Ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen ruft zum Protest gegen eine für den heutigen Sonnabend angemeldete fremdenfeindliche Demonstration durch Marzahn-Hellersdorf auf.
Der Aufzug richtet sich gegen das Aufstellen von Wohncontainern für Flüchtlinge. Organisiert wird die Kundgebung laut Verfassungsschutz von Neonazis. Berlin werde sich „den dumpfen Hassparolen und der plumpen Stimmungsmache des rechtsextremen Mobs friedlich, aber beherzt entgegenstellen“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Freitag an. Die Vorsitzenden und Fraktionschefs aller Parteien sowie Berlins Spitzenpolitiker rufen einmütig dazu auf, ein Zeichen gegen Rechtspopulismus zu setzen.
Alle demokratischen Kräfte seien aufgefordert, dem Aufmarsch gegen Flüchtlingsunterkünfte und „rechten Wirrköpfen“ die Stirn zu bieten. Die Berliner sollten den Flüchtlingen nicht mit Vorbehalt oder Ablehnung begegnen, erklärte Wowereit. Allerdings müsse man auch die „Ängste und Unsicherheiten der Anwohner ernst nehmen und den Dialog führen, um Missverständnisse auszuräumen“, so der SPD-Politiker.
Aufzug mit 300 Personen
Ab 14 Uhr werden bis zu 1000 Teilnehmer bei der Demonstration der Rechtsradikalen erwartet. Angemeldet ist nach Angaben der Polizei indes lediglich ein Aufzug mit 300 Personen durch Marzahn und Hellersdorf.
Starten soll die Demonstration an der Kreuzung Raoul-Wallenberg- Ecke Jan-Petersen-Straße. Der Zug führt dann laut Polizei über die Raoul-Wallenberg-Straße, Landsberger Allee, Blumberger Damm, Eisenacher und Gothaer Straße über Alte Hellersdorfer und Hellersdorfer Straße; weiter über die Neue Grottkauer und Grottkauer Straße, Glauchauer, Nossener und Riesaer Straße bis zum Endpunkt am Alice-Salomon-Platz.
Zu dem Aufzug aufgerufen hat eine Bürgerinitiative namens „Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen“. Laut Verfassungsschutz werden daran nicht nur Neonazis, sondern voraussichtlich auch viele Anwohner teilnehmen, so wie erst am vergangenen Montag in Marzahn.
Bürgerinitiativen wie etwa der Verein „Hellersdorf hilft“, politisch linke Gruppen, Gewerkschaften wie der Deutsche Gewerkschaftsbund und Verdi wollen gegen die Neonazis protestieren, fordern Toleranz und Unterstützung für die Flüchtlinge. Insgesamt neun Gegenkundgebungen sind angemeldet, um sich den Rechtsextremen entgegenzustellen. Für eine dieser Veranstaltungen hat beispielsweise Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) ihre Teilnahme angekündigt.
Große Herausforderung für Berliner Polizei
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) mahnte friedliche Veranstaltungen an. „Die aufgeheizte Debatte darf nicht in Gewalt umschlagen und auf dem Rücken der Polizei ausgetragen werden“, sagte er am Freitag. Für die Sicherheitsbehörden seien die Demonstrationen eine große Herausforderung. „Die Berliner Polizei wird gut vorbereitet sein und Präsenz zeigen“, sagte Frank Henkel.
Die Extremismus-Expertin der Grünen, Clara Herrmann, begrüßte die zahlreichen Bündnisse für den Gegenprotest. „Rechtsextreme Stimmungsmache und Hetze gegen geflüchtete Menschen sind inakzeptabel“, sagte sie und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, die Berliner mögen sich weltoffen, tolerant und solidarisch zeigen, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.
Von Innensenator Henkel forderte sie, die Gegenproteste in Hör- und Sichtweite zuzulassen. Das sei nicht nur höchstrichterlich entschieden, sondern auch wichtig, um zu zeigen, dass Berlin sich gegen rechtsextreme Stimmungsmache stellt, so Herrmann.
Kritik an der Polizei
Hintergrund: Die Veranstalter von Protestaktionen gegen die jüngsten rechtsextrem-dominierten Aufmärsche gegen Asylunterkünfte in Buch, Marzahn und Köpenick hatten heftige Kritik an der Berliner Polizei geübt. So ist von massiven Behinderungen der Gegendemonstranten die Rede, die deren Aktionen ins Leere laufen ließen. Zudem beklagte die Deutsche Journalisten-Union (DJU), dass Rechtsextreme vor den Augen der Polizei folgenlos Pressevertreter bedrängen und bedrohen würden. Dies hatten zuletzt auch Fotojournalisten von der jüngsten Neonazi-Demo am Montag in Marzahn berichtet.
Die Gegner des Neonazi-Umzugs seien von Polizeifahrzeugen umringt und regelgerecht eingepfercht worden. Ein Sprecher der Gegendemonstration nannte das Vorgehen der Polizei überzogen und völlig unverhältnismäßig. Die DJU forderte von Innensenator Henkel, die Pressefreiheit an diesem Sonnabend sicherzustellen. Zusätzliche Unruhe verursachte am Freitag die Nachricht, dass offensichtlich Rechtsextreme im Internet eine Art Steckbrief mit Bildern und Namen von Fotojournalisten veröffentlicht haben. Die Betroffenen werden in der zugehörigen Überschrift als „Antifa-Fotografen“ tituliert und fühlen sich dementsprechend bedroht.
Eine weitere politische Demonstration ist für den Abend in Friedrichshain angekündigt. Für die alljährliche Silvio-Meier-Demonstration von linken und linksextremen Gruppen wurden bis zu 4000 Teilnehmer angemeldet. Silvio Meier war ein Hausbesetzer, der 1992 von einem Neonazi erstochen wurde. Der Beginn des Umzuges am U-Bahnhof Samariterstraße ist wegen des Neonazi-Aufmarsches von den Veranstaltern kurzfristig auf 18 Uhr verlegt worden.