Statt Benimmregeln aufzustellen, wollen zwei Studentinnen Touristen mit Freiwilligendiensten in das Leben der Stadt integrieren - und so für ein besseres Klima zwischen Gästen und Berlinern sorgen.

Scheppernde Rollkoffer auf der Warschauer Straße, bierselige Menschenschwärme, die die Admiralbrücke zur Partymeile umfunktionieren und noch bierseligere Grüppchen, die mit Bierbikes Straßen blockieren – mit diesen Stereotypen werden Berlin-Besucher oft als Störenfriede abgestempelt.

Die beiden Studentinnen Hanna Lutz, 27, und Stephanie Frost, 26, wollen nun das Verhältnis zwischen Besuchern und Berlinern wieder verbessern. Nicht mit Benimmregeln, wie sie in einem von der Tourismusagentur Visit Berlin herausgegebenen Stadtführer zu lesen sind. „Nein, wir wollen den Touristen lieber Angebote machen, damit sie die Stadt besser kennenlernen und für sie sensibilisiert werden“, sagt Stephanie Frost. Eine wirkliche Annäherung käme doch nur zustande, wenn man mit Menschen vor Ort zusammenkäme, mit ihnen wohne oder arbeite, „aber diese Möglichkeit müssen Touristen erst mal bekommen“.

Nicht jeder kommt hierher, um Party zu machen

Und auch die Berliner müssten eine Chance bekommen, Besucher von einer anderen Seite kennenzulernen. Es reiche nicht zu sagen, die Touristen würden Geld in die Stadt bringen, die Nebenwirkungen müsse man eben erdulden. „Aber nicht jeder, der hierherkommt, will nur Party machen oder fährt im Reisebus durch die Gegend“, sagt Hanna Lutz. Viele hätten das Bedürfnis, etwas Gutes in der Stadt zu tun.

Tourismus, so sind die Studentinnen überzeugt, kann auch auch anders gehen. Daher haben sie eine Vermittlungsbörse von Freiwilligendiensten für Touristen gegründet: „Vostel“ – eine Wortmischung aus Volunteering und Hostel. Hier werden Touristen an gemeinnützige Organisationen vermittelt und arbeiten für einen Tag oder einige Stunden bei der Berliner Tafel , bei der Stadtmission oder bei dem Upcycling-Projekt „vergissmeinnicht“ der Young Caritas, wo ausrangierte Textilien zu neuer Kleidung und Accessoires umgeschneidert werden.

Idee zur Volunteering-Börse kam ihnen in Ecuador

Die Idee zu Vostel kam ihnen 10.000 Kilometer von Berlin entfernt, auf einer gemeinsamen Reise durch Südamerika. Als sie nach Ecuador kamen, konnten sie fast kein Wort Spanisch und kannten sich kaum aus im Land. Klassische Touristen eben. Aber das gefiel ihnen nicht. Darum haben sie statt in großen Hostels in kleineren Unterkünften von Privatleuten gewohnt, sie haben eine Sprachschule besucht und nebenbei Volunteer-Erfahrungen gesammelt. So hat Hanna Lutz, die Geografie der Großstadt studiert, bei einem Aufforstungsprojekt mitgearbeitet.

„Parallel haben wir die unschöne Entwicklung in Berlin beobachtet, dass Touristen nicht mehr so willkommen sind, wie sie es mal waren“, erzählt Stephanie Frost. Eine Entwicklung, die auch andere Metropolen derzeit erleben. Dabei glaubt sie, dass die Touristen oft als Sündenböcke herhalten müssen für Probleme, die sie nicht allein verursachen: „Lärm machen doch nicht nur Besucher, sondern auch Berliner, die abends genauso gern ausgehen.“ Die Stadt habe sich eben sehr schnell verändert, vor allem durch den starken Zuzug in den vergangenen Jahren. Da sei eine größere Rücksichtnahme auf allen Seiten notwendig. Auch die Studentinnen sind Zugezogene: Hanna Lutz kommt aus Nürnberg, Stephanie Frost aus Dresden. Vielleicht sind sie dadurch auch besonders sensibilisiert.

Projekt wirft noch kein Geld ab

Berlin schien ihnen jedenfalls der richtige Ort zu sein, ihre Idee zu verwirklichen. Ursprünglich wollten sie neben der Volunteering-Börse auch ein Hostel aufbauen. Doch die Hostel-Idee mussten sie schnell verwerfen. Zu aufwendig und zu teuer. Also haben sie sich ganz auf die Volunteering-Börse konzentriert. Auch die wirft vorerst kein Geld ab, denn die beiden wollen weder für die Vermittlung von Freiwilligendiensten eine Provision nehmen noch sollen gemeinnützige Organisationen für den Einsatz etwas zahlen.

Aber es gibt schon eine weitere Idee, die dann doch einmal Umsatz bringen könnte. Ihre Internetseite wollen sie zu einer Plattform ausbauen, auf der sie Angebote bündeln, die Berlin-Besuchern Einblicke in die Stadt abseits der ausgetretenen Event- und Sightseeing-Pfade geben und die vielleicht auch einen guten Zweck verfolgen. Sie stehen zum Beispiel in Kontakt mit der Initiative Clubmob, die Partys in der Stadt veranstaltet und die Einnahmen dann an Klimaschutzprojekte spendet. Aus all diesen Angeboten könnten Hanna Lutz und Stephanie Frost Touristen nach deren Bedürfnissen einen individuellen Besuchsplan zusammenstellen. Dafür könnten sie schon eine Provision nehmen, glaubt Stephanie Frost, die gerade ihr BWL-Studium abgeschlossen hat. Und vielleicht unterstützt sogar eines Tages die Stadt ihr Projekt, aber das ist bislang nur ein Traum.

Erste Annäherung beim gemeinsamen Kiezprojekt

Noch sind Stephanie Frost und Hanna Lutz erst einmal damit beschäftigt, auf sich aufmerksam zu machen. Im September hatten sie eine Auftaktveranstaltung in Neukölln. „Die Resonanz war sehr groß“, sagt Hanna Lutz. Gemeinsam mit Menschen aus dem Kiez und Touristen haben sie den Kannerplatz in Neukölln frisch bepflanzt. Im Viertel wird er gern Platz der Freundschaft genannt und Freundschaft konnten die Vostel-Gründerinnen an diesem Tag regelrecht spüren. „Da haben australische Touristen zusammen mit türkischen Jungen von nebenan eine Baumscheibe bepflanzt, mit Händen und Füßen haben sie sich verständigt, aber es hat geklappt“, erzählt Stephanie Frost. Seit diesem Auftakt kommen viele Anfragen. Ein paar Studenten haben bereits bei der Berliner Tafel mitgearbeitet und es gab schon Anfragen aus anderen Städten wie Karlsruhe und München, die das Konzept der Studentinnen gern auch bei sich umsetzen würden.