Die Berliner SPD will im Bundesrat für die Homo-Ehe stimmen, die CDU nicht. Das stürzt die Koalition in Berlin in eine tiefe Krise. Michael Müller hat einen Streit vorangetrieben, ohne das Ende zu bedenken, meint Christine Richter.
Die Nervosität ist groß: Die Berliner SPD und die CDU sind tief in die Krise gerutscht – und dies wegen der Homo-Ehe, über die der Bundesrat am Freitag abstimmen wird. Denn die SPD mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller an der Spitze macht seit dem Referendum in Irland mächtig Druck, dass auch in Deutschland die Homo-Ehe eingeführt wird. Ein schönes Thema, mit dem man die Wähler, gerade auch die Homosexuellen in Berlin, der Schwulen-Hauptstadt Deutschlands, für sich gewinnen kann. Für die Berliner CDU ist es dagegen ein schwieriges Thema, denn die Bundespartei lehnt die Homo-Ehe nach wie vor ab. Um Zeit zu gewinnen, beschloss der Parteivorstand auf Vorschlag von CDU-Chef Frank Henkel, alle 12.000 Mitglieder zu befragen, wie sie’s mit der Homo-Ehe halten. Das Ergebnis – und das ist schon ein ehrgeiziges Ziel – soll Mitte Juli, kurz vor der Sommerpause, vorliegen.
Doch diese Zeit wollen die Berliner SPD und Müller der Union nicht gönnen. Am Dienstag beschloss der Senat völlig überraschend nicht, dass man sich – wie bei Konfliktfällen im Koalitionsvertrag vorgeschrieben – im Bundesrat der Stimme enthalten wird. Michael Müller verweigerte der CDU die Zusage, man hielt in der Senatssitzung nur fest, dass die CDU eine Enthaltung „erwarte“. Dünner geht es nicht. Und die CDU mit Henkel an der Spitze begriff das Verhalten Müllers richtigerweise als Kampfansage.
Doch wer bei der SPD denkt, Henkel sei ein Feigling, weil er damals, Anfang 2013, als Klaus Wowereit erneut einen BER-Eröffnungstermin absagen musste, alles mitmachte und eben nicht Wowereits Rücktritt verlangte, weil Henkel sich bei der Räumung des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz Anfang 2014 vorführen ließ, weil er kürzlich dann Müller bei der Besetzung des BER-Aufsichtsrats nachgab – wer also denkt, Henkel mache auch jetzt alles mit und akzeptiere eine Enthaltung im Bundesrat, der irrt.
Henkel ist seit vier Jahren Senator, er hat für sich viel erreicht. Gibt er, gibt die CDU in dieser Frage nach, dann wird er in dem verbleibenden Regierungsjahr bis zur Wahl im Herbst 2016 nichts mehr ausrichten können. Es geht jetzt ums Prinzip, genauer: Es geht um die Macht. Und erst in zweiter Linie um die Homo-Ehe.
In der SPD ist die Lage zwar eindeutig, weil alle für die Homo-Ehe sind. Der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß – der bekanntlich ja gegen Müller beim SPD-Mitgliederentscheid unterlegen war und offen schwul ist – wirbt in den letzten Wochen sehr für die „Ehe für alle“ und greift die CDU offensiv an. Stöß setzt damit aber natürlich auch den Regierenden Bürgermeister unter Druck, der in der weltoffenen Stadt Berlin nun Farbe bekennen müsse. Und weil Müller von der Partei so gedrängt wird, will er die Diskussion und die Angriffe auf die CDU laufen lassen. Zumal er wie viele in der Partei auch genervt ist, dass sich die Union so oft quer stellt – beispielsweise beim Thema Energie oder beim ICC.
Platzt die Koalition also wirklich? Oder ist dies nur eine der vielen kleinen und größeren Krisen? Nun, sollte Müller tatsächlich am Freitag die Hand für die Homo-Ehe heben, dann wird Henkel das Regierungsbündnis beenden – zumal er am Sonnabend auf einem CDU-Landesparteitag als Vorsitzender wiedergewählt werden will. Er wird seinen Delegierten nicht erklären können, warum er sich von Müller so vorführen lässt.
Entscheidet sich der Regierungschef jedoch doch noch, sich der Stimme zu enthalten, ja, dann hält die Koalition und ist der Frieden oberflächlich wieder hergestellt. Und dann ist Müller auf einmal derjenige, der vor der CDU und dem angedrohten Koalitionsbruch eingeknickt ist – obwohl doch die CDU beim Thema Homo-Ehe diejenige ist, die unter Druck steht. Auf dem SPD-Parteitag, ebenfalls am Sonnabend, müsste Müller seinen Delegierten erklären, warum er einen Streit vorangetrieben hat, ohne das Ende zu bedenken.
So sieht sie aus, eine Koalition in der Krise.