrags, der Ende 2024 ausläuft. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir derzeit zum aktuellen Stand der Verhandlungen keine näheren Angaben machen können“, äußert sich ein Sprecher der Kaufhaus-Kette am Donnerstag auf Morgenpost-Anfrage.

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