Letzte Generation

Ein Jahr „Klimakleber“: Proteste sollen noch heftiger werden

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Das ist die „Letzte Generation“

Das ist die „Letzte Generation“

Die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ sorgen seit Anfang 2022 für viel Wirbel. Wer die Demonstrierenden sind und was ihre Beweggründe sind, zeigt das Video.

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In Berlin nahmen die Proteste ihren Anfang, hier sind sie besonders massiv: Bilanz und Pläne der Klima-Gruppe "Letzte Generation".

  • Vor einem Jahr begannen die Proteste der Klimaschützer in Berlin
  • Jetzt ziehen die Aktivisten Bilanz
  • Das hat die "Letzte Generation" in der Zukunft vor

Fast ein Jahr ist es her, dass die Aktionsgruppe "Letzte Generation" radikal in Erscheinung trat. Am 24. Januar 2022 blockierten zwei Dutzend Leute erstmals in Berlin Autobahnzufahrten. Seither haben die sogenannten Klimakleber nicht nur Berliner Autofahrer, sondern die halbe Republik gegen sich aufgebracht. Pendler schimpfen, Staatsanwälte ermitteln, Politiker empören sich, vermuten gar Terrorgefahr. Die Gruppe selbst zieht diese Bilanz: „Innerhalb eines Jahres ist die Letzte Generation unignorierbar geworden.“

Angefangen hatte alles schon 2021, kurz vor der Bundestagswahl, mit einem Hungerstreik in Berlin für eine radikale Klimawende. Die Aktivisten warnten damals wie heute, dass kaum noch Zeit bleibe, eine Vollbremsung bei den schädlichen Klimagasen einzuleiten und eine für Millionen Menschen weltweit tödliche Überhitzung der Erde zu vermeiden.

Die Hungerstreikenden erstritten ein Gespräch mit Wahlgewinner Olaf Scholz. Als Scholz auf ihre Forderungen nicht einging, begannen die Straßenblockaden. Dazu kamen Proteste in Museen, Stadien, an Erdölpipelines oder Flughäfen. In der Regel kleben sich die Teilnehmer an Oberflächen fest, damit die Räumung lange dauert. Im November 2022 legten die Klimaaktivisten den Flugverkehr am BER zwischenzeitlich lahm. Ob Schadensersatz gefordert wird, ist noch offen.

Ein Jahr "Letzte Generation" - Das ist die Bilanz

Die Gruppe "Letzte Generation" zieht nach einem Jahr Bilanz. So sieht sie nach eigenen Angaben aus:

  • 1250 Straßenblockaden in ganz Deutschland
  • bis zu 2000 Aktivistinnen und Aktivisten
  • mehr als 1200 Mal kamen Protestierende in Polizeigewahrsam

Und so sieht die Bilanz in Berlin aus (Angaben von Innensenatorin Iris Spranger vom 9. Januar):

  • 233.000 Einsatzstunden der Berliner Polizei
  • 756 Tatverdächtige festgestellt
  • 2700 Strafanzeigen gestellt
  • 761 Vorgänge ausermittelt

Eine Prozesswelle rollt. Zur genauen Zahl der Strafverfahren in Berlin liegen nach Angaben einer Gerichtssprecherin keine Zahlen vor. Es gebe jedoch fast täglich Prozesse an Berliner Gerichten. Letzte-Generation-Sprecherin Carla Rochel sagt, bei bisherigen Urteilen seien meist Geldstrafen verhängt worden. „Aber es kam auch zu Einstellungen oder Freisprüchen."

Letzte Generation: Proteste als Akt des zivilen Widerstands

Der Protest soll unvermindert weitergehen – und sogar noch intensiviert werden. „Die Aktionen werden ausgeweitet werden und in ihrer Form kreativ bleiben“, erklärt Sprecherin Rochel. Für ein Ende der Blockaden hat die Gruppe zwei ultimative Forderungen: Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket. Klingt banal, ist aber nicht in Sicht.

