Der Lageso-Helfer, der den Fall eines toten Flüchtlings erfunden hat, war offenbar betrunken. Auf Facebook kursiert eine Entschuldigung
Ein Flüchtlingshelfer am Berliner Lageso hat sich den Fall eines toten Asylbewerbers laut Polizei ausgedacht. „Er hat in der Vernehmung zugegeben, dass er alles frei erfunden hat“, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich am Mittwochabend nach der Vernehmung des Mannes. Dieser hatte den angeblichen Todesfall im Internet publik gemacht.
Im sozialen Netzwerk Facebook soll der Helfer am Donnerstag eine Entschuldigung gepostet haben, den die Zeitung B.Z. veröffentlichte: „Ich möchte mich bei euch aus tiefsten Herzen entschuldigen. Es tut mir unendlich leid, dass ich viele Menschen mit meiner falschen Aussage verletzt habe. Ich übernehme für das (…) die volle Verantwortung.“
"Seit einigen Wochen merke ich zunehmend, dass mich mein ehrenamtliches Engagement mehr und mehr an die Grenzen der psychischen und auch körperlichen Belastung bringt", zitierte die B.Z. den Helfer. Er berichtet demnach, dass er in der betreffenden Nacht betrunken von einer Feier nach Hause gekommen sei und dann das irreführende Posting abgesetzt habe.
Nachdem ihm am folgenden Tag bewusst geworden sei, was er angerichtet habe, habe er sich mit der Polizei in Verbindung gesetzt. "Ich habe erklärt, dass niemand gestorben ist", heißt es in dem Beitrag. Er habe "wachrütteln, etwas verändern" wollen, heißt es dort, habe aber "ein völlig falsches Mittel gewählt". Der Mann wolle sich aus der Flüchtlingsarbeit am Lageso zurückziehen. Kurz nach dem Posting deaktivierte der Mann sein Facebook-Profil.

Der Helfer galt als vorbildlich. Im November porträtierte ihn "Die Welt" als den "Mann, der 24 Flüchtlinge bei sich aufnahm". Er hatte zusammen mit seinem Partner überlegt, was er machen könne. Und so stellten sie Flüchtlingen, die spätabends am Lageso ankamen, einen Schlafplatz zur Verfügung. Bereits damals sagte er der Zeitung: "Irgendwann braucht jeder einmal eine Auszeit." Die emotionale Belastung habe ihn am meisten erschöpft.
Der freiwillige Helfer am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hatte in der Nacht zu Mittwoch auf Facebook mitgeteilt, dass ein 24 Jahre alter Syrer in der Nacht gestorben sei. Zuvor habe der Asylbewerber tagelang vor der Behörde angestanden. Der Mann habe den stark fiebernden Syrer zu sich geholt. Wegen seines schlechten Zustandes sei dieser von einem Krankenwagen abgeholt worden - und auf dem Weg in eine Klinik gestorben. Später löschte der Helfer den Facebook-Eintrag wieder, deaktivierte sein Profil - und tauchte einen Tag lang unter.
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Bündnis: "Ein großer Fehler, den wir da gemacht haben"

Bündnis-Sprecherin Diana Henniges hatte am Mittwoch in einer improvisierten Pressekonferenz gesagt, es sei "eine Katastrophe für uns", sollte sich herausstellen, dass es gar keinen Todesfall gibt. "Das würde bedeuten, dass wir unseren ehrenamtlichen Helfern nicht mehr trauen können." Henniges hatte den Helfer als sehr glaubwürdig bezeichnet und dessen Bericht im Namen des Vereins zunächst bestätigt.
Nachdem nun feststeht, dass der Fall erfunden ist, zeigte sich „Moabit hilft“ am Donnerstag in einer ersten Reaktion „fassungslos“. Den Helfer hätten sie in den vergangenen Monaten „als verlässlichen und integren Unterstützer an unserer Seite kennengelernt, der sich auf unterschiedlichste Weise für viele geflüchtete Menschen engagiert hat“, heißt es in einer in der Nacht auf Facebook verbreiteten Mitteilung. „Wir kennen seine Motivation (...) nicht, und wollen dies auch nicht kommentieren.“ Noch am Abend hatte Henniges in der RBB-Abendschau ihr Vertrauen in den Helfer bekräftigt.
