Neue Prokjekte

Worum sich Berlins Neubaubeauftragter kümmern will

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Isabell Jürgens und Brigitte Schmiemann

Foto: Massimo Rodari

Berlin braucht Wohnungen. Dringend. Deshalb gibt es den Neubaubeauftragten des Senats Frank Bielka. Im Interview spricht er über falsche Abrisse, Bauprojekte in Bezirken und Bürgerwillen.

Berlin braucht angesichts des ungebremsten Bevölkerungswachstums dringend neue Wohnungen. Zwar gibt es bereits erste ermutigende Signale aus der Bauwirtschaft. So stieg die Zahl der Genehmigungen für den Wohnungsbau in den ersten neun Monaten des Jahres 2014 auf 14.466. Das sind 5500 mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Nach Angaben der Investitionsbank Berlin (IBB) werden es bis Jahresende sogar rund 20.000 sein. Doch Baugenehmigungen sind noch lange keine Wohnungen. Fertiggestellt werden 2014 nach IBB-Angaben insgesamt knapp 8200 Wohnungen. Damit bleibt Berlin immer noch deutlich hinter dem selbst gesteckten Ziel von 10.000 neuen Wohnungen im Jahr zurück. Frank Bielka, 67, bis Oktober Chef des städtischen Wohnungsunternehmen Degewo, ist seit Anfang November der Neubaubeauftragte des Senats. In der Berliner Morgenpost erklärt er, was seine Aufgabe ist.

Berliner Morgenpost: Wozu braucht Berlin jetzt noch einen Neubaubeauftragten, ist das nicht etwas spät?

Frank Bielka: Die Berufung eines Neubaubeauftragten ist noch einmal eine Ergänzung zur Wohnungsbauleitstelle, die im Mai 2012 eingerichtet wurde. Meine Aufgabe wird sein, noch einmal ganz gezielt im Konfliktmanagement tätig zu sein, also bei den Projekten vermittelnd einzugreifen, die nicht so richtig vorankommen.

Konflikte zwischen privaten Bauherren und Bezirken?

Dabei muss es nicht immer nur um private Bauträger gehen. Ich schalte mich auch bei Problemen ein, die die öffentliche Hand mit einem Investor oder einem Bezirk hat. Eben überall, wo Hilfe gebraucht wird.

Aber genau das ist doch Aufgabe der Wohnungsbauleitstelle. Hat die nicht richtig funktioniert?

Der Senator wollte jemanden, der politisch und administrativ vernetzt ist, der die Szene kennt und dadurch leichter Türen öffnen kann. Da geht es auch um vertrauensbildende Maßnahmen.

Geht es nicht vielmehr darum, den Bürgerinitiativen, die sich nahezu gegen jedes Bauvorhaben gründen, zu begegnen?

Nein, der Mittler gegenüber den Bürgerinitiativen werde ich eher nicht sein, das müssen die Bauherren schon selbst übernehmen. Natürlich gibt es eine Reihe von Bürgerinitiativen, die gegen jedes Bauvorhaben vorgehen und damit Wohnungsneubau behindern. Das ist ja auch ein ständiger Kummer. Meine Gesprächspartner sind aber eher Investoren, Bezirksämter, Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften. Da versuche ich erst einmal auszuloten, warum ein bestimmtes Projekt schon so lange auf Halde liegt und biete dann meine Hilfe an.

Geht es etwas konkreter?

Ich bin ja erst seit 1. November im Amt, konkrete Ergebnisse kann ich da noch nicht präsentieren. Ich habe aber bereits mehrere Dutzend Gespräche geführt. Aus diesen Gesprächen haben sich bereits vier Projekte ergeben, um die ich mich kümmern werde.

Welche sind das?

Da bitte ich um Verständnis, wir wollen das in uns gesetzte Vertrauen nicht verspielen. Aber ich nenne einen ganz typischen Fall, wie er häufig bei mir auf dem Tisch landet. Da ist ein innerstädtischer Bezirk, der ein abrissreifes Gebäude auf einem recht großen Areal in seinem Fachvermögen hat. Für dieses sucht er, gestützt auch auf einen Beschluss der dortigen Bezirksverordnetenversammlung, bereits seit Jahren ein kulturelles Nutzungskonzept. Weil sich dieses jedoch wirtschaftlich nicht darstellen lässt, liegt das gesamte Grundstück brach. Ich versuche nun, mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen, ob es nicht besser wäre, den Weg dort für Wohnungsneubau freizumachen. Es geht um einige Hundert Wohnungen. Dazu werde ich durchaus auch den Weg in die BVV antreten, um bei den Politikern vor Ort dafür zu werben, den Stillstand zu beseitigen.

