Tourismusgipfel

In Berlin wird die Zukunft des Reisens diskutiert

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Eberhard von Elterlein

Foto: Massimo Rodari

Die Tourismus-Branche befindet sich in einem kräftigen Wandel. Beim Tourismusgipfel in Berlin diskutieren Fachleute die Bedeutung von Reisebüros in Zeiten der Online-Buchungen.

Viele Wege führen ans Urlaubsziel. Der eine geht in Berlin beispielsweise über Susanne Rose und der andere möglicherweise über Johannes Reck. „So, da haben wir den Anzahlungsbetrag, und da haben wir den Restzahlungsbetrag“, sagt die Leiterin des Reisebüros „Passat Reisen“ in der Gneisenaustraße. „Und wenn ich mich zehn Tage vor Reiseantritt nicht gemeldet habe, treten Sie mir bitte auf die Füße“, ergänzt die freundliche Frau und lächelt.

So einen persönlichen Kontakt haben die Gäste von Johannes Reck nicht. Dafür bekommen sie die Möglichkeit, vom Wohnzimmer aus per Knopfdruck die nächste Reise zu buchen. „Wir sind die weltweit größte Touren-Plattform mit 25.000 Ausflugsmöglichkeiten in 200 Städten weltweit“, sagt der Gründer und Chef des Reise-Start-ups Get your Guide (www.getyourguide.de).

Der gebürtige Kölner gründete mit vier Studienkollegen vor viereinhalb Jahren das Unternehmen. „Damals waren wir fünf Leute, heute haben wir 90 Angestellte“ sagt der 29-Jährige, mangels eigenem Büro im kleinen Besprechungsraum des Goldpunkt-Hauses in der Erich-Weinert-Straße in Prenzlauer Berg. Hier breitet sich seine Internetfirma auf zwei Etagen aus – einschließlich der neun Angestellten des Ausflugsportals Gidsy, das man im April gekauft hat. „Und wir werden noch mehr einstellen“, sagt Reck. Denn die Geschäfte laufen gut. Investoren haben mehr als 43,5 Millionen Dollar in das Start-up gesteckt, das zwei Filialen in Zürich und Las Vegas besitzt und mittlerweile Umsätze im dreistelligen Millionenbereich generiert.

Große Marktlücke entdeckt

„Ein Vorbild aller Reise-Start-ups“ nennt Michael Buller, Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb (VIR), das Unternehmen, „weil die die Szene gut kennen und von vorneherein gleich international gedacht haben.“ Mit einem breiten Portfolio von Vespa-Touren in Barcelona über Fußballkarten in Mailand bis zu Hubschrauberrundflügen in New York sprechen Reck und sein Team weltweit erlebnishungrige Städtetouristen an, die sich zum Sightseeing vorweg im Internet die besten Plätze und Zeiten für Museen oder Stadtführungen sichern wollen. Eine Marktlücke, die Reck entdeckte, als er vor fünf Jahren einen Tag zu früh in Peking landete und im Internet vergeblich nach Ausflugsmöglichkeiten vor Ort suchte. Klammheimlich befindet sich damit Get Your Guide auf dem Weg zum globalen Reisekonzern. Dieser leise Weg passt zur Stille im Großraumbüro, in dem nur das Klackern der Tastaturen zu hören ist.

Still ist es auch im schmucken Reisebüro von Susanne Rose, in dem sonnengelbe Wände, cremefarbene Sessel, und eine kleine Bar mit Weingläsern seit nunmehr 25 Jahren ein erstes Urlaubsgefühl vermitteln sollen. „Jetzt im Oktober ist es immer ruhig, das ändert sich erst, wenn im November die neuen Kataloge kommen“, sagt die 48-Jährige. Zu ihr und ihren sechs Mitarbeitern kommt, wer die persönliche Beratung sucht und schon bei der Buchung eine Ahnung von Ferien bekommen will: „Ganz querbeet, Paare, Rentner, Alleinreisende.“ Und die buchen dann vor allem Flüge, Pauschalreisen („da suche ich auch mal was extra raus, wenn wir einen Veranstalter nicht im Programm haben“), Kreuzfahrten („man muss die Schiffe kennen“).

