Es ist, wie es ist. So wie es eigentlich schon immer war in Berlin. Was neu ist, wird erst mal abgelehnt. Rein aus Prinzip, sagt Nora Durstewitz. Der Berliner ist anti, bevor er definieren kann, wieso genau. Auch sie, die in Friedrichshain aufgewachsen ist und vor Kurzem das Hotel „Orania“ Berlin am Oranienplatz eröffnet hat, weiß das. Eben auch, weil sie diese schnodderige Art, die die Hauptstadt regiert, ein bisschen von sich selbst kennt.
Eigentlich sind die gemischten Reaktionen in Presse, Politik und Bezirk daher genau die Spiegelung des subtilen Grundtenors ihrer Heimat, die die 30-Jährige nun erlebt. Seit Anfang dieses Jahres arbeitet sie zusammen mit dem bayerischen Hotelier Dietmar Müller-Elmau von Schloss Elmau, Philipp (36) und Jenny Vogel (29) an dem Hotel. Ihr Baby wurde im August offiziell geboren und ja, sagt sie, es sei schon komisch, sich plötzlich so viel externer Beurteilung ausgesetzt zu sehen.
Öffentlichkeitsarbeit bedeutet Kiezarbeit
Man merkt der Berlinerin an, wie stolz sie auf das alles hier ist. Vor allem mit welcher Überzeugung sie daran gearbeitet haben und es bis jetzt tun. Sie wissen trotzdem, dass Abläufe noch nicht in Perfektion funktionieren. Und irgendwie macht es das junge Team nur sympathisch. Während Philipp Vogel Geschäftsführer und Küchenchef in einem ist, kümmert sich seine Frau Jenny um sämtliches im Hotelbetrieb. Durstewitz bedient Konzeptuelles und macht Öffentlichkeitsarbeit. Im Orania Berlin bedeutet das vor allem Kiezarbeit. Die drei jungen Menschen hatten vorher zusammen im Adlon gearbeitet – sind Freunde. Vogel hat die beiden Frauen mit ins Boot geholt und das alles ist nun daraus geworden. Ein Hotel im Herzen von Kreuzberg 36, das von außen so unscheinbar daherkommt, dass man sogar den Eingang nicht sofort findet.
Von der Wahl der Zahnputzbecher, über Budgetierung, Einkauf und Personaleinstellungen – das Trio samt Team hat alles intuitiv und doch sehr bewusst gestaltet. Dass der große Hotelier Elmau ihnen derart freie Hand gelassen hat, ihnen derartig vertraut, begeistert Durstewitz.
Dass ihr Projekt trotz ihrem Herzblut darin nicht nur wohlwollend angenommen wurde, überrascht sie nicht. Sie sind, mehr oder weniger, zu einem Politikum in den vergangenen Wochen geworden. Klar, da sind ja auch Wahlen, die anstehen. Und das mit der Stadtentwicklung ist ohnehin ein emotionales Thema, eines, das irgendwie immer zieht. Gentrifizierung und so.
Das Eckhaus stand jahrelang leer
Etwas merkwürdig ist das allerdings schon, findet Durstewitz, die Stadtplanung und -entwicklung studiert hat. Immerhin sind sie und ihr Team keine Miethaie, die Anwohner rausgeekelt haben, um ein profitgeiles Projekt durchzuziehen und damit Kreuzberg in seinem freigeistigen Charakter zu destabilisieren.
Das denkmalgeschützte Eckhaus, das Dietrich von Boetticher gehört, stand jahrelang leer, war kurz vor dem Verfall. „Dieses historische Gebäude war außerdem immer schon Geschäftshaus, damit ist das Argument, man hätte ja Wohnungen draus machen können, eigentlich hinfällig“, sagt sie. Das hätte schlichtweg nicht funktioniert.
Zwei deutlich schlimmere Szenerien, mit denen Durstewitz gerne in solch einer Diskussion kontert, hätten sein können: Luxusapartments oder Großraumbüros. Jedenfalls keine Orte für die Öffentlichkeit. Die Berlinerin ist nicht auf den Mund gefallen, das merkt man, aber Spitzfindigkeit ist nicht ihr Ding. Sie bleibt ruhig und lässt ihre Argumente dann erstmal so stehen.
