Es war ein guter Tag für Friedrichshain-Kreuzberg. Schließlich gibt es seit dem 16. Juni im Bezirk ein neuntes Erhaltungsgebiet. Es soll sozialer Verdrängung entgegenwirken. Zwischen Besselstraße und Baruther Straße liegt die Südliche Friedrichstadt. In der Nachbarschaft: Checkpoint Charlie, das Jüdische Museum, die Berlinische Galerie. Lange galt die Gegend als Randlage, geprägt von industrieller Bauweise. Heute ist sie dank Zentrumsnähe, guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr und wichtigen Kultureinrichtungen ein stark nachgefragtes Wohnungsgebiet.
Große Nachfrage in der südlichen Friedrichstadt treibt die Kaltmieten in die Höhe
Die Zahlen zeigen, das wegen der großen Nachfrage die Kaltmieten steigen. 2013 betrug sie in dem Gebiet bereits durchschnittlich 6,19 Euro pro Quadratmeter. Der Berliner Durchschnitt lag bei nur 5,45 Euro. 2017 lag die durchschnittliche Kaltmiete in der Friedrichstadt bereits bei 6,70. Auch die Angebotsmiete in diesem Bereich ist im Vergleich zum Gesamtbezirk am stärksten gestiegen, und zwar um 85 Prozent zwischen 2010 und 2015 im Planungsraum Mehringplatz. Die Umwandlungsquote von alten zu modernisierten Wohnungen ist hier besonders hoch.
Das Problem: In der Südlichen Friedrichstadt wohnen überproportional viele Menschen mit niedrigem Einkommen und Transferleistungen, viele Kinder und Jugendliche, viele Menschen mit Migrationshintergrund. Jeder zweite Haushalt ist aufgrund seiner Einkommenssituation bei weiteren Mieterhöhungen verdrängungsgefährdet.
„Die Wohnungen haben ein gewaltiges Aufwertungspotenzial“, erklärt Baustadtrat Schmidt. Das bedeutet, dass durch Sanierungen und Modernisierungsmaßnahmen, zum Beispiel im Energiebereich, die Miete drastisch steigen könnten. Würden die Wohnungen in Eigentum umgewandelt, könnten sie teurer verkauft werden. Hinzu kommt, dass die Friedrichstadt auch Sanierungsgebiet ist. Öffentliche Plätze und Infrastruktur wurden wegen städtebaulichen und funktionalen Schwächen aufgewertet. Das hat die Gegend zusätzlich interessant gemacht – auch für Investoren. Sie zeigten dementsprechend großes Interesse. „Die Bewohner der Südlichen Friedrichstadt sind also besonders verdrängungsgefährdet“, erklärt Schmidt.
Bauliche Veränderungen müssen genehmigt werden
Der sogenannte Milieuschutz soll einem Bezirk in so einer Situation helfen, sozialer Verdrängung einkommensärmerer Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken und somit die soziale Zusammensetzung zu erhalten. Durch bestimmte Regelungen wird die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig und nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Rückbau, Änderung oder Nutzungsänderung baulicher Anlagen bedürfen ebenso einer Genehmigung.
Mit der Südlichen Friedrichstadt gibt es in Kreuzberg jetzt insgesamt neun Milieuschutzgebiete – in ganz Berlin sind es 36. Insgesamt 58 Prozent der Bewohner Kreuzbergs leben in solchen Gebieten. Eine Studie der Asum GmbH für Angewandte Sozialforschung und urbanes Management aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass diese Art des Schutzes Wirkung zeigt. In Friedrichshain-Kreuzberg konnte die Wohnstruktur im Bereich Bergmannstraße-Nord (Beginn 2003), Graefestraße (1995), und Luisenstadt (1995) weitestgehend erhalten bleiben. In knapp 70 Prozent der Haushalte fand keine Modernisierung statt. „Milieuschutz wirkt dämpfend auf Modernisierung und Mietpreisniveau,“ sagt Werner Oehlert, Geschäftsführer der Asum GmbH. Allerdings greift die Maßnahme nicht, wenn Vermieter die Miete erhöhen, obwohl sie keine Sanierungen vorgenommen haben.
Flächendeckender Milieuschutz ist nicht geplant
Ein weiterer Weg zum sozialen Erhalt ist das Vorkaufsrecht zugunsten landeseigener Wohnungsbaugesellschaften. Manchmal können auch Mieter in Kooperation mit Genossenschaften oder Stiftungen selbst die Art des Vorverkaufs anregen, wie zum Beispiel kürzlich in der Zossener Straße 48 in Kreuzberg. Der Bezirk bemüht sich um eine stärkere Kooperation mit Mietern. Eigens dafür wird in den nächsten Wochen eine Stelle für einen Beauftragten für Hausprojekte ausgeschrieben. Ziel sei es jedoch nicht, den ganzen Bezirk in Milieuschutz zu unterlegen. „Man muss die Situation erst gründlich prüfen“, sagt Schmidt.