Flüchtlinge in Berlin

Lageso-Helfer hat Geschichte über toten Flüchtling erfunden

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Flüchtlinge warten am Tag nach Aufregung um einen angeblichen Toten wieder vor dem Lageso

Flüchtlinge warten am Tag nach Aufregung um einen angeblichen Toten wieder vor dem Lageso

Foto: Kay Nietfeld / dpa

"Wir haben keinen toten Flüchtling", sagt eine Sprecherin der Berliner Polizei am Abend nach der Befragung des Flüchtlingshelfers.

Ein Flüchtlingshelfer hat den Fall eines toten Asylbewerbers in Berlin erfunden. „Wir haben keinen toten Flüchtling“, sagte eine Sprecherin der Polizei am Mittwochabend nach einer Befragung des Mannes, der den angeblichen Todesfall im Internet publik gemacht hatte. Der Flüchtlingshelfer habe zwar „die ganze Republik verrückt gemacht“ - aber eine Straftat sei sein folgenreicher Internet-Eintrag nicht.

Polizeisprecher: "Er hat sich die Geschichte ausgedacht"

Polizeisprecher Stefan Redlich bestätigte nach der Unterredung: "Er hat sich die Geschichte ausgedacht." Zu den Motiven machte Redlich keine Angaben. Die müsse der Mann selbst darlegen. Er sei in seiner Wohnung befragt worden. Er habe Mittwoch früh, als er die Tragweite seines Posts erkannt habe, alle Geräte abgeschaltet und sei auf Tauchstation gegangen. Redlich sagte, der Fall zeige, dass man Inhalte aus dem Internet "nicht ungeprüft veröffentlichen darf".

Die Berliner Behörden, Feuerwehr, Polizei, die Krankenhäuser hätten am Mittwoch mit einem enormen Aufwand zu dem vorgeblichen Todesfall recherchiert. Aus Sicht der Polizei erwarten den Mann keine strafrechtlichen Konsequenzen, sagte Redlich. Ob von anderer Seite zivilrechtliche Ansprüche gegen den Flüchtlingshelfer geltend gemacht werden, müsse man abwarten.

"Moabit hilft" hatte Meldung via Facebook verbreitet

Das Bündnis "Moabit hilft" hatte via Facebook verbreitet, ein 24 Jahre alter Syrer sei in der Nacht zu Mittwoch gestorben. Zuvor habe der Mann tagelang vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) angestanden. Ein Helfer habe den stark fiebernden Mann dann am Dienstagabend zu sich nach Hause genommen.

Wegen seines schlechten Zustandes sei der Mann von einem Krankenwagen aus der Wohnung des Helfers abgeholt worden. Auf dem Weg habe er einen Herzstillstand erlitten - im Krankenhaus habe nur noch der Tod festgestellt werden können. Später wurde der Facebook-Post gelöscht.

Polizei und Sozialbehörde prüften den Fall

Eine offizielle Bestätigung des Todesfalls durch die Polizei gab es am Mittwoch nicht. Schon am Nachmittag sagte eine Sprecherin: "Derzeit gibt es nichts, was diese Darstellung bestätigt."

Auch die Feuerwehr hatte am Mittwoch die Notarzteinsätze überprüft. Feuerwehrsprecher Sven Gerling sagte der Berliner Morgenpost im Lauf des Tages: „Wir haben für die letzten 24 Stunden keinen Einsatz am Wohnort des Flüchtlingshelfers, der ins Suchraster passt.“ Die Feuerwehr hatte zwei Mitarbeiter abgestellt, die den ganzen Tag in diesem Fall recherchierten. Selbst wenn man bis zum Jahresanfang zurückgehe, sei kein Fall zu finden, der mit dem vom Flüchtlingshelfer behaupteten übereinstimme, sagte Gerling. Auch bei den Rettungseinsätzen von Deutschem Roten Kreuz (DRK), Johanniter, Malteser sowie Arbeiter-Samariter-Bund, die auf den Wachen der Feuerwehr im Stadtgebiet stationiert sind, hätte es im entsprechenden Zeitraum keine Einsätze gegeben, die auf den von „Moabit hilft“ beschriebenen Fall passen würden.

