Litfaßäulen, Toilettenhäuschen, Kioske: Die Produkte der Wall AG prägen das Berliner Stadtbild. Seit 30 Jahren stellt das Unternehmen Stadtmöbel an den Straßen auf und verkauft die Werbeplätze darauf. Firmenchef Daniel Wall erklärt, warum auch Plakate digital werden.
Berliner Morgenpost: Herr Wall, seit 30 Jahren ist Wall in Berlin ein Begriff. Wie lange bleibt der Name Berlin noch erhalten?
Daniel Wall: Hoffentlich sehr lange. Man weiß natürlich nie, aber hoffentlich mindestens doppelt so lange noch.
Ihr Geschäftsmodell in einem Satz?
Wir stellen Stadtmöbel wie Haltestellen, Kioske, Litfaßsäulen und Toiletten in einer Stadt auf, warten sie und bekommen im Gegenzug mehrere Jahre lang exklusive Vermarktungsrechte für die Werbeflächen daran. Die Städte sind übrigens zu einem Teil am Werbeumsatz beteiligt. Das ist für alle lukrativ.
Wall gehört seit 2009 zum weltweit tätigen französischen Familienkonzern JCDecaux. Wie grenzen Sie sich von der Mutter ab und wo ist Wall überall tätig?
Die Wall AG steuert das Geschäft für Deutschland und die Türkei. Hier in Berlin sitzt das Management für alle deutschen Städte, in denen wir tätig sind. Wir gehen von hier aus neue Ausschreibungen in den beiden Märkten an. Darüber hinaus sind wir eines der drei Entwicklungszentren des Konzerns. Eines sitzt in Paris am Stammsitz, eines in Shanghai und eines eben in Berlin.
Sie haben auch einmal unter anderem in Boston Stadtmöbel aufgestellt.
Nachdem Decaux uns übernommen hatte, haben wir die Geschäfte so aufgeteilt: Wir kümmern uns um Deutschland und die Türkei, Decaux um den Rest der Welt. Deutschland ist der drittgrößte Werbemarkt nach den USA und Japan. Da gibt es viel zu tun. Und die Türkei ist ein echter Wachstumsmarkt.
Sie sind in 60 deutschen Städten tätig. Was unterscheidet zum Beispiel Berlin und Düsseldorf?
Werbetechnisch sind sich beide sehr ähnlich. Grundsätzlich gibt es in beiden Städten die Standard-Werbeformen City Light Board, das sind die großen Plakate an den Straßen, Litfaßsäulen und City Light Poster, also die klassischen Zwei-Quadratmeter-Plakate etwa an Wartehäuschen. Aber im Design unterscheiden sich alle Produkte sehr. Denn jede Stadt braucht ihre entsprechend gestalteten Wartehäuschen und Toiletten. Das ist ja auch unser Erfolgsmodell: keine Stadtmöbel von der Stange. Wir haben inzwischen 26 verschiedene Designfamilien. Wir sind praktisch der Maßschneider für Städte. Da kann es keine Massenfertigung geben. Ein großes Ziel im nächsten Jahr ist Frankfurt/Main. (Holt ein kleines Metallköfferchen und öffnet es. Eingebettet in Schaumstoff liegen kleine Fahrradständer, Litfaßsäulen, Werbetafeln.) Die Stadt schreibt dieses Jahr die Werbeflächen neu aus. (Nimmt ein Haltestellenmodell heraus.) Wir haben hier extra ein eigenes Design entwickelt. Das macht uns am meisten Spaß: Eine Stadt ansehen, schauen, welche grundsätzliche Optik es dort gibt, also die Stadt im Wesen erfassen, und daraufhin eine passende Designlinie entwerfen. Außerdem möchte jede Stadt individuelle Dienstleistungen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel Freiburg. Da läuft gerade der Wettbewerb. Wir sind bereits da, möchten den Anschlussauftrag gewinnen und verlängern. Da ist diesmal auch kostenloses WLAN dabei.
Wie machen Sie das?
Das können Sie zum Beispiel in Düsseldorf sehen. Denn die Standorte unserer Stadtmöbel sind geradezu ideal. Wir haben überall Stromanschluss. Gut, man braucht eine Datenleitung, aber mit der zunehmenden Digitalisierung liegt die auch überall an. Das ist ein Teil des Smart-City-Konzepts, über das alle reden.
Das bedeutet?
Die Stadt, mit ihren Angeboten, Informationen und der Infrastruktur, wird intelligent vernetzt. Unsere Plakate werden immer mehr zu digitalen Bildschirmen. Da können Sie einiges zeigen: Twitter-Nachrichten direkt aus dem Rathaus, aktuelle Information, die heutige Opernpremiere oder auch Unwetterwarnungen. Da wiederum die meisten Bürger inzwischen ein Smartphone haben, können sie gleich in Aktion treten oder sich weitere Informationen holen – zumal wir unsere Stadtmöbel mit WLAN ausstatten können.
Und dazwischen Werbung.
Ja, aber zum Beispiel animiert. Das Fotomodel aus der Modewerbung kann sich zum Beispiel drehen, das sind tolle, und trotzdem dezente Effekte. Welche Möglichkeiten das alles tatsächlich bietet, ist noch gar nicht genau abzusehen. Und wir können diese Infrastruktur bringen.
Kostenloses WLAN auch in Berlin?
Auch in Berlin. Aber das entscheidet immer der Auftraggeber, ob er das haben will.
Ihr großer Konkurrent Ströer aus Köln drängt in mobile Werbung und das Online-Werbegeschäft. Ist das auch etwas für Sie?
