Die „Weinhandlung Suff“ an der Oranienstraße ist eine Kreuzberger Institution. Seit 1989 wird hier Wein verkauft, der Laden beliefert umliegende Kneipen wie das „Franken“ und war einer der ersten Händler in der Markthalle Neun, die längst zu einer festen Größe in der Berliner Gastronomieszene geworden ist. An diesem Mittwochnachmittag klebt Geschäftsführer Christian Schoßau die Schaufenster seines Ladens mit Zeitungspapier ab. Wie er verdunkeln viele der Gewerbetreibenden an der Straße die Fronten ihrer Läden. Warum?
Das Bündnis von rund 80 Gewerbetreibenden protestiert so gegen die Kündigungen, von denen einige unmittelbar betroffen sind und viele sich bedroht sehen. Im vergangenen Jahr kaufte die Deutsche Investment Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH, zu der auch der Immobilienfonds Deutsche Investment – Wohnen III gehört, die Häuserzeile mit den Hausnummern 199 bis 205, in der die Weinhandlung Suff ihre Räume hat. Ende Juni bekam Schoßau ein Schreiben der Hausverwaltung, die ihm im Namen des neuen Vermieters die Gewerberäume fristgemäß zum 31. Dezember 2019 kündigt. „Andere Gewerbetreibende in dieser Straße, beispielsweise das japanische Restaurant ‚Hakata‘, haben nach einer Kündigung zwar neue Mietverträge angeboten bekommen“, sagt Schoßau, „allerdings mit einer über doppelt so hohen Ladenmiete. Das zwang sie zu schließen. Auch für uns wäre es das Aus.“
„Das Wort Verhandlungen ist ein Hohn“
Die Deutsche Investment bestreitet, dass es zu massenhaften Kündigungen von Gewerben in der Liegenschaft gekommen sei. Es habe vereinzelt fristgerechte Kündigungen gegeben. „Im Vorfeld wurden die Gewerbemieter bezüglich einer Verlängerung ihrer Verträge kontaktiert“, sagt Sprecher Ulrich Nagel. Schoßau wiederum sagt, das sei nicht geschehen. Erst vor wenigen Monaten war Thorsten Willenbrock, der an der Oranienstraße seit fast 20 Jahren die Buchhandlung „Kisch & Co.“ führt, der Schließung knapp entkommen. Einen Tag vor einer Demonstration gegen die Schließung des alteingesessenen Buchladens gab der Eigentümer, die Nicolas Berggruen Holdings GmbH, bekannt, man habe sich neu verständigt. Willenbrock macht sich über den neuen Mietvertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren keine Illusionen. „Das ist nur eine Galgenfrist“, sagt er. Auch deswegen schloss er sich am Mittwoch der Aktion an. „Es geht nicht nur um uns, sondern darum, wie man mit Gewerbetreibenden hier umgeht. Das Wort Verhandlungen, das in diesem Kontext gerne fällt, ist ein Hohn. Wer die höhere Miete nicht zahlen kann, fliegt früher oder später raus.“
Der zuständige Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) unterstützt die Protestaktion. Der Kauf der Liegenschaft sei noch in die Verantwortung des alten Senats gefallen, ehe der Bezirk das Vorkaufsrecht systematisch angewandt habe. „Nun kann nur über Protest, Solidarität und politischen Druck in die Verwertungsinteressen reingegrätscht werden. Kunden, Eltern, Nachbarn, alle im Kiez müssen aufstehen und sagen: Es reicht, wir sind nicht der Spielball eurer Immobiliendeals“, sagt Schmidt. Auch die neuen Mieter müssten angesprochen werden. „Will man wirklich sein Geschäft da aufbauen, wo gewachsene Kiezstrukturen zerschlagen wurden? Bisher gibt es keinen Starbucks in der Oranienstraße. Aber das Terrain wird dafür jetzt vorbereitet. Wir brauchen eine größere Debatte, auch mit und über zahlungskräftige Mieter“, so Schmidt.
Gemüsehändler mussten anderen Läden weichen
Eine weitere Gewerbemieterin, die sich im Falle einer neuen Mieterhöhung vor dem Aus sieht, ist Swenja Ritchie. Sie führt seit 22 Jahren einen Modeladen mit Ökokleidung, „Ritchie“. Sie habe zwar versucht, ihr Sortiment an die sich ändernde Kundschaft – in erster Linie Touristen – anzupassen. „Aber wer für ein Wochenende nach Berlin kommt, kauft meist Dinge, die leicht ins Gepäck passen“, sagt sie. Als sie den Laden übernahm, war die Oranienstraße noch nicht Ziel vermeintlich abenteuerlicher Reisender, die hinter den graffitibeschmierten Wänden das echte Berlin vermuten. Damals hallte der Hausbesetzergeist der 80er-Jahre noch nach. Ritchie erinnert sich an die türkischen Gemüsehändler, die später anderen Läden weichen mussten. „Natürlich stimmt es, dass Viertel sich verändern“, sagt sie. „Aber das hier hat eine neue Qualität. Die Art, wie vorgegangen wird, ist drastisch und systematisch. Damit wird alles zerstört, was diesen Kiez ausmacht.“ Für sie und die anderen geht es um die Existenz, aber auch um noch viel mehr. Im Kleinen, sagen sie, stellt sich hier die große Frage, ob man seine Bücher in Läden wie Kisch & Co. kauft oder bei Amazon bestellt. Den Wein bei „Suff“ holt oder im Supermarkt. Ob man Kleidung in kleinen Boutiquen oder in den Filialen großer Konzerne kauft. In der Oranienstraße, so die Geschäftsleute, geht es auch darum, in was für einer Stadt wir in Zukunft leben wollen.
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