Kiezkneipen-Serie

Gute und schlechte Zeiten in der Mehrgenerationen-Bar

| Lesedauer: 6 Minuten
Katharina Viktoria Weiß
Das Willy Bresch ist eine der wenigen Kneipen, die den Mauerfall überstanden hat

Das Willy Bresch ist eine der wenigen Kneipen, die den Mauerfall überstanden hat

Foto: Katharina Viktoria Weiß

Traditionskneipen gibt es in Prenzlauer Berg nur noch wenige. Eine, die den Kiezwandel überlebt hat, ist das "Willy Bresch".

Immer wenn die Tram M10 an der Greifswalder Straße, Ecke Danziger Straße hält, steigt ein ganzer Schwall an Menschen aus und wuselt sich über die Kreuzung, die auch von Autos und Fahrradfahrern dicht befahren wird und über die sich Kinderwägen und Pizza-Lieferservice-Boten drängen. Direkt an dieser Ecke steht das "Willy Bresch". Es ist früh am Tag, der Laden ist leer. André Voigt wischt über seinen sauberen Tresen und hört Radio. Er vermutet, dass die wenigsten von denen, die da draußen am Fenster vorbei laufen, in Prenzlauer Berg geboren sind. In seinem Laden, einem der traditionsträchtigsten Bierlokale in der Gegend, hat er sie zumindest noch nie gesehen. Aber auch die, die schon einmal im Willy Bresch waren, haben oft keine Ahnung, wer dieser Willy Bresch, von dem die Kneipe seinen Namen hat, eigentlich war. Dabei ist gleich beim Öffnen der Türe spürbar, dass dieser Ort mit seiner rustikalen, schlichten Gemütlichkeit eine lange Geschichte hat. Es ist ein Gefühl, das in der Luft liegt und sich vor allem durch den Kontrast zu den neuren Bars im Kiez beschreibt: „Mein Großvater Willy hat die Kneipe hier 1966 gegründet. Seitdem trägt sie seinen Namen“, sagt André Voigt, der 52-Jährige hat mittlerweile in der dritten Generation das Sagen hinter dem Tresen. „Opa ist in der Provinz Posen im heutigen Polen geboren, mit seiner Familie ist er nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin rüber, wo er zur Gastronomie kam."

Kienzkneipe "Willy Bresch": Zeitenwandel in der Mehrgenerationen-Bar
Zeitenwandel in der Mehrgenerationen-Bar

Als Chef lernte André Voigt den Mann, in dessen Kneipe er nun jeden Tag steht, aber nicht kennen – zum Zeitpunkt seiner Geburt lag die Verantwortung für die Eckkneipe bereits bei seinen Eltern, bei denen er ab 1987 mit einstieg. „Den klassischen Stammgast, so wie er vom Typus früher war, den gibt es so nicht mehr. Wir haben damals morgens um 8 geöffnet, da kamen dann gleich 15 bis 20 Leute rein. Manchmal wurde hier vormittags um 10 Uhr schon getanzt“, sagt André. Es sei nicht unüblich gewesen, dass der Tag auch gleich mit Bier und Schnaps anfing. „Die Leute mussten damals auch arbeiten gehen, aber da hat das keinen gestört.“

Jeder zweite Stammgast war plötzlich Sozialhilfeempfänger

Über dem Tresenregal prangen noch die Namen populärer DDR-Schnäpse. Der Pfefferminz-Likör ist auch heute noch als „Pfeffi“ von auf Studentenpartys ein Dauerbrenner. Der Kirsch-Whiskey hingegen wird so nicht mehr produziert und existiert nur noch in der Erinnerung vieler Ostdeutscher, die mit dem „Ki-Wi“ die ersten Teenager-Räusche erlebten. „Die 80er waren wild“, sagt André. „Dann kam die Wende und damit auch eine sagenhafte Arbeitslosigkeit im Kiez. Das war ein deutlicher Einschnitt, auch geschäftlich für uns hier. Jeder zweite Stammgast war plötzlich Sozialhilfeempfänger und arbeitssuchend. Da muss ich ganz ehrlich sagen, das waren schlechte Zeiten. An die 90er haben viele, die hier aufgewachsen sind, keine guten Erinnerungen.“

Prenzlauer Berg hat eine Entwicklung durchgemacht, die den Aufstieg Berlins zur Metropole versinnbildlicht, aber ebenso intensiv für den Abbau von alteingesessener Kiezgemeinschaft und erschwinglichem Wohnraum steht. „Vom baulichen Zustand ist alles schöner geworden. Nur die Mieten sind ja, wie wir alle wissen, nicht schöner geworden“, sagt André. Damit hat sich auch das Milieu der Gäste mit der Zeit verändert. Nicht nur Studenten genießen das nostalgische Flair, auch ausgebildete Akademiker trinken hier nach Feierabend mit. War früher das Lokal auch schon am Tag voll besetzt, so hat sich der Schwerpunkt nun auf den Abend verlagert. Das geschah auch im Zuge des Nichtraucherschutzgesetzes, welches Restaurants und Raucherbars strikt trennte: „Davor haben wir hier noch Essen angeboten. Da kamen dann nachmittags auch die Handwerker oder Büroleute, die hier ihre Currywurst oder Sülze mit Bratkartoffeln zu sich genommen haben.“ In einer Berliner Eckkneipe auf ein Rauchverbot zu bestehen, wäre unvorstellbar gewesen, deshalb entschied sich das "Willy Bresch" für das rauchende Stammpublikum und gegen das Angebot von Currywurst und Co.

Auch wenn rund um die Greifswalder Straße kaum etwas so geblieben ist, wie es vor 15 Jahren war, so bietet immerhin das „Willy Bresch“ etwas Beständigkeit: Statt geometrischer Dreiecke, digitalen Prints und glatten Materialien findet man hier eine stattliche Sammlung Bierkrüge vor, die in Regalen an den Wänden stehen. Die Tische sind seit 1966 dieselben und auch die Karte hat sich nicht verändert. Nach Club Mate fragen hier ohnehin die wenigsten: „Die Leute, die dieses Lokal betreten, die wissen scheinbar, worauf sie sich einlassen. Hier gibt es Bier und Schnaps.“

Axel Prahl kommt manchmal vorbei

André erzählt davon, wie im „Willy Bresch“ abends die Kunststudenten in der einen Ecke rauchen, während das Architektur-Start-Up in der anderen zum Feierabenbier zusammensitzt. Aber auch eine Schnapsrunde älterer Damen findet sich hier ein und mit dem ein oder anderen Urberliner, den die Mietpreise noch nicht vertrieben haben, hält André gerne ein Pläuschchen. Letztens ließ sich Tatort-Kommisar Axel Prahl im „Willy Bresch“ blicken. Für André Voigt ist aber egal wer kommt, Hauptsache die Gäste bringen gute Laune und guten Durst. Nur ein bisschen mehr Partys würde er sich wieder im „Willy Bresch“ wünschen. „Früher waren hier ganz wilde Faschingspartys und auch Neujahr war viel los“, erinnert er sich. Vielleicht kommen demnächst ja wieder mehr Feierwütige auf den Geschmack des Eckkneipen-Erlebnisses – Zeit bleibt den Berlinern genug, denn bis auf die beiden Weihnachtsfeiertage gibt es im „Willy Bresch“ jeden Tag einen kalten Pfeffi und ein warmes „Juten Tach!“.

Adresse:

Danziger Str. 120, 10407 Berlin; ab 10:00 Uhr geöffnet

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