Als Degewo-Chef haben Sie noch bis 2009 rund 3500 Wohnungen abgerissen. Bereuen Sie das?

Das Land Berlin als Besitzer dieser Plattenbauten in Marzahn hatte damals sehr zum Abriss gedrängt. Die Degewo war da eher zurückhaltend. Mit dem Abriss haben wir Ende 2002 angefangen. Damals hatten wir noch hohe Leerstände in Marzahn, die Quote betrug 15 Prozent. Inzwischen stehen nur noch zwei Prozent der Wohnungen leer, und aus heutiger Sicht ärgert man sich natürlich über diese Fehlentscheidung. Die fußte damals übrigens auch auf der falschen Prognose, die uns einen weiteren Bevölkerungsrückgang vorhersagte.

Seit 2009 haben wir aber stark wachsende Einwohnerzahlen, und 2014 sind erstmals die Baugenehmigungszahlen deutlich in die Höhe gegangen. Das führt uns zu der Eingangsfrage zurück, ob Ihr Job sich nicht eigentlich bereits erledigt hat?

Es ist richtig, das Neubaugeschäft ist im Hause der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung abgekurbelt worden. Wir verzeichnen erstaunlich gute Baugenehmigungszahlen, und auch die Fertigstellungen sind deutlich nach oben gegangen. Doch zurücklehnen können wir uns auch angesichts der erfreulichen Zahlen noch lange nicht. Die hohe Zahl der derzeitigen Baugenehmigungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ja zunächst alle diejenigen Projekte auf den Weg gebracht wurden, deren Genehmigung relativ einfach war. Bauvorhaben brauchen aber einen langen Vorlauf von bis zu drei Jahren. Wir müssen also jetzt dafür sorgen, dass diese gute Entwicklung nicht wieder abreißt, sondern in den nächsten Jahren auf ähnlichem Niveau so weitergeht. Zuletzt kamen jeweils rund 40.000 Menschen im Jahr nach Berlin. Und es ist davon auszugehen, dass dieser Trend auch noch ein paar Jahre so weitergeht. Es bleibt also unverzichtbar, festgehakte Projekte wieder auf den Weg zu bringen.

Die Stadt wächst rasant, kommen Sie mit dem Neubau überhaupt hinterher?

Die Grundversorgung erfolgt über den Bestand. Wir haben 1,9 Millionen Wohnungen und bauen, wenn wir gut sind, pro Jahr 10.000 dazu. Das heißt, die Masse der Wohnungen ist ja da. Auch für Leute, die sich nicht so viel Miete leisten können. Es ist doch erfreulich, dass noch mehr Menschen nach Berlin ziehen, als selbst die optimistischste Bevölkerungsprognose angenommen hat. Alle Prognosen werden von der Realität übertroffen. Es sieht nach einem stabilen Bevölkerungswachstum auch in den nächsten Jahren aus. Es jammern so viele über die Zuzügler, aber es ist doch schön, wenn eine Stadt wächst und die Wirtschaftskraft sich zum Teil daraus entwickeln kann. Wenn sie schrumpfen würde, hätten wir ganz andere Probleme. Wir sollten stolz darauf sein, dass Berlin ein Anziehungspunkt geworden ist. Das hat natürlich Konsequenzen, für die Infrastruktur, für den Wohnungsbau.

Es hat vor allem auch für Bevölkerungsgruppen Konsequenzen, die die steigenden Mieten nur schwer aufbringen können. Muss die öffentliche Hand für Geringverdiener mehr geförderte Wohnungen bauen?

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat noch in seiner Funktion als Bausenator mit den städtischen Gesellschaften das Mietenbündnis geschlossen, um in die Entwicklung eine dämpfende Komponente reinzubringen, und die wirkt ja auch. Die Masse des Wohnungsneubaus wird nicht für die Geringverdiener sein. Das kann nur durch die Förderprogramme ausgeglichen werden. Aber der Neubau wird den Markt insgesamt entlasten.

Wäre es dann nicht besser, den Privaten das Bauen zu überlassen und die Bestände zurückzukaufen, die man 2005 verkauft hat?