„Wir wissen ja, dass es nervt, dass Leute wegen uns im Stau stehen müssen“, sagt die 20-jährige Lina Eichler. Gemeinsam mit dem ehemaligen Politikstudenten Henning Jeschke gehört sie zu den Gründungsmitgliedern. Beide waren schon beim Hungerstreik dabei und widmen sich Vollzeit der Renitenz. Die Letzte Generation hält den Protest für absolut friedlich und einen Akt des zivilen Widerstands, mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1960er Jahren vergleichbar.

Doch die Kritik an den Aktionen nahm zu, als im Herbst nach dem Fahrradunfall einer Berlinerin ein Bergungsfahrzeug minutenlang stecken blieb – wohl auch, weil es kilometerweit entfernt eine Blockade gab. Dass Aktivisten Bilder in Museen, die mit Glas geschützt waren, mit Kartoffelbrei bewarfen, Feueralarme auslösten, Ministerien blockierten und Flughäfen zeitweise lahmlegten, sorgte ebenfalls für heftige Reaktionen.

Letzte Generation: Politiker warnt vor "Klima-RAF"

„Die Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung ist hochgradig besorgniserregend“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im November. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte sogar vor der Entstehung einer „Klima-RAF“ in Anlehnung an die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion, der mehr als 30 Morde zur Last gelegt werden. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang mahnte aber gleich, auf dem Teppich zu bleiben – und stufte den Vergleich als „Nonsens“ ein.

Dieser Begriff sei „bereits mehrfach als völlig überzogen entblößt“ worden, meint Carla Rochel, Sprecherin der Letzten Generation. Die Auswahl von „Klimaterroristen“ als Unwort des Jahres belege, dass friedliche Proteste kriminalisiert und durch den Schmutz gezogen werden sollen. Der Rechtsbruch liege auf Seiten der Bundesregierung: „Sie bricht Artikel 20a des Grundgesetzes, wie es derzeit mit ihrer Politik zu Lützerath und LNG-Terminals weiter deutlich wird.“ In dem Artikel wird der Staat verpflichtet, „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“ zu schützen.

Video: "Klimaterroristen" ist Unwort des Jahres 2022

"Klimaterroristen" ist Unwort des Jahres 2022
"Klimaterroristen" ist Unwort des Jahres 2022
Video: Politik, Umwelt

Letzte Generation: So finanzieren sich die Aktivisten

Einigen Vollzeit-Aktivisten zahlt die Letzte Generation aus Spendengeldern finanzielle Zuwendungen, wie die Gruppe dem Portal T-Online bestätigte. „Es werden derzeit 41 Menschen für ihre Bildungsarbeit unterstützt“, sagt Sprecherin Carla Hinrichs. Und ihr Kollege Kim Schulz: „Unsere Einnahmen 2022 lagen bei knapp über 900.000 Euro. Die Ausgaben bei etwa 535.000 Euro.“ Das Geld komme aus Kleinspenden über die Webseite oder Paypal, ohne Spendenquittung.

Zudem meldet die Gruppe den Zulauf weiterer Aktivisten und wachsenden Rückhalt bei Wissenschaftlern, Künstlern, Kirchen. Die Linke signalisierte zuletzt Sympathie. Aber breite Unterstützung fehlt. In einer Civey-Umfrage vom November sagten 86 Prozent der Befragten, die Letzte Generation schade mit ihrem Vorgehen dem Anliegen des Klimaschutzes.

Der Protestforscher Jannis Grimm von der Freien Universität Berlin plädiert für ein differenziertes Bild. Auf die Klimapolitik hätten die Aktivisten keinen sichtbaren Einfluss gehabt, sagt Grimm. Doch hielten sie trotz Kriegs in der Ukraine, Energiekrise und Inflation die Klimakrise in den Medien. „Das ist natürlich ein wahnsinniger Erfolg.“

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( dpa/bea )