Um potenzielle Arbeitgeber und Arbeitnehmer schneller zusammenzuführen, gleichzeitig Menschen in Berlin eine Perspektive zu geben und so eine Win-win-Situation zu schaffen, ist mit Beginn des neuen Jahres die Initiative „Arrivo Berlin“ gestartet worden. Sie wird getragen von der Senatsverwaltung für Arbeit, der Handwerkskammer Berlin und dem Netzwerk für Bleiberecht „bridge“. Ihr Slogan, der von der kommenden Woche an auf Plakaten überall in der Stadt zu sehen ist, lautet: „Flüchtling ist kein Beruf. Talente brauchen Chancen.“
„Wir wollen damit weiteres Potenzial für Ausbildung ermitteln und Menschen in Berlin eine Perspektive schaffen“, erklärte Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD). Bereits heute fehlten zum Beispiel in Installateur-, Elektrotechnik- oder Bäckereibetrieben Fachkräfte. Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz bestätigte, dass das Berliner Handwerk ein Nachwuchsproblem hat: „Momentan sind viele Lehrstellen unbesetzt“, sagte Schwarz. „Viele geflüchtete junge Menschen in dieser Stadt bringen die benötigten Talente mit“, erklärte der Kammerchef. Sie besäßen auch die nötigen aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere eine Arbeitserlaubnis, und seien sehr motiviert. „Wenn wir Betriebe und Flüchtlinge zusammenbringen, ist beiden geholfen“, so Schwarz.
Der Start der Kampagne fällt mit einer Rechtsänderung zusammen. Im November hatte die Bundesregierung beschlossen, Flüchtlingen bereits nach drei Monaten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Vorher galt eine Frist von neun Monaten. „Flüchtlinge kommen in der derzeitigen Diskussion oft nur einseitig vor“, mahnte die Arbeitssenatorin. „Wir wollen mit ,Arrivo‘ den Blick auf die Flüchtlinge komplett ändern. Wir wollen ihn darauf lenken, was das für Menschen sind und welche Fähigkeiten und Talente sie mitbringen“, so Kolat. Ein Großteil von ihnen sei qualifiziert, habe vor der Flucht einen Beruf erlernt und bringe Berufserfahrung mit. „Viele wollen nicht von staatlichen Transferleistungen leben. Sie wollen sich einbringen und arbeiten“, sagte die SPD-Politikerin.
Vier Wochen in der Werkstatt
Das Internationale JugendKunst- und Kulturhaus „Schlesische 27“ organisiert seit mehreren Jahren Berufsvorbereitungsprogramme, auch für Flüchtlinge. Der Verein hat für „Arrivo“ mit Unterstützung von Berliner Innungen ein Konzept für ein Werkstattprojekt zur Berufsorientierung und zur Vermittlung der Flüchtlinge an Berliner Betriebe erarbeitet. Das zunächst auf sieben Monate angelegte Pilotprojekt ermöglicht Flüchtlingen mit Arbeitserlaubnis, eine handwerklich-praktische Berufsvorbereitung zu absolvieren und gleichzeitig lokale Arbeitsstrukturen kennenzulernen. Dafür wurde ein „Übungswerkstätten-Parkour“ eingerichtet. Sechs Innungen machen dort mit, die für Maler und Lackierer, für Dachdecker, für Sanitär, Heizung und Klima, für Metall- und Kunststofftechnik, für das Kraftfahrzeuggewerbe sowie die Berliner Baugewerksinnung.
Im ersten Schritt nehmen 25 Flüchtlinge an dem Werkstattprojekt teil – Jugendliche ab 16 und Erwachsene. Im Dezember vergangenen Jahres besuchten sie einen Deutsch-Intensivkurs, in diesen Tagen startet der Parkour: Nun durchlaufen die Teilnehmer während eines halben Jahres im Monatsrhythmus Praxisstationen bei den Innungen. Jeweils am Ende einer Station entscheiden Teilnehmer und Projektleitung gemeinsam über den Einstieg in ein vierwöchiges Betriebspraktikum. Dieses ist im Idealfall der Zugang zu einer Ausbildung. Wer noch nicht so weit ist, durchläuft weiter den „Übungswerkstätten-Parkour“ und findet dann nach einer weiteren Station einen Praktikumsplatz in einem anderen Gewerbe. „Die Bildungsstätten der Berliner Innungen stehen bereit, den Flüchtlingen das notwendige Rüstzeug für den betrieblichen Alltag mitzugeben“, sagte Anselm Lotz, Vize-Innungsobermeister des Kraftfahrzeuggewerbes Berlin. Er ist überzeugt davon, dass „Arrivo“ Flüchtlingen und Betrieben gleichermaßen dient. Lotz ist ein gutes Beispiel dafür, wie gut das in der Praxis funktionieren kann. In seiner Autowerkstatt arbeiten 35 Menschen, knapp die Hälfte davon hat einen Migrationshintergrund, mehrere kamen als Flüchtlinge. Lotz spricht ungern von „Flüchtlingen“, das Wort „Migrationshintergrund“ mag er ebenso wenig. „Das sind Menschen dieser Stadt“, sagt er, „mir ist vollkommen egal, wo die Leute herkommen.“ Sie seien gleichwertige Mitarbeiter und würden auch gleich bezahlt.
„Öffnet Eure Türen“
„Es ist Gold wert, dass wir hier nicht irgendwelche Job-Maßnahmen haben, sondern dass die Betriebe dabei sind und Praktika anbieten. Dies haben wir der Handwerkskammer Berlin zu verdanken“, sagt Arbeitssenatorin Kolat. Sie ruft weitere Berliner Firmen auf, sich an der Kampagne zu beteiligen: „Öffnet Eure Türen für Praktikumsplätze. Dies bietet eine große Chance, Flüchtlinge als potenzielle Fachkräfte kennenzulernen.“ Beim Unternehmen Dr. Recknagel Gesundheitsservice stößt sie dabei auf offene Ohren. Der Fachbetrieb für Orthopädie, Rehatechnik und Sanitätsartikel hat über ein früheres Qualifizierungsprogramm zum Beispiel den Iraner Sam Toloie kennengelernt. Nach einem Praktikum begann der heute 34-Jährige dort eine Ausbildung zum Orthopädie-Techniker. Betriebsleiterin Heike Tschorr kann den Ansatz von „Arrivo“ nur bestätigen: Ein Vorteil für beide Seiten.