Kiezkneipen-Serie

Berühmt-berüchtigt: Berliner Geschichten aus dem Hecht

| Lesedauer: 5 Minuten
Katharina Viktoria Weiß
Kiezkneipe "Zum Hecht" am Stuttgarter Platz: Am Ende einigen sich hier alle auf Schnaps

Kiezkneipe "Zum Hecht" am Stuttgarter Platz: Am Ende einigen sich hier alle auf Schnaps

Foto: Katharina Viktoria Weiß

In den 80ern stand die Kiezkneipe "Zum Hecht" im Herzen des Charlottenburger Rotlichtmilieus - jetzt feiern hier Studenten.

Als Westberlin noch ungezähmt war, in den 70er und 80er Jahren, da befand sich am Stuttgarter Platz das berüchtigste Rotlichtviertel der Hauptstadt. Schlägereien und Messerstechereien waren an der Tagesordnung, die Kiezkneipe „Zum Hecht“ lag mitten im Zentrum dieser Welt. In dieser Zeit übernahm Helmut Filusch das Geschäft, das ihm nicht nur den charakteristischen Namen, sondern auch viele denkwürdige Abende verdankt. Der über 80-Jährige hat die Gastronomie nun aufgegeben, im Anglerfachgeschäft direkt nebenan ist er aber weiterhin präsent. Kurz schaut er auch an diesem Tag im Hecht vorbei, reden sollen jetzt aber die jungen Menschen.

Schon bevor der Hecht sich in Charlottenburg als Kultkneipe etablierte, wurde in diesen Räumen getrunken und gefeiert. Nach dem Ersten Weltkrieg eröffnete die Familie Schneider dort die Gaststätte „Schneiders“. Die Zeiten veränderten sich rasant, im Guten wie im Schlechten. Im Jahr 1966 bezog die Kommune I das Nebengebäude. Die Hippie-Ikonen Rainer Langhans und Uschi Obermeier wohnten einige Monate im nebenstehenden Eckhaus Stuttgarter Platz/Kaiser-Friedrich-Straße und werden womöglich auch mal im Hecht über die sexuelle Revolution diskutiert haben.

Berühmt-berüchtigt: Berliner Geschichten aus der Kiezkneipe "Zum Hecht"
Berühmt-berüchtigt: Berliner Geschichten aus der Kiezkneipe "Zum Hecht"

"Der Bomber" übernimmt Kneipe im ehemaligen Puffkiez

Mittlerweile ist am ehemals zwielichtigen Stuttgarter Platz, der Stutti genannt wird, bürgerliche Ruhe eingekehrt. Die 52 Jahre alte Büroleiterin und Kellnerin Kathleen Kirsch fühlt sich wohler als früher: „Wenn man mir vor 20 Jahren gesagt hätte, dass ich Mal im Hecht arbeiten würde… Ne, ne! Früher war hier sehr viel Puff und sehr viel Millieu. Heute braucht man aber wirklich keine Angst mehr haben. Ich persönlich sehe das schon als Verbesserung!“ Sie gehört zum engsten Kreis des Teams um Karl-Heinz Heistermann. Der 55-Jährige ehemalige deutsche Schwergewichtsboxer kämpfte unter dem Namen „der Bomber“ gegen internationale Champions. Seit 2010 führt er den Hecht mit seinem Partner Mario Rode. Das Team hat es geschafft, die 24-Stunden-Kiezkneipe in ein neues Jahrtausend zu führen, ohne den Urberliner Charme zu zerstören. Es sieht edel aus im Hecht: Dunkle Antik-Möbel werden von stimmiger Dekoration und ansprechenden schwarz-weiß Fotografien ergänzt.

Die Preise sind trotzdem fair geblieben. Das Hecht-Bier der Hausmarke liegt bei 2,30 Euro. Der Whiskey Cola kostet 3,80 Euro. „Wir machen hier nichts mit Messbecher, wir gießen großzügig ein“, sagt Kathleen. Auch ein Publikum, das sonst eher in die Paris Bar gehen würde, kommt vermehrt hierher. Seitdem läuft Gin besonders gut im Hecht und die Kneipe hat sich auch eine stattliche Sammlung zugelegt. Gemischt bleibt das Gästebild trotzdem: „Wir haben den Hartz-IV-Empfänger am Anfang des Monats. Dann jede Menge Studenten, die kommen alle aus gutem Hause – aber das vergessen die dann gerne, wenn sie zu lange bei uns sind“, erzählt Kathleen lachend. „Hierher kommen aber auch Anwälte, einige Schauspieler lassen sich öfter mal blicken. Und wenn Hertha spielt, dann ist der Laden rappelvoll!“ Die Hecht-Stammgäste lieben vor allem die kostenlosen Schmalzstullen, die man sich in der Futterecke holen kann.

Champagnerfrühstück im Hecht

Ähnlich beliebt wie die Gratis-Stullen ist auch Burkhard, der früher Vortänzer im Café Keese war und dem die Leute hier im Kiez seit Jahrzehnten ihr Herz ausschütten. Interviews geben muss er nicht, aber er sagt: „Ich bin hier ohnehin bekannt wie ´ne Litfaßsäule.“ Doch wenn er erzählt, bekommt der Zuhörer direkt Lust auf eine wilde Party im Hecht. „Wilde Partys? Ja, die gibt es öfter“, beginnt Kathleen. „Ich hatte heute früh schon eine!“, wirft Burkhard ein. „Mit einem Gast musste ich heute um kurz vor sieben schon Veuve Clicquot trinken.“ Champagnerfrühstück im Hecht. Wer am Morgen ebenfalls zu Besuch war, ist die Kiezbekanntheit Bernd Termer. „König vom Stuttgarter Platz“ wurde der Rotlicht-Chef in den 80ern genannt. Ein Bild des ehemaligen Zuhälters hängt an der Wand, darauf posiert er auf einem dunkel glänzenden Oldtimer.

Der Hecht ist nicht heruntergekommen, er hat Geschichte. Was schimmelig war, wurde rausgeworfen, der Charakter des Ortes jedoch wurde von Heistermann und seinem Team vor allem durch die richtige Auswahl an Bildern und Materialien bewahrt. Deshalb fühlen sich hier vom Koch bis zum Kiezkönig, vom Architekturstudenten bis zur Ärztin alle wohl. Sogar zwei echte, ausgestopfte Hechte hängen mittlerweile in der Kiezkneipe. „Den einen haben uns die Angehörigen eines verstorbenen Stammgastes geschenkt. Der hatte dieses Ding zuhause hängen. Jedes Jahr an seinem Todestag kommen die Hinterbliebenen hierher und trinken noch einmal auf ihn - unterm Hecht, zum Hecht.“

Adresse:

Kaiser-Friedrich-Straße 54, 10627 Berlin; 24 Stunden geöffnet