"Das ist ein großer Fehler, den wir da gemacht haben", sagte Henniges am Donnerstagmorgen dem RBB-Sender Radio Eins." (Der Helfer, Anm. d. Red.) ist abgetaucht, er hat nicht mit uns gesprochen. Er hat uns alleine damit gelassen." Man werde aus dem Fehler lernen müssen. "Wir sind kein mittelständisches Unternehmen, wir sind Ehrenamtler und bemühen uns, gute Arbeit zu machen", so Henniges. In Zukunft werde man besser prüfen.
Todesmeldung keine Straftat
Bereits nach der ersten Befragung des Mannes hatte eine Polizeisprecherin klargestellt: „Wir haben keinen toten Flüchtling.“ Der Helfer habe zwar „die ganze Republik verrückt gemacht“ - aber eine Straftat sei sein folgenreicher Internet-Eintrag nicht. Wie Polizeisprecher Redlich sagte, habe der Mann in der Vernehmung seine Motive dargelegt. Diese müsse der Helfer jedoch selbst offen legen. Henniges sagte dazu: "Vielleicht war es Überbelastung, eine Reaktion auf die Arbeit, aber das ist nur Spekulation. (...) Das muss er mit sich selbst und seinem Gewissen ausmachen."
Henkel fehlt für den Vorfall "jedes Verständnis"
Innensenator Frank Henkel (CDU) verurteilte das Verhalten des Helfers am Donnerstag scharf. „Das ist eine der miesesten und perfidesten Aktionen, die ich jemals erlebt habe. Berlins Behörden mussten über Stunden mit hohem Aufwand nach einem erfundenen ‚Lageso-Toten‘ suchen. Geschadet wurde auch den vielen Ehrenamtlichen, die in unserer Stadt jeden Tag wichtige Arbeit leisten." Für den Vorfall fehle ihm "jedes Verständnis."
Verantwortung würden auch diejenigen tragen, die den erfundenen Fall "ohne jegliche Grundlage" bestätigt haben, darunter die Sprecherin des Bündnisses "Moabit hilft", sagte Henkel. "Wer solche Gerüchte streut und ungeprüft weiterverbreitet, legt es bewusst darauf an, die Stimmung in unserer Stadt zu vergiften", erklärte er.
Harsch fiel auch die Kritik von CDU-Generalsekretär Kai Wegner aus: „Die Lügengeschichte und die damit einhergehenden Reaktionen um einen angeblich toten Flüchtling sind ein Tiefpunkt der politischen Kultur. Hier wurde auf Basis einer falschen Behauptung eine Empörungsmaschine ohnegleichen angeworfen."
Der CDU-Fraktionsvorsitzende, Florian Graf, erklärte: „Die Erfindung eines toten Flüchtlings am Berliner Lageso ist der Gipfel einer monatelangen Diskreditierung des Berliner Sozialsenators Mario Czaja sowie des gesamten Lageso. (…) Die Erfindung eines toten Flüchtlings überschreitet jede Grenze von Moral und Anstand. (…) Jetzt gilt es, die unzähligen freiwilligen Helfer (…) vor einer pauschalen Kritik zu bewahren.“
Senat will weiter mit Helfern arbeiten
"Aus meiner Sicht müssen jetzt rechtliche Konsequenzen gegen den Urheber dieses Lügengebildes geprüft werden", forderte Henkel. Henniges hingegen befürchtet keine juristischen Folgen. Man werde weiter mit dem Senat zusammenarbeiten, Henkel sei da "eher Beiwerk".
Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) nahm die freiwilligen Helfer in Schutz, wie die "B.Z." berichte. "Wir überfordern die Ehrenamtlichen vor dem Lageso, so entstehen womöglich auch Vorfälle wie gestern. Wir müssen die Zivilgesellschaft entlasten und die staatlichen Strukturen stärken“, wurde er zitiert. Gleichwohl sagte er: „Für die Glaubwürdigkeit ist die Falschmeldung ein schwerer Schlag. Auch Berlins Image hat Schaden genommen.“
Auch Sozialsenator Czaja (CDU) hatte bereits am Vortag in der RBB-Abendschau betont, dass eine weitere enge Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern sehr wichtig sei. Mit Blick auf den Mann, der die Nachricht ins Rollen brachte, sagte Czaja: „Ich bin nicht der Auffassung, dass man zu Vorverurteilungen oder Allgemeinverurteilungen kommen sollte, wenn eine Person etwas getan hat, das für uns schwer verständlich ist.“
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