Dass Cisco ein weltweit führender IT-Konzern ist, scheint sich noch nicht überall in Berlin herumgesprochen zu haben. Die amerikanischen Manager des milliardenschweren Giganten aus dem Silicon Valley staunten jedenfalls nicht schlecht, als sie an einem Montagmorgen einen schlecht informierten und desinteressierten Regierenden Bürgermeister trafen.
Aber selbst ein übellauniger Klaus Wowereit (SPD) konnte das Engagement der Spezialisten für Router, Switches und andere Telekommunikationsinfrastruktur in Berlin nicht mehr torpedieren.
Zu attraktiv erschien den Kaliforniern der Standort Berlin wegen seiner Nähe zur leistungsstarken deutschen Industrie, der dynamischen Start-up-Szene der Hauptstadt und den vielfältigen Kooperationsmöglichkeiten mit zahlreichen Wissenschaftlern.
Denn Cisco arbeitet an einer Revolution, die bereits im Gange ist. Auf 700 Milliarden Euro schätzt Cisco das Wertschöpfungspotenzial aus dem „Internet of Everything“, aus der smarten Vernetzung aller möglichen Gegenstände, seien es Zahnbürsten, Parkplätze, Autos oder Züge.
Nah an der Forschung
In Berlin baut Cisco jetzt auf dem Euref-Campus am Schöneberger Gasometer ein Innovationszentrum auf, um die Vernetzung der Welt voranzutreiben und sich das damit verbundene Zukunftsgeschäft zu sichern. Die Amerikaner reihen sich damit ein in die Riege großer Unternehmen, die die deutsche Hauptstadt als den Ort für sich entdecken, an denen sie Neues entwickeln wollen. „Wir sind die Stadt der Innovationszentren, Accelerators und Inkubatoren“, sagte Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU), nachdem sie Cisco-Manager Bernd Heinrichs bei der Präsentation unter der Kuppel des Gasometers für das Engagement und die Unterstützung ihrer Verwaltung gedankt hatte. „Wir wollen die Referenzstadt sein für die Lösungen von morgen“, so die Senatorin. Dass sich Cisco gegen harte Konkurrenz für Berlin entscheiden habe, sei „ein Signal für den Standort Berlin“ und werde „Magnetfunktion haben für andere Unternehmen“.
Cisco, das 2013 rund 48 Milliarden Dollar (37 Milliarden Euro) umsetzte und 75.000 Mitarbeiter beschäftigt, leistet sich bereits fünf Innovationszentren für das „Internet of Everything“. Berlin ist nach Rio de Janeiro (Brasilien), Toronto (Kanada), Songdo (Südkorea), Barcelona (Spanien) und London (Großbritannien) der sechste Standort, an dem die Durchdringung herkömmlicher Branchen mit den Möglichkeiten des Netzes betrieben werden soll. Die Amerikaner organisieren das arbeitsteilig. Berlin soll für Produktion, Transport und Logistik zuständig sein. „Das ist ein großer Schritt für die Zukunft“, sagte Michael Ganser, der aus Warschau per Datenleitung zugeschaltete Cisco-Chef für Zentral- und Osteuropa.
30 Millionen Dollar will Cisco in das rote Backsteingebäude auf dem Euref-Campus stecken. „Sie investieren sehr viel in Technik und Ausstattung“, sagte der Euref-Eigentümer Reinhard Müller. „Sie bauen dort eine Schweizer Taschenuhr“, vergleicht der Immobilienunternehmer die Akribie der Amerikaner bei der Ausstattung ihres Zentrums. Mitte 2015 soll alles fertig sein. Dann soll es Raum für 100 bis 150 Mitarbeiter geben. Diese kommen nur zu etwa einem Viertel von Cisco selbst. Die anderen arbeiten offiziell für verschiedene Start-ups, denen Cisco nach den Worten von Bernd Heinrichs die Chance eröffnen möchte, über offene Zugangssysteme Anwendungen für die Cisco-Hardware zu entwickeln. Auch Kooperationspartner wie die Softwareentwickler von Bosch, vom Computerkonzern Intel oder vom Fraunhofer-Institut Fokus könnten ebenfalls Platz finden in dem Gebäude.