Czaja: Keine Hinweise - "und darüber sind wir auch froh"

Es gebe derzeit keine Hinweise darauf, dass es einen Toten gegeben hat, sagte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) dann am Abend in der RBB-„Abendschau“. „Und darüber sind wir auch froh.“

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Helfer wollte mit niemandem sprechen

Vertreter von "Moabit hilft" hatten am Tag auf Anfrage den Namen des Krankenhauses, in das der Syrer eingeliefert worden sein sollte, nicht nennen können. Zunächst hieß es es unter anderem nach Informationen des Piraten-Abgeordneten Fabio Reinhardt, der Helfer wolle sich am Nachmittag vor dem Lageso äußern. Auch die Polizei war vor Ort und wollte den Mann zu dem Vorfall befragen.

Gegen 14.45 Uhr hieß es dann, der Mann werde nicht kommen. Er hatte sich nach Angaben der "Moabit hilft"-Mitarbeiter zuhause verbarrikadiert und wollte mit niemandem sprechen. Das habe er in einer SMS mitgeteilt und darin auch erklärt, sich noch früh genug an die zuständigen Behörden wenden zu wollen, hieß es zu diesem Zeitpunkt. Die Polizei klingelte nach eigenen Angaben am Nachmittag ebenfalls zunächst vergeblich.

Ein Sprecherin des Bündnisses hatte noch am Nachmittag betont, man habe keinen Anlass, die Angaben des Helfers anzuzweifeln.

Mitte-Stadtrat: "Wir brauchen stärkere staatliche Strukturen"

Christian Hanke (SPD), Bezirksbürgermeister in Mitte, hielt die Schilderungen des Bündnisses am Mittwoch zunächst für glaubwürdig. Er hatte am Morgen aus den sozialen Medien vom angeblichen Tod des Syrers erfahren. Unabhängig von den vielen offenen Fragen, die geklärt werden müssen, sagt Hanke: "Wir brauchen stärkere staatliche Strukturen vor Ort". Man könne die Versorgung der Flüchtlinge am Lageso nicht der Zivilgesellschaft überlassen. "Das ist auch nicht ihre Aufgabe."

"Alle können sich vorstellen, dass so etwas passiert"

Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram, die als Rechtsanwältin in engem Kontakt zu den Flüchtlingshelfern steht, konnte sich am Mittwoch zunächst auch keinen Reim auf die Geschichte machen. Das Schlimme sei aber, „dass sich alle vorstellen können, dass so etwas am Lageso geschieht“, sagte Bayram. Der Linken-Abgeordnete Hakan Tas sprach von einer „humanitären Katastrophe“, die sich weiterhin dort abspiele. Immer noch stünden nachts Hunderte Flüchtlinge Schlange vor dem Lageso in der Hoffnung, mit einem Termin auch an die Reihe zu kommen.

Czaja: Viele Flüchtlinge bekommen kein Geld ausgezahlt

Sozialsenator Czaja hatte eingeräumt, dass wegen eines hohen Krankenstandes in der Leistungsabteilung des Lageso derzeit viele Flüchtlinge kein Geld ausgezahlt bekämen und auch Selbstversorger in Gemeinschaftsunterkünften sich keine Lebensmittel kaufen könnten. Diese Entwicklung sei „absehbar“ gewesen, sagte Caritas-Direktorin Ulrike Kostka, die Sprecherin der Wohlfahrtsverbände.

Eine von Czaja favorisierte Lösung für dieses Problem ist aber geplatzt. Die Heimbetreiber weigern sich, den Flüchtlingen ihr Geld auszuzahlen. Das hätten die Träger in einem Krisengespräch mit dem neuen Lageso-Chef Sebastian Muschter klargemacht, sagte Kostka. Wenn die Heimbetreiber Geld zahlen, führe das zu Verteilungskonflikten in den Unterkünften, außerdem sprächen Sicherheitsbedenken dagegen: „In Turnhallen kann man kein Geld auszahlen.“

Dennoch soll es ein paar kleinere Lösungen geben, um die Notlage zu lindern. Heimbetreiber können über eine Hotline bedürftige Bewohner als Härtefälle melden, die dann schneller Geld bekämen. Das könne aber immer noch ein bis zwei Wochen dauern. Zudem werde Personal von der Erstregistrierung in die Leistungsabteilung versetzt.

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( mst/jof/BM )