Man kann das eine tun und muss das andere nicht lassen. Die Aktivitäten sind ein breites Spektrum. Die städtischen Gesellschaften sollen ihre Bestände ja erhöhen durch Neubau und Zukauf. Die Masse der Neubauten wird weiterhin von den Privaten mit rund zwei Dritteln gebaut werden. Der Rest teilt sich in Genossenschaften und städtischen Wohnungsbaugesellschaften auf.

Wo ist dann noch Handlungsbedarf?

Sie müssen die Aktivitäten verstetigen. Und das sind dann häufig die komplizierteren Fälle. Planungsrechtlich und auch vom Bürgerwillen her gesehen.

Und deshalb hebelt der Senat, wie jetzt bei den Buckower Feldern, die direkte Demokratie aus und zieht Bauvorhaben, bei denen es Anwohnerproteste gibt, an sich?

Ja, es wird seit einiger Zeit diskutiert, dass Bauvorhaben mit mehr als 200 Wohneinheiten ein dringendes Gesamtinteresse Berlins sind. Und ich glaube, dass die Bezirke manchmal auch ganz froh sind, wenn sie bestimmte Problemlagen an die Senatsverwaltung abgeben können. Mein Thema mit den Bezirken sind aber Projekte, die festgehakt sind und diese gemeinsam wieder flott zu kriegen. Das können leer stehende Schulgebäude sein, die nur noch abgerissen werden können, oder auch private Areale, die dringend eine Entwicklung bräuchten.

Und Sie werden nicht blockiert von Stadträten oder der Bezirksverordnetenversammlung, die vielleicht eine andere Lösung für solche Brachen anstreben?

Das kann man nicht ausschließen, aber ich bin eigentlich auch mit unterschiedlichen politischen Strömungen immer ganz gut ausgekommen. Da werden wir miteinander reden. Das gilt für die Genossenschaften und die Privaten genauso.

Werden Sie sich auch darum kümmern, dass ausreichend günstige Wohnungen gebaut werden?

Darauf achtet bereits die Senatsverwaltung. Es gibt Förderprogramme für die Unternehmen. Außerdem wird künftig noch mehr Wert bei den Baugenehmigungen auf städtebauliche Verträge gelegt, in denen ein bestimmer Anteil kostengünstiger Wohnungen bei einem Projekt festgelegt wird.

Und was wollen Sie gegen den wachsenden Unmut aus der Nachbarschaft bei Bauprojekten tun?

Nach meiner Erfahrung hilft es schon, sehr frühzeitig und transparent die Informationen weiterzugeben. Dann ist der Unmut schon sehr viel kleiner. Größtmögliche Transparenz beruhigt. Nichts ist schlimmer, als wenn die Leute das Gefühl haben, hinter ihrem Rücken passiert etwas. Das geschieht nicht immer aus bösem Willen. Investoren sollten in dieser Weise auch beraten werden.

Aber es geht auch darum, kostengünstig zu bauen. Wohnungen ohne Balkon, ist das in Berlin wieder vorstellbar?

Für mich nicht. Ich finde, ein Balkon ist heute für viele Mieter unverzichtbar. Das weiß ich auch aus der Vermietung. Neu zu bauen ohne Balkons, das geht gar nicht. Die Erschließung mit Treppen und Gängen muss knapp gehalten werden, dazu ist eine gut durchdachte Innenstruktur der Häuser wichtig. Auf unterschiedlichen Etagen unterschiedliche Raumschnitte zu machen, sollte man ebenfalls vermeiden. Stränge sollten so organisiert werden, dass Küche und Bäder immer gleichzeitig bedient werden. Eine Vierzimmerwohnung muss nicht 100 Quadratmeter haben, es reichen auch 80 Quadratmeter.

Wie fühlt man sich, wenn man aus der Wirtschaft zurückkehrt in die Verwaltung?

Als Staatssekretär Professor Lütke Daldup mich gefragt hat, ob ich Neubaubeauftragter werden wollte, fand ich das eine spannende Herausforderung. Und da ich noch nicht das Gefühl habe, Rosen zu züchten, sei eine lebensausfüllende Aufgabe, mach ich das gern.

Und was zeichnet sie als Problemlöser aus?

Ich glaube, ich kann das ganz gut. Ich glaube, ich kann widerstreitende Meinungen ganz gut zusammenführen. Vielleicht, weil ich Waage bin...