Seit März macht sie Nachbarschaftsarbeit
Das Orania Berlin will übrigens genau das sein, ein Kulturort für alle. Der Fokus liegt dabei auf dem Restaurant. Vor allem aber auf der Bühne, wo regelmäßig Berliner Künstler spielen sollen, die sie zu sich einladen werden. Jazz, Klassik, Elektro. „Die 41 Zimmer sind damit übrigens irgendwie auch eine Notwendigkeit, um die Gage der Musiker zu deckeln“, sagt Durstewitz. Wäre das Orania Berlin „nur ein Hotel“, würde sie das hier alles gar nicht machen.
Seit März macht sie nun schon aktiv Nachbarschaftsarbeit. Nicht um sich einzuschleimen, das tun Berliner nicht. Sie lacht. Aber sie will die gute Stimmung, den Zusammenhalt in der Gegend sichern. Ohnehin arbeiten sie mit vielen Läden in dem Kiez zusammen. Was die meisten als Win-win-Situation sehen, reibt andere Gemüter auf. Manche würden nun von Anwohnern verteufelt, bloß weil sie mit dem Orania Berlin, also mit „den Bösen“, kooperieren.
Klingt für sie nach falsch verstandener Solidarität. Ein merkwürdiges Denken in Schwarz und Weiß, häufig sogar ohne sich vorher ein eigenes Bild gemacht zu haben, sagt Durstewitz. Die zierliche Frau in zerrissener Jeans und Bluse wirkt auf den ersten Blick deutlich jünger, als sie ist, vielleicht sogar harmlos, weil sie mit offener Art über die Dinge spricht. Und mit Verständnis für beide Seiten. Dass ihr das in die Karten spielt, hat sie bereits an einigen Motzern bemerkt, die sie gewissermaßen bekehren konnte. Durstewitz und das Team seien ja so entspannt, hieß es dann plötzlich, so gar nicht kommerziell, nachdem einige sich doch alles mal von Innen, sich das Konzept angesehen haben. Ja ja. „Da waren einige der Gegner irritiert, weil sich ihr vorgezeichnetes Bild nicht bestätigte, fragten sich, wen sie denn jetzt eigentlich hassen sollen“, sagt Durstewitz. Persönliche Hassmails blieben trotzdem nicht aus und da, sagt sie, musste sie ihre Worte doch mal zügeln – der Professionalität zuliebe.
„Man sagt doch, Kreuzberg sei freiheitsliebend“
Menschen beschweren sich nun mal gerne, der Berliner mag das besonders. Diese Haltung kennt die Berlinerin ja eben auch von sich selbst. Aber seit einiger Zeit versucht sie, so offen zu werden, wie man es ihrer Heimat eigentlich nachsagt. „Man sagt doch, Kreuzberg sei freiheitsliebend; die Ironie daran ist bloß, dass es nur dann freiheitsliebend ist, wenn man in den Rahmen passt und der wird von Kreuzberg selbst vorgegeben.“ Sie kennt die Mechanismen ihrer Stadt genau, verwundert ist sie trotzdem, dass viele, die sich für eine tolerante Stadt einsetzen, am Ende meist die Intolerantesten der Gesellschaft sind. Der Bezirk, musste sie nun feststellen, habe fast schon dörfliche Strukturen. Deshalb organisierte das Orania Berlin kürzlich auch ein Nachbarschaftsfest, um allen die Möglichkeit zu geben, sich zu beschnuppern. All die Worte wie Elmau, G7-Gipfel, „Luxushotel“, die das Projekt umwehen, sollten damit eliminiert oder zumindest relativiert werden.
„Nur braucht es dazu auch Menschen, die uns eine reelle Chance geben und nicht – eben wie es typisch ist – mit Tunnelblick mit dem Finger auf uns zeigen, bloß weil wir ‚die Neuen‘ sind“, sagt Durstewitz. Lieber wollen sie in den Diskurs gehen. Und sie will zeigen: wie junge Berliner Berlin gestalten.