Berlin als Zentrum für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
Der Konzern arbeitet auf dem Euref-Gelände bereits mit einigen Instituten und Firmen zusammen. Mit dem Verkehrsforscher Professor Andreas Knie vom InnoZ, dem Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel, arbeitet Cisco an Systemen, um die Bewegung von Zügen besser zu überwachen und die Wartungen optimal eintakten zu können. Auch Schneider Electric ist schon Partner der Amerikaner. Mit dem Start-up Ubitricity, das auf dem Euref-Gelände unter anderem an mobiler Lade-Infrastruktur für Elektroautos tüftelt, arbeitet Cisco ebenfalls zusammen. „Euref bietet Start-up-Flair und ist nicht so riesig“, beschreibt Cisco-Manager Heinrichs die Vorteile des Geländes um das Gasometer. Dass Berlin weit weg sei von den Zentren der deutschen Industrie, sei kein Nachteil. Die Autokonzerne hätten angedeutet, dass die Hauptstadt als Zentrum für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten gut geeignet sei, so Heinrichs. Und für die jungen internationalen Unternehmen, die sie in eine Kooperationsbeziehung kriegen wollen, sei klar, dass sie eher nach Berlin als an einen anderen Ort in Deutschland kommen würden. „Wir formen hier ein internationales Netzwerk“, sagte Heinrichs.
Wirtschaftssenatorin Yzer hofft, dass diese vielfältigen Entwicklungsaktivitäten sich demnächst auch in Produkten „Made in Berlin“ niederschlagen. Denn inzwischen ist es Konsens unter Wirtschaftsförderern, dass Berlins Potenzial eben genau in der Verbindung erfindungsreicher Start-ups mit traditionellen Unternehmen liegen wird. „Wir müssen den Hype Berlin addieren mit industriellen Anwendungen“, sagte Stefan Franzke, der neue Chef der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner.
In den Brutkästen großer Unternehmen wachsen die Kleinen schneller als sie es aus eigener Kraft könnten. Zehn Prozent der Berliner Start-ups setzten bereits mehr als zehn Millionen Euro pro Jahr um, so Senatorin Yzer. Ciscos Kooperationspartner Bosch Software Innovations, die Software-Schmiede des schwäbischen Traditionskonzerns Bosch, hat sich schon 2011 die Innovationskraft aus Berlin gesichert, als sie das Technologieunternehmen Inubit schluckte. Inzwischen wird die Software-Tochter des Autozulieferers mit insgesamt 600 Mitarbeitern aus der Zentrale am Schöneberger Ufer heraus gesteuert.
Auch Energiekonzern Eon will sich in Berlin ansiedeln
Der westfälische Autozulieferer Hella hatte 2006 die Aglaia übernommen und die Firma zum Kern eines Entwicklungszentrums für ihre Sensorsysteme gemacht, die sie unter anderem dafür braucht, den Autofahrern Assistenzsysteme beim Fahren zur Verfügung zu stellen. Mehr als acht Millionen Euro hat Hella in Berlin investiert. Die russische Internetsuchmaschine Yandex hat 2014 ein Forschungs- und Entwicklungszentrum mit 150 Mitarbeitern im DomAquarée in Mitte eröffnet, um den eigenen Kartendienst weiterzuentwickeln. Die Lufthansa will ein „Innovation Hub“ aufmachen, um dort junge Unternehmen heranzuziehen, wie das „Wall Street Journal“ berichtet.
Die Wirtschaftssenatorin freut dieser Trend natürlich. „Cisco ist jetzt auch ein Berliner Unternehmen“, sagte Cornelia Yzer am Mittwoch sichtlich gut gelaunt. Schon in wenigen Tagen kann sie eine weitere gute Nachricht verkünden. Der Energiekonzern Eon wird in Berlin eine neue Einheit eröffnen, die sich um die digitale Transformation des Versorgers kümmern soll.