Luxussanierungen

Wenn Mieter 2900 statt 645 Euro für die Wohnung zahlen sollen

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Nick Kaiser

Foto: Felix Zahn / dpa

Mieter, die sich gegen Luxussanierungen wehren, brauchen einen langen Atem. Dulden sie die Maßnahmen jedoch, drohen ihnen oft drastische Mieterhöhungen – die Betroffenen hoffen nun auf die Politik.

Maike Ahlers und Sven Fischer leben seit 15 Jahren zusammen an der Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg. Seit einigen Monaten haben ihre beiden Töchter Atemwegs- und Hautprobleme. Die Eltern sind davon überzeugt, dass es an der Plastikplane liegt, die das Haus umhüllt. Seit mehr als einem halben Jahr wird die Fassade gedämmt, und die Plane sichert das Baugerüst ab. Weil dadurch keine frische Luft in die Wohnung gelange, atme ihre Familie die bei der Dämmung verwendeten Stoffe ein, meinen Ahlers und Fischer.

Damit die Plane verschwindet, beantragen sie bereits zum zweiten Mal eine einstweilige Verfügung. Die Richterin am Amtsgericht Berlin-Mitte lehnt den Antrag jedoch ab – wie vier Monate zuvor schon das Landgericht. Die Beeinträchtigungen des Gebrauchs der Wohnung seien nicht erheblich genug für eine einstweilige Verfügung, hieß es damals zur Begründung. „Ich würde es machen, fühle mich aber daran gebunden“, sagt nun die Richterin bei der Verhandlung im Amtsgericht. Sie mache die Gesetze nicht.

Derlei Antworten hören Ahlers und Fischer häufig von Ämtern und Behörden, an die sie sich wenden. „Jeder verweist an den Nächsten, und am Ende bist du wieder da, wo du angefangen hast“, erzählt Fischer. „Es hat mir ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen, zu merken: Es gibt keine Unterstützung.“

Bei Ahlers und Fischer an der Kopenhagener Straße spielt sich ab, was vielerorts in Berlin zu beobachten ist: Weil Kredite billig sind und immer mehr zahlungskräftige potentielle Mieter und Käufer nach Berlin kommen, sanieren und modernisieren Eigentümer Haus um Haus. Viele Alt-Bewohner können sich anschließend die Miete nicht mehr leisten.

Hohe Mieterhöhungen nach Sanierung und Modernisierung

An der Kopenhagener Straße begann es mit einem Besitzerwechsel. Nach dem Tod des bisherigen Eigentümers verkaufen dessen Erben im Frühjahr 2013 das Haus an die Christmann Unternehmensgruppe. Die spezialisiert sich nach eigener Darstellung darauf, in historischer Bausubstanz exklusiven Wohnraum zu schaffen. Im Herbst werde einigen Bewohnern plötzlich fristlos gekündigt, so Ahlers und Fischer. Der Grund sei meist Mietrückstand – etwa weil mit dem vorherigen Eigentümer Mietminderungen vereinbart waren, die aber nicht schriftlich dokumentiert seien.

Kurz darauf wird eine umfassende energetische Sanierung angekündigt – und üppige Mieterhöhungen für die Zeit danach. Ahlers und Fischer sollen statt 645 Euro künftig rund 2900 Euro zahlen. Die Mieter lehnen die Modernisierung ab, Christmann verklagt sie auf Duldung. Im März kommt das Baugerüst samt Plane. Es sei zermürbend, unter solchen Bedingungen zu leben, sagt Fischer. Etwa die Hälfte der einst 45 Mieter habe eine Abfindung angenommen und sei ausgezogen.

Damit gehe die Nachbarschaftlichkeit im Haus verloren, auf die Ahlers und Fischer großen Wert legen. Gemeinsam haben die Bewohner im Innenhof einen Spielplatz angelegt und ein jährlich stattfindendes Straßenfest namens „Nachbarsbraten“ ins Leben gerufen. „Wenn Menschen wie wir verschwinden, verschwindet auch so etwas“, meint Fischer.

Das sei nicht ihre Absicht, betont die Christmann-Gruppe. „Wir wünschen uns sehr, dass es bei der spannenden sozialen Mischung im Gebiet rund um den Falkplatz bleibt“, sagt das Unternehmen. Der Kiez werde durch immer mehr schöne Fassaden aufgewertet. „Leider ziehen viele Mieter weg, bevor sie von diesem Prozess profitieren können“, bemerkt Christmann. Man wolle einvernehmliche Lösungen mit den Mietern finden. Leider sei das Verhältnis aber angespannt.