Griechenland und Türkei beliebt

Lieblingsziele seien momentan Griechenland und Türkei, Bauchschmerzen haben die Berliner mit arabischen Ländern („die Kunden sagen: ‚Ich will nicht entführt werden und den Kopf abgeschnitten bekommen“‘). Dann beruhigt und berät Susanne Rose, die überzeugt ist: „Viele Kunden haben einfach keine Lust, 100 Stunden ins Internet zu gehen. Man bekommt einen Kaffee, und dann tun wir bei der Beratung alles, was wir können.“

Derlei Einsatz der Reisebüros ist auch dringend vonnöten. Denn der Markt untergeht gerade einen kräftigen Wandel. Darüber diskutieren am Montag auch Fachleute der Reisebranche auf dem Berliner Tourismusgipfel. „Zwar bleibt die Pauschalreise die wichtigste Organisationsform von Urlaubsreisen und das Reisebüro die wichtigste Buchungsstelle, ein Strukturwandel zu Gunsten von Einzelbuchungen, Unterkunftsanbietern und Internetportalen ist aber seit Jahren zu beobachten. Der Treiber dahinter ist die kontinuierliche Zunahme der Onlinebuchungen, von elf Prozent aller gebuchten Reisen im Jahr 2005 auf 31 Prozent im Jahr 2013“ stellt die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) in ihrer Reiseanalyse 2014 nüchtern fest.

„Online spielt heute bei 80 Prozent aller Reisebuchungen für die Recherche eine Rolle. Während 2006 lediglich 41 Prozent aller Befragten angaben, dass ihre Buchungen online beeinflusst waren, konnte nun gemessen werden, dass dies bei acht von zehn Reisen der Fall ist“, heißt es in einer Studie von 2013, für die Google, das Marktforschungsunternehmen GfK und Deutschlands größter Reiseveranstalter TUI Erkenntnisse über das Such- und Buchungsverhalten der Deutschen zusammengetragen haben. “

Kombination von on- und offline

Doch wer daraus nur abliest, dass diese zunehmenden Online-Bucher dem Reisebüro verloren gehen, der irrt, denn: „Jede zweite Reise beginnt heute mit einer Recherche im Internet und der abschließenden Buchung im Reisebüro. Gerade junge Familien und ältere Urlauber kombinieren on- und offline“, heißt es weiter in der Studie. „Genereller Trend ist, dass die Kunden bei einem komplexeren Produkt wie einer Familienreise oder einer Kreuzfahrt ins Reisebüro gehen. Geht es um ein einfaches Produkt wie den Kauf einer Zugkarte, die Buchung eines Hotelzimmers oder einen Flug innerhalb Europas, dann buchen das die Gäste online. Das geschieht altersunabhängig“, sagt Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverband. Das Eine geht nicht ohne das Andere. „Wir verkaufen im niedrigen zweistelligen Prozentbereich auch in mehr als 1000 Reisebüros in Deutschland“, gibt Johannes Reck zu.

„Es gibt relativ viele Kunden, die quer über die Stadt verstreut sind und online oder per Telefon von uns betreut werden. Das ist ja auch interaktiv“, sagt Susanne Rose. Ja, auch Get Your Guide habe sie im Programm, aber darüber redet sie offensichtlich nicht so gern. Lieber darüber, dass ein Veranstalter wie Dertour auch sehr gute Ausflüge anbiete. Und sie noch viel Potenzial sehe, vor allem bei den Zweitreisen. Susanne Rose muss so reden, denn die Konkurrenz ist hart: Um die Ecke gab es in Kreuzberg vor zehn Jahren noch zwei weitere Reisebüros. Die sind verschwunden.

Von der Online-Konkurrenz absetzen

Da gilt es, das eigene Profil zu schärfen und sich von der Online-Konkurrenz abzusetzen: „Expedia oder weg.de bietet doch das Gleiche an wie wir nur ohne persönliche Beratung.“ Für Onlineportale, die das Komplettprogramm eines Reisebüros anbieten, mag das stimmen. Doch viele Reise-Start-ups besetzen Nischen, sorgen für Transparenz, schneiden ihr Programm auf einen bestimmten Typen zu. „Online-Portale sorgen bei dem Überangebot an Reisemöglichkeiten für eine Auswahl“, sagt Michael Buller vom VIR. „Die Portale spitzen zu, wollen aber alle Kunden ansprechen.“

Und so finden sich unter den Berliner Reise-Start-ups viele Spezialisten: GoEuro in der Saarbrücker Straße vergleicht zum Beispiel Bus-, Bahn-, Flugzeug- und Mietwagenverbindungen in ganz Europa und erhielt für sein vielfältiges und übersichtliches Angebot gerade den Deutschen Unternehmer Preis 2014. Wimdu in der Voltastraße sucht preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten. Und Flyamo in der Hardenbergstraße informiert in Zusammenarbeit mit den Flughäfen kostenlos über Ankünfte, Abflüge und die kompletten Flugpläne.

Und wer dann gesehen hat, wann sein Flug nach Rom geht, landet entweder mit seiner im Reisebüro gebuchten Pauschalreise plus Ausflugspaket in der Ewigen Stadt – oder hat sich nach online gebuchtem Flug und Hotel auf Get Your Guide vorab eine „Segwaytour durch das Rom der Kaiser“ gesichert. Je nach Gusto, denn nach Rom führen ja viele Wege.