„Wir sind auf dem Boden gelandet“, sagt Klara Sucher. Und diese Landung war nicht gerade sanft. Klara Sucher ist Leiterin Kommunikation und Personal der Quinoa-Schule. Eine Pressesprecherin an einer Schule, das allein ist schon ungewöhnlich. Aber die Sekundarschule, die sie nach außen vertritt, ist es noch mehr.
Vor einem Jahr hat Quinoa in Wedding mit einer Klasse eröffnet, die heute von 26 Siebtklässlern besucht wird. Es ist Berlins erste und bislang einzige Privatschule für benachteiligte Kinder aus dem Kiez. Nur vier Familien zahlen Schulgeld, bemessen an der Berliner Kita-Gebühren-Tabelle. Nur in sechs Haushalten wird zu Hause Deutsch gesprochen.
Mit reichlich Ideen und Erwartungen ist die Schule gestartet. Quinoa ist der Name eines Getreides, das wegen seines hohen Nährstoffgehalts den Hunger auf der Welt bekämpfen könnte. Die Gründer der Schule, Fiona Brunk und Stefan Döring, wollen mit der Quinoa-Schule den Hunger der Kinder in Wedding bekämpfen. Den Hunger nach Bildung, nach besseren Chancen.
Zwei Drittel der Kinder im Kiez leben in Hartz-IV-Haushalten, 30 Prozent verlassen die Schule ohne Abschluss. Doch die Schulgründer glauben nicht, dass dies an den Schülern liegt. Sie glauben vielmehr an deren Potenzial und wollen dieses fördern. Unter dem Logo Quinoa steht: „Bildung für hervorragende Lebensperspektiven“. Ein Fach auf dem Stundenplan heißt Zukunft, darin sollen die Schüler ihre Stärken entdecken und in Praktika berufliche Möglichkeiten ausloten. Und in den meisten Fächern unterrichten zwei Lehrkräfte gemeinsam, damit auch wirklich alle Schüler erreicht werden.
Neues Schulfach: Zukunft
Doch nach einem Jahr muss Klara Sucher zugeben: „Es ist anstrengender, als wir es uns vorgestellt haben.“ Schon allein die Klasse ist eine Herausforderung. Die Altersspanne zwischen den Kindern in der Klasse umfasst fast vier Jahre, und breit sind auch die kulturellen und familiären Hintergründe. Die Familien kommen aus der Türkei, aus Bulgarien, Serbien, Bosnien und arabischen Ländern. Zwei Kinder waren vorher in Willkommensklassen. Andere haben schon mehrere Schulwechsel hinter sich. Manche haben Mobbing-Erfahrungen gemacht. Vielen wurde schon in der Grundschule vermittelt, dass sie wenig Bildungschancen haben.
„Jeder hat seine eigenen Bedürfnisse“, sagt Jonas Akaou. Der 27-Jährige unterrichtet die Klasse in dem Fach Interkulturelles Lernen. Dabei geht es gerade um das Thema Migration. Über ein Computerspiel sollen die Kinder in die Rolle eines Flüchtlings schlüpfen. Für einen Jungen ist das kein Rollenspiel, sondern die eigene Vergangenheit. Er ist mit seinen Eltern aus Libyen nach Deutschland gekommen. Die Flucht liegt erst einige Monate zurück, doch der 13-Jährige denkt schon an die Zukunft: Er will Arzt werden, und dazu braucht er Abitur.
Es sind solche Geschichten, die das Quinoa-Team in ihrer Arbeit bestätigen. Und trotzdem war das erste Schuljahr sehr anstrengend, gibt Klara Sucher zu. Vieles musste sich erst in der Praxis finden, viele Regeln mussten immer wieder angepasst werden. Die Lehrkräfte mussten auch oft organisatorische Aufgaben übernehmen. Das habe Unruhe hereingebracht und mitunter habe das Pädagogische darunter gelitten. Das wurde auch der Klassenlehrerin der bisher einzigen Klasse zu viel. Sie wird nach diesem Schuljahr wieder zurück an eine staatliche Schule gehen. Die Klassenleitung wird dann von Jonas Akaou übernommen.
Im neuen Schuljahr wird sich vor allem aber eines verändern: der Standort. Zunächst hatte die Schule befristet für ein Jahr eine 240 Quadratmeter große Büroetage an der Osloer Straße gemietet – zwischen Dönerbude und Currywurststand. Die Räume sind hell, aber klein. Eine Turnhalle und einen Schulhof gibt es nicht, in der Pause geht eine Lehrkraft, oft auch der Schulleiter selbst, mit der Klasse auf einen nahe gelegenen Fußballplatz. In den Sommerferien zieht Quinoa nun um in eine sechsmal so große ehemalige Gewerbeeinheit in der Kühnemannstraße am nördlichen Rand des Soldiner Kiezes. Dort gibt es dann auch genug Raum für eine weitere Klasse. Zunächst soll die Schule aber einzügig bleiben, also eine Klasse pro Jahrgang. Der Mietvertrag läuft zunächst über zehn Jahre mit einer Option auf Verlängerung.
Schüler und Schülerinnen fühlen sich an der Schule wohl
Doch nicht nur die Suche nach neuen Räumlichkeiten hat viel Energie geschluckt, auch die ständige Akquise neuer Sponsoren war anstrengend. Nur ein Viertel der Kosten werden durch staatliche Zuschüsse gedeckt. 550.000 Euro hat das erste Schuljahr nach vorläufigen Berechnungen gekostet, im kommenden Jahr werden die Ausgaben mit den größeren Räumen und einer zusätzlichen Klasse auf etwa 900.000 Euro geschätzt. Die Startfinanzierung kam von der Vodafone-Stiftung, inzwischen ist ein ehemaliger Vorstand der Deutschen Post Hauptsponsor. Dazu kommen viele Berliner Spender, die Schüler mit Stipendien unterstützen. Zwei Drittel der Summe für das kommende Schuljahr sind schon gesichert. und Klara Sucher ist zuversichtlich, dass auch der Rest zusammenkommt: „Jetzt besteht die Schule ja, das ist viel überzeugender als ein Konzept auf Papier.
Ein anderes Schulprojekt im Bezirk ist bislang allerdings an der Finanzierung gescheitert. Schon im vergangenen Jahr wollte die Bürgerschule Wedding eröffnen, „doch auch im kommenden Schuljahr sind wir noch nicht in der Lage zu eröffnen, weil die Finanzierung noch nicht gesichert ist“, sagt Koordinatorin Christiane Schraml.
Die Quinoa-Schule ist da ein gutes Stück weiter. Zeit zum Durchatmen haben Schulgründerin Fiona Brunk und ihr Team aber trotzdem kaum. Der Einsatz lohnt sich für sie aber trotzdem: „Es ist die wichtige Erkenntnis, die uns täglich motiviert: Die Schüler und Schülerinnen fühlen sich wohl an der Schule – so sehr, dass viele morgens schon weit vor Unterrichtsbeginn kommen und nachmittags länger bleiben. Dieses Wissen stärkt uns den Rücken für all die Themen, an denen wir noch arbeiten werden.“