Eine Handvoll Mieter stemmt sich gegen die Verdrängung

Das gilt auch für weitere Häuser mit anderen Eigentümern, allein in Prenzlauer Berg. In einem Mehrfamilienhaus an der Wisbyer Straße harrt eine Handvoll Mieter seit mehr als einem halben Jahr aus, während um sie herum leer stehende Wohnungen saniert werden. Im Innenhof wird die Fassade gedämmt, auch nachdem die Bewohner eine einstweilige Verfügung erwirken. Hier entstehen Eigentumswohnungen, die bereits zum Verkauf stehen.

Es finden Besichtigungen statt – auch in den noch belegten Wohnungen. Cornelia Hentschel lebt seit 1988 hier. Das Haus gehört seit etwa einem Jahr dem Immobilienunternehmen Inter Group. Hentschel sieht sich seitdem enormem Druck ausgesetzt, auszuziehen. Erst bekomme sie abendliche Anrufe mit Ablöseangeboten, noch bevor sich die neue Hausverwaltung meldet. Ohne Ankündigung, erzählt sie, beginne dann eines Tages die Modernisierung. Arbeiter wohnten zeitweise in den leerstehenden Wohnungen. Im April geht ein Rohr kaputt, Hentschels Wohnung steht unter Wasser, ist zwei Monate lang unbewohnbar.

Das größte Ärgernis ist für die Mieterin, dass der Eigentümer die Bewohner nicht über seine Pläne informiere. Andernfalls hätte man die Unannehmlichkeiten absehen und sich überlegen können, eine neue Bleibe zu suchen. Das komme nun nicht mehr infrage. „Ich habe schon so viel über mich ergehen lassen, da muss ich jetzt nicht kleinbeigeben“, sagt Hentschel. „Wo gibt es denn so was“, fügt sie hinzu, „dass man so tut: Jetzt komme ich, jetzt haut mal alle ab.“

Gegen „Immobilienlobby“: Gesetzgeber könnte in Berlin eingreifen

Das Haus sei in einem unvermietbaren Zustand gewesen, als er es kaufte, sagt der Geschäftsführer der Inter Group, Sascha Klupp. Die Dämmung schreibe ihm der Gesetzgeber vor. Er könne verstehen, dass die Bewohner nicht mehr zahlen wollen als ihre bisher sehr geringen Mieten. Aus seiner eigenen Sicht fördert Klupp aber den Fortschritt der Stadt, schaffe wertvollen Wohnraum und Arbeitsplätze. „Die Stadt entwickelt sich“, sagt er. „Die Handwerksbetriebe haben davon Arbeit und das Haus wird wieder in altem Glanz erstrahlen.“

Wie Christmann sagt auch Klupp, er wolle die Mieter nicht verdrängen. Doch gerade darauf ziele doch deren Geschäftsmodell ab, meint dagegen der für Prenzlauer Berg zuständige Baustadtrat des Bezirks Pankow, Jens-Holger Kirchner (Grüne). Die Möglichkeiten des Bezirks, das zu verhindern, seien jedoch beschränkt. Seit der Liberalisierung der Bauordnung vor zehn Jahren könnten Bauherren mit ihren Immobilien im Grunde tun, was sie wollen. Die Energieeinsparverordnung komme ihnen entgegen, ergänzt Kirchner. Sie erlaubt es, elf Prozent der Kosten einer energetischen Sanierung auf die Mieten umzulegen. Einen so guten Zins bekomme man bei keiner Bank.

Kirchner wünscht sich ein Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in sogenannten sozialen Erhaltungsgebieten wie der Wisbyer oder Kopenhagener Straße. Eine solche Regelung gibt es bereits in Hamburg und München. Der Berliner Senat hat sie ebenfalls beschlossen. Die Verordnung liegt laut Kirchner nun im Koalitionsausschuss. Die CDU und manche in der SPD hätten jedoch andere Interessen. „Man kann das so übersetzen: Die Immobilienlobby arbeitet gut in Berlin“, meint der Bezirksstadtrat.

Für eine Wende könnte der neue Regierende Bürgermeister sorgen. Als Stadtentwicklungssenator hat sich Michael Müller (SPD) regelmäßig für die Umwandlungsverbotsverordnung ausgesprochen. Für Mieter Sven Fischer aus der Kopenhagener Straße wäre sie „die absolute Basis“ der Lösung des Verdrängungsproblems. Investor Sascha Klupp warnt dagegen vor Stillstand auf dem Wohnungsmarkt. „Ich weiß nicht, ob die Politik so weit eingreifen sollte“, sagt er. „Wenn Sie ein Haus kaufen und nur vermieten wollen, ist das wirtschaftlich ein Totalschaden.“

( dpa )