Berlins früherer Regierender Bürgermeister Diepgen und mehrere Ex-Senatoren aus allen politischen Lagern sollen in der Debatte um neue Flüchtlingsheime vermitteln - und mit Bürgern Kontakt aufnehmen.

Ingrid Stahmer (SPD) hat härtere Zeiten erlebt. Als die Sozialsenatorin 1989 (West-) Berlins Sozialsenatorin war, kamen jeden Monat viermal so viele Flüchtlinge und DDR-Übersiedler in die Stadt als in diesen Tagen des Jahres 2014. Insgesamt 90.000 Menschen im Vergleich zu den derzeit 20.000 musste Stahmers Behörde seinerzeit unterbringen. „Damals haben wir ähnlich schnell Unterkünfte aufgemacht wie heute“, erinnert sie sich.

Jetzt soll sie mit drei weiteren Alt-Politikern im Berliner Beirat für Zusammenhalt helfen, die Diskussion in der Stadt über die Standorte für neue Flüchtlingsheime sachlich zu führen, und bei Konflikten vermitteln. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hat angesichts der vielerorts aufflammenden Proteste erkannt, dass die Kommunikation mit den Anwohnern verbessert werden muss und sich parteiübergreifende Unterstützung gesichert.

Dabei sind neben Stahmer der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), Ex-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) und der frühere Innenpolitiker der Grünen, Wolfgang Wieland. Dem Gremium steht eine Geschäftsstelle beim Paritätischen Wohlfahrtsverband zur Seite. Die Parität will für das Thema 100.000 Euro aus ihrer eigenen Stiftung aufbringen. 100.000 bis 150.000 Euro will laut Czaja die Senatsverwaltung beisteuern.

Unbequeme Ratgeber

Dass die Altpolitiker durchaus auch unbequeme Ratgeber sein können, hatte Czaja bereits geahnt. Und sofort bei der Vorstellung des Beirats im Roten Rathaus zeigten die Beiräte ihre Unabhängigkeit. Gemeinschaftsunterkünfte in der Dimension der geplanten sechs Containerdörfer mit 500 Bewohnern fände sie „eigentlich ganz schrecklich“, sagte Stahmer. Die Behörden müssten mehr Kraft in die Vermittlung und Information ihrer Pläne in den Stadtteilen setzen, damit nicht Unterkünfte schneller gebaut würden als man Bürgerversammlungen mache. Diepgen pflichtete in der Bewertung der Groß-Heime seiner früheren Senatorin bei. Er habe Verständnis für beide Seiten, sagte der Christdemokrat. Für die Bürger in der Nachbarschaft, die zu einzelnen Standorten Fragen und Kritik hätten und für die Verwaltung, die schnell Unterkünfte akquirieren müsse.

Nicht jeder, der sich kritisch gegen ein geplantes Flüchtlingsheim äußere, sei gleich ein Neonazi, sagte Diepgen. Man dürfe die Sorgen der Menschen nicht „belehrend wegdrücken“. Er selbst werde gerne zu Nachbarschaftsversammlungen kommen und ehrlich die Notwendigkeiten erklären. „Ich kann kein Gespräch mit Betroffenen erfolgreich führen, wenn ich Tatsachenverdrängung betreibe“, sagte Diepgen. Insgesamt habe Berlin aber die „Integrationsfähigkeit für mehrere 10.000 Flüchtlinge“, sagte der frühere Regierende Bürgermeister.

Im Konflikt um die immer noch in Teilen von Flüchtlingen besetzte Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg wird der Beirat sich nicht einschalten. Die Diskussion um die Schule und das Camp am Oranienplatz habe aber dazu beigetragen, von den wirklichen und langfristigen Problemen der Stadt mit den Flüchtlingen abzulenken, sagte Diepgen: „Das hat die Sorgen eher gesteigert.“

Jeder der vier Beiräte will jetzt mit den Gruppen den Dialog führen, die ihm jeweils am ehesten zuhören. Der Grüne Wieland kündigte an, mit denjenigen zu sprechen, die auf Demos „Flüchtlinge Willkommen“-Schilder hochhielten. Sie sollten zu konkreter Hilfe animiert werden, damit Worte und Taten besser übereinstimmten.

Lob für Protest gegen Rechtspopulisten

Der Protest linker und bürgerlicher Gruppen gegen eine rechtspopulistische Demonstration am Sonnabend hat unterdessen nach Einschätzung fast aller Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus Wirkung gezeigt. Der Linke-Fraktionsvorsitzende Udo Wolf betonte am Montag im Innenausschuss: „Es war ein ausgesprochen großer Erfolg, dass deutlich mehr Demonstranten kamen als Neonazis und vermeintliche besorgte Anwohner.“

Die Polizei wurde teilweise kritisiert, weil die Demonstration von 800 Anwohnern und Rechtsextremen in die Nähe eines Flüchtlingsheims in Hellersdorf gelassen wurde. Durch den Gegenprotest waren die rechten Demonstranten zum Abbruch ihrer Veranstaltung gezwungen worden.

Am Montagabend (19 Uhr) war erneut eine Demonstration mit 800 Teilnehmern gegen Wohncontainer für Flüchtlinge in Marzahn-Hellersdorf geplant. Eine Gegendemonstration ist ebenfalls angemeldet.

Polizeipräsident Kandt verteidigt Demo-Zulassung

Polizeipräsident Klaus Kandt verteidigte die Zulassung der auch von Neonazis initiierten Demonstration am Sonnabend. „Die Polizei kann Auflagen für Versammlungen von Rechten nicht strenger machen und diese nicht leichter verbieten als andere Versammlungen.“ Das Versammlungsrecht gelte für beide Seiten. Für eine Auflösung der Demonstration habe es keine rechtliche Grundlage gegeben.

Die Grünen-Politikerin Clara Herrmann sagte im rbb-Inforadio, die 3000 Demonstranten gegen die rechte Veranstaltung hätten gezeigt, dass es in Deutschland eine Willkommenskultur gebe.

Wolf forderte die Polizei auf, künftig Demonstrationen von rechtspopulistischer Seite nicht mehr in die Nähe von Flüchtlingsunterkünften zu lassen, um die Menschen dort nicht in Angst zu versetzen. Auch die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sprach von erforderlichen mindestens 300 Metern Abstand. Für dieses Problem gebe es noch keine Strategie der Polizei.

„Steinwurfweite sollte überschritten sein“

Der Chef-Justiziar der Polizei, Oliver Tölle, wies hingegen auf die Rechtsprechung hin, nach der Demonstrationen zwar mit einem Sicherheitsabstand, aber auch in Hör- und Sichtweite zu dem Gegenstand ihres Protestes oder einer Gegendemonstration zuzulassen seien. „Die Steinwurfweite sollte aber schon überschritten sein, so etwa 50, 60 Meter.“

Oliver Höfinghoff von den Piraten kritisierte die Polizei, weil sie eher die Demonstration zur Unterstützung der Flüchtlinge bewacht und „kriminalisiert“ habe als die Rechtsextremisten.