Alle Städte wollen in Zukunft smart sein. Smartphone-Apps verraten den schnellsten Weg von A nach B und das günstigste Verkehrsmittel. Ärzte betreuen Senioren über Telemedizin zu Hause. Heizungen fahren hoch, wenn die Außentemperaturen sinken. Elektroautos saugen nachts überzähligen Windstrom aus dem Netz. Behörden bearbeiten Bürgeranliegen übers Internet, und und und. „Die Stadt soll intelligent sein“, umriss Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) das Ziel, das alle teilen. „Die Einwohner haben den Anspruch auf Vernetzung, jederzeit und überall.“
Die 44. Unternehmertafel der Berliner Morgenpost und der Unternehmensberatung Kienbaum widmete sich der Smart City beziehungsweise dem Weg hin zu einer „schlanken, schnellen, schlauen Stadt“. Denn in der internetbasierten Revolution stecken gerade in der Gründerhauptstadt Berlin immense wirtschaftliche Möglichkeiten. „Ich möchte Berlin als führende Smart City in Europa sehen“, benannte Yzer den Anspruch, den alle in der Runde teilen. Die Stadt habe den Vorteil, dass man hier relativ schnell Pilotprojekte zur Anwendung bringen könne. Und: „Ich möchte, dass wir die Technologie unserer Unternehmen auch hier einsetzen“, so die Senatorin.
Diese Ansicht teilte Hardy Schmitz, Manager des größten Technologieparks Berlins in Adlershof. „Alle Welt traut uns das zu“, sagte der Chef der landeseigenen Wista, deren Tochterfirma Tegel Projekt auch für die Entwicklung des Flughafengeländes in Tegel zu einem Schaufenster für urbane Technologien zuständig ist. „Berlin hätte die Unternehmensbasis, eine Smart City zu werden“, sagte Schmitz. Und niemand verstehe, warum das in unserem „im Weltmaßstab schnuckeligen Stadtstaat so schwierig ist“.
Denn die Runde war sich auch einig, dass die Voraussetzungen Berlins beim Aufbau der Stadt der Zukunft zwar gut sind. Aber bei der Umsetzung hapert es doch gewaltig. Andere Städte, wie etwa Chicago, gingen deutlich mutiger voran. „Es liegt an politischer Entschlossenheit“, diagnostizierte Schmitz. Kienbaums Hauptstadtrepräsentantin Anne von Fallois stellte denn auch als Moderatorin die Frage in den Raum, wie sich denn konkrete Projekte „ausrollen“ ließen über die ganze Stadt.
Vorgaben der Stadt hindern Aufbau eines Wlan-Netzes
Senatorin Yzer selbst nannte zwei Negativbeispiele dafür, dass Berlin Chancen liegen lasse. Die Ausschreibung für die zusätzlichen Ladesäulen für Elektroautos sei nicht „hinreichend innovationsoffen“, sagte Yzer. Und über das freie Wlan-Netz für alle in der Stadt werde seit drei Jahren diskutiert.
Zum Thema Ladesäulen kann Knut Hechtfischer vieles beisteuern. Er ist Chef des Start-ups Ubitricity. Die Gründer haben ein System erfunden, bei dem unter anderem Elektroautofahrer an in Straßenlaternen eingesetzten Steckdosen ihre Wagen laden können. Gemessen und abgerechnet wird mit einem mobilen Gerät, das der Kunde dabei hat. „Wir würden gerne Prototypen zeigen in Berlin“, sagte der Jungunternehmer. Aber nicht einmal die 100 Laternen, die der Senat zugesagt habe, würden von der Stadtentwicklungsverwaltung zugewiesen. „Sie scheitern auf dem Amt, wenn sie bei einer Laterne den Deckel tauschen wollen“, beschrieb Hechtfischer seine Erfahrungen.
Peter Deider, bei der Deutschen Telekom zuständig für politische Interessenvertretung und Regulierung für Berlin und Brandenburg, konnte zum Thema Wlan Ähnliches berichten. Die Stadt stehe auf dem Standpunkt, dass andere sie beglücken sollen, so sein Eindruck. Die Vorgaben der Stadt für den Aufbau eines Wlan-Netzes hinderten Unternehmen, daraus ein Geschäftsmodell zu machen. Und in der U-Bahn verlange die BVG inzwischen die vierfache Miete von Telekom und Vodafone, die in den Tunneln schnelles Internet anbieten wollen. Wenn man schon zweistellige Millionensummen investiert und dann auch noch hohe Mieten bezahlen soll, dann werde das selbst für potente Unternehmen schwierig, die notwendige Infrastruktur für diesen Teil einer Smart City zu schaffen, so Deider.
