Weil es an Fahrzeugen mangelt, setzt die BVG jetzt auch Oldtimer ein. Sonst fahren die Züge nur noch im nordkoreanischen Pjöngjang.
Immer mehr Fahrgäste, doch seit Jahren keine neuen Fahrzeuge. Gerade im Berufsverkehr platzt Berlins U-Bahn oft aus allen Nähten. Um den Wagenmangel ein wenig zu mindern, greifen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zu fast allen Mitteln.
Nun werden gar Museumszüge reaktiviert. Drei Doppeltriebwagen der Ende der 50er-Jahre gelieferten Baureihen D und DL werden von dem landeseigenen Unternehmen in den kommenden Wochen wieder in Dienst gestellt. Der Clou: Züge der rund 60 Jahre alten Modellreihen fahren sonst nur noch in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang.
Alte Technik, neuer Lack
Am Mittwoch hat die BVG in ihrer Betriebswerkstatt Friedrichsfelde den ersten wieder flottgemachten Oldtimer der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Doppeltriebwagen mit der Wagennummer 2020/2021 ist zwar in seiner Form weitgehend unverändert geblieben, präsentierte sich aber im frischen Sonnengelb. Der offiziell als „Verkehrsgelb“ bezeichnete Farbton prägt seit der Jahrtausendwende das Erscheinungsbild der BVG. Zu der Zeit, als die Wagen der Baureihe „Dora“ fuhren, waren die Züge noch in einem sichtbar dunkleren Ockergelb unterwegs.
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Taster ersetzen die Türklinken
Doch laut BVG musste vor der Inbetriebnahme der jahrelang abgestellten Wagen viel mehr getan werden als eine Umlackierung. „Damit sie wieder eine Zulassung bekommen, mussten sie technisch von Grund auf überholt werden“, sagte Martin Süß, der für U-Bahnfahrzeuge zuständige Abteilungsleiter bei der BVG. Was konkret bedeutete, dass bei allen Wagen die komplette Antriebstechnik und alle elektrischen, mechanischen und pneumatischen Bauteile nach Herstellervorgaben überarbeitet und teilweise ersetzt werden mussten. Hinzu kamen einige technische Änderungen, die heutige Sicherheitsbestimmungen vorschreiben.
So wurden etwa die Türklinken abmontiert und durch Taster ersetzt, die die Türen – begleitet von optischen und akustischen Warnsignalen – öffnen. Auch die je zwei Videokameras pro Wagen, auf deren Bilder die Polizei bei der Verfolgung von Straftaten zurückgreifen darf, sind neu. Den heutigen Sicherheitsstandards entsprechen auch die Sprechstellen, die es den Fahrgästen ermöglichen, den Triebfahrzeugführer über Notlagen im Wagen zu informieren.Auch am Fahrer-Arbeitsplatz hielt moderne Bedien- und Funktechnik Einzug.
Sitze in Dunkelgrün
Die Wagen bieten aber auch einiges vom BVG-Flair der 60er- und 70er-Jahre. Dazu gehören etwa die Sitze, die mit dem damals üblichen, dunkelgrünen Kunstleder bezogen sind. Oder die alten Leuchtstoffröhren hinter geriffelten Milchglasabdeckungen, die zwecks Energieeinsparung lediglich neue Vorschaltgeräte erhielten. Neben vielen neuzeitlichen Piktogrammen gibt es an den Wagenwänden auch einige alte Aufkleber zu sehen. Einer warnt etwa davor, dass das „Fahren ohne Fahrausweis“ mindestens 60 DM kostet. Stimmt ja irgendwie noch heute: Schwarzfahrer müssen inzwischen mit einer Strafe von 60 Euro rechnen.
Kosten: rund 1,9 Millionen Euro
Rund 1,9 Millionen Euro hat sich die BVG die Reaktivierung ihrer Museumszüge kosten lassen, was aber deutlich günstiger sein soll als ein Neubau. Ausgeführt wurden die Arbeiten von den Fahrzeugwerken Miraustraße in Hennigsdorf (Oberhavel), die auf zeitaufwendige Manufakturarbeit spezialisiert sind. Der nächste restaurierte Doppelwagen (Nummer 2000/2001) soll kommende Woche in Friedrichsfelde eintreffen, der noch ausstehende Zug der etwas jüngeren Baureihe DL (Wagennummer 2246/2247) wird laut BVG Ende des Monats erwartet.
Nach einigen Messfahrten sollen – voraussichtlich im Dezember – alle drei Doppeltriebwagen im regulären Fahrbetrieb erprobt werden. Einsatzgebiet sollen alle sogenannten Großprofillinien der BVG (Linien U5 bis U9) sein. Im ersten Quartal nächsten Jahres werden die drei Oldtimer dann auf die vorwiegend von Touristen genutzte Minilinie U55 wechseln und zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor hin- und herfahren. Dann sollen die Züge auch noch eine besondere Innen- und Außengestaltung erhalten. Einzelheiten wollten die BVG-Verantwortlichen noch nicht verraten. „Das soll eine Überraschung werden“, sagte BVG-Sprecher Markus Falkner.
Oldtimer fahren auf der U55
Die derzeit auf der U55 eingesetzten Züge der jüngeren F-Baureihe sollen dann auf die U6 wechseln, damit die BVG die vom Senat bestellten Mehrleistungen auf der Linie auch erbringen kann. Mit echter Verstärkung für ihren Wagenpark kann die BVG erst im Juli 2017 rechnen. Dann will Stadler die ersten Serienzüge der neuen Baureihe IK ausliefern. 44 der eigentlich für das schmalere Kleinprofil (Linien U1 bis U4) konzipierten Wagen (Wagenbreite 2,40 Meter) sollen eine sogenannten Spaltüberbrückung erhalten. So können sie dann auch auf den sogenannten Großprofillinien (U5 bis U9) fahren. Geplant ist ein Einsatz vor allem auf der Linie U5, die einen Großteil der Besucher der Internationalen Gartenschau (IGA) von der Innenstadt zum Ausstellungsgelände nach Marzahn bringen soll.
BVG verkaufte "Doras" nach Nordkorea
Die Baureihe D („Dora“) ist die erste Neuentwicklung für die Berliner U-Bahn nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie war notwendig, weil der Senat in den 50er- und 60er-Jahren das U-Bahnnetz mit neuen Linien stark erweiterte, zudem mussten altersschwache Vorkriegsfahrzeuge ersetzt werden.
Von 1956 bis 1965 beschaffte die BVG bei Orenstein & Koppel 115 Doppeltriebwagen, deren Wagenkästen in Stahlbauweise gefertigt sind. Es folgen 101 Einheiten, die mit Aluminiumteilen aufgebaut sind (Bauart DL). Nach der Ausmusterung der Züge verkaufte die BVG 1998/99 105 Stahl-„Doras“ nach Nordkorea, für die U-Bahn Pjöngjang. Statt Werbung sind in den Wagen die Porträts der Führer Kim Il-sung und Kim Jong-il aufgehängt.