Bildung

Die Zahl der Schulschwänzer in Berlin steigt erneut

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Andreas Abel

Foto: Daniel Reinhardt / dpa

Jeder fünfte Jugendliche fehlte mindestens einen Tag unentschuldigt. Rund 3700 Jugendliche fehlten sogar mehr als zehn Tage ohne Entschuldigung. Nun gibt es Rufe nach verschärften Strafen.

Die Zahl der Schulschwänzer in Berlin ist erneut gestiegen. Allein im ersten Halbjahr des Anfang Juli zu Ende gegangenen Schuljahres 2013/2014 blieben 3762 Schüler der Jahrgangsstufen sieben bis zehn mehr als zehn Tage ohne Entschuldigung der Eltern dem Unterricht fern. Das waren 3,58 Prozent aller Schüler. Im vorangegangenen Schuljahr waren es 3558 (3,35 Prozent). Hinzu kamen unverändert knapp 19.000 Schüler, die während des ersten Halbjahrs einen bis zehn Tage blau machten – also insgesamt ein Fünftel aller Berliner Schüler. Dies geht aus der Antwort der Senatsbildungsverwaltung auf eine Parlamentsanfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck hervor.

Während die Zahl der Schüler, die mindestens 21 Tage im Schulhalbjahr schwänzten, mit gut 1600 nahezu gleich blieb, stieg die Zahl derer, die zwischen elf und 20 Tagen nicht in die Schule kamen, im Vergleichszeitraum von 1942 auf 2154. Die Statistik wird wegen der Relation von Aufwand und Nutzen immer nur für die Klassen sieben bis zehn erhoben, die Zahlen für das zweite Schulhalbjahr sollen im Herbst vorliegen.

In den Berliner Bezirken wird unterschiedlich stark geschwänzt. Während in Mitte pro Schultag 2,4 Prozent der Schüler unentschuldigt fehlten, waren es in Steglitz-Zehlendorf nur 0,6 Prozent.

Der Senat will künftig härter gegen Schulschwänzer vorgehen. Bislang mussten Schulen beim Bezirksamt eine sogenannte Versäumnisanzeige stellen, wenn ein Schüler mindestens zehn Tage pro Schuljahr unentschuldigt fehlte. Vom kommenden Schuljahr an soll das bereits nach fünf Tagen der Fall sein. Mit der Anzeige werden automatisch auch die Schulaufsicht, das Jugendamt und der Schulpsychologe informiert. Zudem kann der Bezirk ein Bußgeldverfahren einleiten.

In Mitte und Neukölln ist die Zahl der Schulschwänzer besonders hoch, in Friedrichshain-Kreuzberg, Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf liegt sie immerhin noch deutlich über dem Berliner Durchschnitt. Das zeigt eine Statistik der Senatsbildungsverwaltung. Nach dieser Erhebung blieben berlinweit allein im ersten Halbjahr des Anfang Juli zu Ende gegangenen Schuljahres 2013/2014 rund 3760 Schüler der Jahrgangsstufen sieben bis zehn mehr als zehn Tage ohne Entschuldigung der Eltern dem Unterricht fern. Das waren etwa 200 mehr als im vorangegangenen Schuljahr. Dies geht aus der Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Parlamentsanfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck hervor.

Die Unterschiede zwischen den Bezirken sind beträchtlich

Einen zum Teil drastischen Anstieg gab es im vergangenen Schuljahr auch bei den Versäumnisanzeigen, die die Schulen an die Bezirksämter weitergeben, sowie bei den Bußgeldverfahren gegen Schulschwänzer. Eine solche Anzeige müssen Schulen beim Bezirk stellen, wenn ein Schüler mindestens an zehn Tagen pro Schuljahr ohne Entschuldigung nicht in den Unterricht kommt. In Mitte zum Beispiel wurden im vergangenen Schuljahr 770 Schulversäumnisanzeigen gestellt. Im Schuljahr 2012/2013 waren es 362.

In Lichtenberg wurden 618 Anzeigen gestellt, 250 mehr als im Vorjahr. In Reinickendorf wurden 473 Schulversäumnisanzeigen registriert, gegenüber 364 im vorangegangenen Schuljahr. Andere Bezirke weisen weitaus niedrigere Zahlen aus, etwa Charlottenburg-Wilmersdorf mit nur 41 Anzeigen oder Friedrichshain-Kreuzberg mit 100. Drei Bezirke übermittelten der Senatsschulverwaltung gar keine Daten. Das zeigt, dass die Bezirke sehr unterschiedlich mit dem Thema umgehen.