Die Wirtschaftssenatorin möchte mit einer Reform des Vergaberechtes gegensteuern und mehr Neues ermöglichen. Die Behörden setzten „auf das Verlässliche“, sagte Yzer. Innovationen kämen nicht zum Zuge, weil es seine Zuverlässigkeit noch nicht belegt habe.
Open-Source-Lösungen in den Ämtern etablieren
Jedoch sind viele Ansätze einer Smart City ohne die öffentliche Hand als Treiber nicht zu denken. „Die Verwaltungsstellen wissen gar nicht, welche Verantwortung sie haben in unserer Innovationsstrategie“, sagte Dieter Fläming, Vorstand im Verband Infraneu, der sich dem Ausbau der Infrastrukturen in den neuen Bundesländern widmet.
„Smart City braucht eine smarte Administration und eine smarte Regierung“, sekundierte Nicolas Zimmer, Vorstandschef der Technologiestiftung und selbst Unternehmensgründer. Das müsse Chefsache sein. Senat und Behörden müssten ihre Daten offen legen, damit junge Unternehmen daraus Geschäftsmodelle entwickeln könnten. Er habe mit Unterstützung einer Stiftung angeboten, eine Gruppe von Computerspezialisten in die Ämter zu schicken, um dort sogenannte Open-Source-Lösungen zu etablieren. „Keine Verwaltung wollte die Brigade aufnehmen“, so Zimmer. Dabei sei Offenheit entscheidend. „Wir brauchen auch Signale an den Bürger. Die Menschen müssen verstehen, was wir hier tun und was sie davon haben.“
Michael Scherf, Vorstandsvorsitzender der Getemed Medizin und Informationstechnik AG aus Neukölln, machte auf die oft bremsende Rolle des Datenschutzes bei vernetzten Lösungen aufmerksam. Auch deswegen sei die elektronische Patientenkarte „ein Fiasko“. Er warb dafür, „den ländlichen Raum nicht zu vernachlässigen“. Denn gerade in abgelegeneren Regionen seien Patienten auf Telemedizinangebote von Berliner Kliniken angewiesen. Scherf verwies auf eine Schwierigkeit: So sei es nicht möglich, für Landesgrenzen überschreitende Projekte Wirtschaftsfördermittel zu bekommen.
Bei aller Kritik an den administrativen Hürden wurde an der Tafel in der Bibliothek des „Waldorf Astoria“-Hotels aber nicht nur Trübsaal geblasen. Professor Kai Strunz, der das Fachgebiet Energienetze und die Integration Erneuerbarer Energien an der technischen Universität leitet, ist nach eigenen Worten aus Amerika zurückgekommen, „weil man in Berlin die Energiewende gestalten kann“.
Cisco eröffnet Innovationszentrum
Die Kontrolle über die Netze böten den Ansatz, medienübergreifend zu handeln, etwa warmes Wasser aus überzähligem Strom zu erzeugen. „Wir müssen viel systemischer denken“, appellierte der Wissenschaftler. Das sieht auch Wolfgang Neldner so. Der Chef des landeseigenen Betriebes „Berlin Energie“ bewirbt sich um die Konzessionen für das Gas- und das Stromnetz. Berlin sollte darauf drängen, Bagger und andere Nutzfahrzeuge elektrisch anzutreiben. Das sei leise und wenn die Maschinen nachts nicht arbeiten, könnten sie den tagsüber aufgenommenen Solarstrom in die Netze abgeben und diese stabilisieren.
Gerade in der Elektromobilität sieht auch Andreas Schaaf große Chancen. Der Geschäftsführer des Carsharing-Anbieters DriveNow nannte Berlin für die „internationale Vorzeigestadt“ seiner Branche: „Die Elektromobilität wird bald ihren großen Durchbruch erleben“, prophezeite der Manager.
Christian Bogatu, der mit seiner neuen Firma Kiwi.ki schlüsselfreie Zugangssysteme zu Gebäuden entwickelt und unter anderem die Post und Abfallentsorger zu seinen Kunden zählt, wünscht sich mehr Offenheit für solche technischen Lösungen, aber auch mehr Kooperation mit etablierten Unternehmen. Die Stadt dürfe sich nicht nur auf reine Internetunternehmen stützen. „Die Hardware-Produzenten brauchen auch ein eigenes Zuhause“, sagte Bogatu.
Auf den Erfindungsreichtum junger Berliner Gründer setzt der amerikanische IT-Konzern Cisco, der auf dem Euref-Campus ein Innovationszentrum eröffnet, um alle möglichen Dinge mit dem Internet zu vernetzen. „Uns überzeugt, dass wir hier 40 Start-ups haben, die zu uns kommen oder schon hier sind“, sagt Bernd Heinrichs von Cisco. „Das hat man in London nicht.“