Wir beobachten das. Grundsätzlich denken wir, dass Online- und Außenwerbung zwei unterschiedliche Dinge sind. Unterschiedliche Werbekanäle zusammenzubringen, hat schon in der Vergangenheit nicht richtig funktioniert, da sind wir skeptisch. Wir konzentrieren uns auf Stadtmöblierung. Wir verdienen da gutes Geld, die Rendite ist ordentlich. Und falls wir zu der Erkenntnis gelangen, das Geschäftsmodell doch ändern zu müssen, sind wir mit Decaux finanziell sehr gut aufgestellt und können aus dem Vollen schöpfen. Jetzt beschäftigen wir uns erst einmal mit der Digitalisierung.
Das heißt?
Statt Papierplakaten gibt es Bildschirme. Der erste werbetechnisch rein digitale Bahnhof war der Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Jetzt haben wir bald ein Netz mit 75 Standorten in der Hauptstadt. Das ist der Einstieg. Wir bereiten uns darauf vor, uns komplett digital aufzustellen. Jetzt wechseln die Werbemedien wöchentlich, digital können wir täglich, gar stündlich wechseln. Da wollen wir hin. Aber die Qualität muss stimmen. Wir machen lieber mehr digital, dafür bauen wir 30 bis 40 Prozent der Anlagen ab.
Sie räumen die Stadt auf?
Genau. Es ist eine gewisse Sättigung eingetreten. Lieber weniger Anlagen, die besser aussehen und hochwertiger sind.
Die Digitalisierungsstrategie kostet sicher einiges.
Die Investitionen sind am Anfang sehr hoch. Allerdings entwickelt sich die Technik, die Anlagen werden immer leistungsfähiger und billiger. Aber wir sparen auch: Bisher wechseln wir jeden Dienstag bundesweit die Plakate. Das entfällt. Auch der Kunde muss keine Plakate mehr drucken und liefern.
Wie sieht der Markt aus?
Das Werbegeschäft ist härter geworden. Der Kuchen ist geschrumpft, es gibt neue Anbieter, online etwa. Die Zahl der Mediaagenturen, die bei uns buchen, nimmt durch Übernahmen und Fusionen ab. Da gibt es viele Rabattschlachten. Dennoch: Es läuft sehr gut. Die Außenwerbung hat ihren Marktanteil in den vergangenen Jahren auf knapp sechs Prozent erhöht. Es gibt einen Trend zur Urbanisierung. Und der Verkehr nimmt zu. Davon profitieren wir. Und: Wir sind das letzte Massenmedium.
Das müssen Sie erklären.
Das Fernsehen hat zig Kanäle, und wird vor allem von Jüngeren immer wenig geguckt; es gibt tausende Webseiten – populär, aber breit gestreut. Aber wenn Sie schnell viele erreichen wollen, wählen Sie Außenwerber. Mit uns erreichen Sie in einer Woche 93 Prozent der Berliner und können etwas zum Stadtgespräch machen.
Wie sehen sie die Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele? Verspricht das gute Geschäfte?
Die Fußballweltmeisterschaft 2006 im eigenen Land hat keinen Euro zusätzlich gebracht. Die Olympischen Spiele, konzentriert in einer Stadt, sind da eine andere Nummer. In London haben die Kollegen während der Spiele 30 bis 40 Prozent mehr umgesetzt.
2010 haben sie zuletzt Zahlen veröffentlicht. Damals setzte Wall 116 Millionen Euro um. Wie viel sind es jetzt?
Der Umsatz ist deutlich gestiegen. Wir haben unter anderem mit Lübeck und Wiesbaden zwei neue Großstädte dazugewonnen. Genaue Zahlen veröffentlichen wir aber nicht.
Das gilt auch für den Gewinn?
Das gilt auch für den Gewinn.
Sie schreiben schwarze Zahlen?
Wir schreiben tolle schwarze Zahlen.
Und wo wollen Sie noch hin?
Drei Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern fehlen uns noch: Essen, Frankfurt/Main und Hannover. Da wollen wir noch rein. In Istanbul kommt eine Ausschreibung für Digitalisierung. Und dann steht natürlich 2018 die Verteidigung in Berlin an. Da können wir uns noch einiges vorstellen für die Hauptstadt.
Wo Sie seit 1984 das Stadtbild mitprägen. Was passiert, wenn ein Außenwerber einen Auftrag verliert? Muss der alles abbauen?
Der baut in der Regel alles ab, damit der Nachfolger Platz hat.
Was würden Sie gern noch machen?
Mit der digitalen Infrastruktur lassen sich, wie gesagt, tolle Dinge entwickeln. Intelligente Infosysteme, kostenloses WLAN. Und wir werden mehr eigene Inhalte liefern.
Eigene Inhalte?
Es ist ja nicht nur alles Werbung. 30 Prozent am U-Bahnhof Friedrichstraße – dem ersten U-Bahnhof nur mit digitaler Werbung weltweit – sind eigene Inhalte. Wir machen zum Beispiel Städterätsel und andere Unterhaltung. Und Ende September fangen wir an, die Berliner Kulturwirtschaft zu fördern. Wir spielen dann auf den Bildschirmen die Premieren der Stadt ein, kostenlos. Und wer am Bildschirm vorbeiläuft, kann sich mit QR-Code oder über den iBeacon...
... einen Bluetooth-Impuls ...
... weitere Informationen über alle Premieren der Stadt auf sein Smartphone holen. Oder bekommt sie automatisch, wenn er die entsprechende App installiert hat. Das hat auch mit dem Smart-City-Gedanken zu tun. Die Stadt lebt von Kultur, das muss man unterstützen.