Differenzen zwischen den Bezirken zeigen sich auch bei den Bußgeldverfahren. In Reinickendorf wurden im vergangenen Schuljahr 237 Verfahren (Schuljahr 2012/2013: 146) eingeleitet, in Lichtenberg gar keine (Vorjahr: 13), in Friedrichshain-Kreuzberg zwei. In Mitte wurden 51 Bußgeldverfahren eröffnet, davon 44 an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen. An Gymnasien fielen keine Verfahren an. Im vorangegangenen Schuljahr verzichtete Mitte noch komplett auf Bußgeldverfahren. In Steglitz-Zehlendorf stieg die Zahl der Verfahren von 62 auf 224.

Auch die Höhe des verhängten Bußgeldes differiert stark. In Pankow werden laut Bildungsstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) Summen „im niedrigen dreistelligen Bereich“ gefordert. Reinickendorf hingegen verhängt Bußgelder, die nach Angaben von Bildungsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) von 250 Euro bis zu vierstelligen Summen reichen. Die Höhe liege im Ermessen des Sachbearbeiters und berücksichtige auch, ob es sich um Wiederholungsfälle handelt. Nur drei Bezirke gaben an, zum letzten Mittel gegriffen zu haben: Sie ordneten an, dass der Schüler von der Polizei zur Schule gebracht wurde. Reinickendorf tat dies 21-mal, Treptow-Köpenick 16- und Marzahn-Hellersdorf dreimal.

Vom Schwänzer zum Schulabbrecher

„Wer die Schule schwänzt, verpasst leicht den Anschluss und droht als Schulabbrecher zu enden. Wir wollen, dass alle Kinder und Jugendlichen zur Schule gehen, einen Abschuss erreichen, Arbeit finden und etwas aus ihrem Leben machen“, sagte Joschka Langenbrinck. Angesichts der hohen Zahl der Schulschwänzer sei „eine schnelle Reaktion“ ebenso wichtig, wie die Eltern stärker in ihre Pflicht zu nehmen. „Die Schulpflicht muss konsequent durchgesetzt werden“ , forderte Langenbrinck. Dazu hatte das Abgeordnetenhaus im Januar ein „Programm zur Vorbeugung und Bekämpfung von Schuldistanz“ beschlossen, das der Senat derzeit umsetzt.

Dazu gehört, dass die Schule vom kommenden Schuljahr an bereits nach fünf nicht zusammenhängenden Fehltagen eines Schülers ohne Entschuldigung der Eltern eine Versäumnisanzeige beim Bezirk stellen muss. Bisher galt das erst nach zehn Tagen. Außerdem arbeitet die Senatsbildungsverwaltung einen Leitfaden „Aktiv gegen Schulschwänzer“ aus. Er soll auch „verpflichtende Schritte zur Hilfestellung“ sowie eine Übersicht über Präventionsprogramme enthalten und dem Abgeordnetenhaus im Dezember vorgelegt werden. Schließlich wolle die Bildungsverwaltung auf die Bezirke einwirken, einheitlich mit dem Problem des Schulschwänzens umzugehen, sagte Sprecher Ilja Koschembar.

Konsequent handeln

Das fordert auch Langenbrinck. „Wir brauchen klare Regeln, die für alle Bezirke und Schulen gelten. Außerdem müssen die zuständigen Behörden besser zusammenarbeiten. Wenn es hart auf hart kommt, muss ein Bußgeld durchgezogen werden. Die Bereitschaft der Eltern, ihr Verhalten zu ändern, ist dann am größten, wenn es ans Geld geht.“ Stefan Schlede, Bildungsexperte der CDU-Fraktion im Landesparlament, unterstützt Langenbrinck. Das Problem des Schulschwänzens müsse intensiver angegangen werden. Wichtig sei, dass Schulen und Bezirke konsequent und vergleichbar handelten. „Es geht nicht um Strafe“, machte Schlede klar, „es geht darum, kriminelle Karrieren zu verhindern.“

Das sei auch im Interesse der Betroffenen. Stefanie Remlinger, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, forderte hingegen, stärker auf die Ursachen des Schulschwänzens zu schauen. Das betreffe auch die Qualität des Unterrichts, der oft mehr an der Lebensrealität der Jugendlichen ansetzen müsse.