Die Hannah-Höch-Gemeinschaftsschule in Reinickendorf ist eine gebundene Ganztagsschule. An vier Tagen in der Woche werden die Schüler von 6 bis 18 Uhr betreut, freitags bis 14 Uhr. Schulleiter Nuri Kiefer sagt, dass die Lernzeit für seine Schüler dadurch auf rund 40 Stunden pro Woche ausgedehnt werden konnte. „Neben dem normalen Unterricht gibt es viele ergänzende Angebote wie Aufgabenbetreuung, Sprachförderung und Lernberatung.“
Mittwochnachmittags ist an der Hannah-Höch-Schule AG-Tag. Grund- und Oberschüler können jeweils zwischen etwa 15 Arbeitsgemeinschaften wählen. Zum Angebot gehören Sport- und Kunst-AGs. Es gibt aber auch Arbeitsgemeinschaften für Mathematik-, Lernförderung, Soziales oder Schulgarten. Die Beteiligung an den Arbeitsgemeinschaften ist verpflichtend. „Nur Kinder, die nachweislich stark in außerschulischen Vereinen engagiert sind, können sich befreien lassen“, sagt Kiefer.
Die Hannah-Höch-Schule ist zugleich eine von 64 gebundenen Ganztagsgrundschulen in Berlin. Das heißt, die Schüler haben dort auch nachmittags Unterricht und ein verbindliches Angebot an Arbeitsgemeinschaften. Alle nehmen zudem am Schulessen teil. Auch die meisten der 120 Sekundarschulen und acht der 90 Gymnasien der Hauptstadt sind inzwischen gebundene Ganztagsschulen.
Auch beim Personaleinsatz liegt die Hauptstadt vorn
Berlin gehört beim Ausbau des schulischen Ganztagbetriebes deutschlandweit zu den Spitzenreitern. Das ergab ein Ländervergleich der Bertelsmann Stiftung, der am Donnerstag vorgestellt wurde. Laut Studie sind die Ganztagsschulen in der Hauptstadt länger geöffnet und haben mehr Personal als in vielen anderen Bundesländern.
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Vor allem bei den Grundschulen schneidet Berlin gut ab, haben die Autoren der Studie festgestellt. Demnach werden die Kinder in der Woche im Schnitt 16,2 Stunden zusätzlich betreut. Nur in Hessen, Hamburg und Schleswig-Holstein bieten gebundene Ganztagsgrundschulen noch mehr Lernzeit an. Noch besser steht Berlin beim Personaleinsatz da: Lediglich das Saarland setzt zusätzliche Pädagogen an Ganztagsgrundschulen mit mehr Wochenstunden ein.
Die Zusatzbetreuung kostet 33.000 Euro pro Jahr und Klasse
Vordere Plätze bei Personal und Lernzeit nimmt Berlin aber auch bei weiterführenden Schulen mit Ganztagsangebot ein. Die Studie hat allerdings nur gebundene Ganztagsschulen untersucht. In der Hauptstadt gibt es jedoch deutlich mehr Schulen mit offenem Ganztagskonzept, an denen die Schüler nur nach Bedarf nachmittags betreut werden. So besuchen etwa 85.000 Grundschulkinder offene Ganztagsschulen und rund 27.000 Kinder gebundene.
In den Grundschulen fallen für die Zusatzbetreuung der Studie zufolge Personalausgaben von 33.600 Euro pro Klasse und Jahr an. Auch das ist deutlich über Durchschnitt: Bundesweit sind es im Schnitt 22.700 Euro. Nur das Saarland lässt sich den Ganztag in der Grundschule mehr kosten, Bayern investiert ähnlich viel wie Berlin.
Die Qualität soll 2017 untersucht werden
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) kündigte an, noch mehr Ganztagsschulen ausbauen zu wollen, vor allem im Bereich der Gymnasien. „Ganztagsschulen haben familienpolitisch eine große Bedeutung, die daraus resultierende uneingeschränkte Vereinbarkeit von Erziehung und Beruf wird von Familien sehr geschätzt“, sagte sie der Berliner Morgenpost.
Dirk Zorn, Schulexperte und einer der beiden Autoren der Bertelsmann-Studie, sagte der Berliner Morgenpost: „Wir haben zunächst die Rahmenbedingungen für gebundene Ganztagsschulen untersucht und erfasst, wie viel Geld jedes Bundesland dafür ausgibt.“ Dabei hätten sie einen starken Unterschied zwischen den 16 Bundesländern festgestellt. Die Qualität der Angebote sei aber nicht Gegenstand der Studie gewesen, sagte Zorn. „Das wollen wir 2017 untersuchen.“
Die Quantität der Angebote ist hoch, doch es mangelt häufig an der Qualität
Klar sei aber schon jetzt, dass die Qualität der Ganztagsangebote oft noch zu wünschen übrig lasse, auch in Berlin. Dort haben Eltern, Verbände und Gewerkschaft deshalb kürzlich das Bündnis für „Qualität im Ganztag“ gegründet. Roland Kern vom Dachverband Berliner Schülerläden (Daks) sagte dazu: „Während das Betreuungsangebot in den vergangenen zehn Jahren quantitativ enorm ausgebaut worden ist, stagniert die Qualität oder ist sogar rückläufig.“ Das habe zur Folge, dass das Bildungsprogramm nicht durchgesetzt werden könne.
Nach Aussagen des Bündnisses ist die Situation an den Schulen teilweise prekär: Fehlende Räume oder Doppelnutzung von Klassenzimmern, mangelnde Betreuung, Essen in Schichten in der Mensa, keine Kapazitäten für Förderangebote – das sind nur einige Probleme. Der Ganztagsbetrieb an der Schule bedeute nicht nur Betreuung, sondern auch Förderung, Bildung und Erziehung, sagte Elvira Kriebel vom Paritätischen Landesverband.
Künftig solle eine Erzieherin für 15 statt 22 Schüler zuständig sein, forderte Doreen Siebernik von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Schulleiter Nuri Kiefer unterstützt das Bündnis. An seiner Schule würden mehrere Erzieher fehlen, sagte er. „Das gefährdet die Qualität des Ganztagsangebotes.“