Ein neues Abstellsystem soll den Platzmangel in Berlin bekämpfen. Dafür werden Fahrradräder künftig doppelstöckig geparkt. Ganz problemlos ist die neue Technik jedoch nicht zu bedienen.
Für Gleichberechtigung ist angeblich schon mal gesorgt. „Sogar das schwache Geschlecht kann unser System bedienen“, sagt Thorsten Dambier und zieht mit Schwung die Schiene aus der oberen Reihe. Ein paar Handgriffe und schon steht sein Fahrrad sicher in knapp zwei Metern Höhe.
Es ist wie bei Gebäuden: Ist in der Breite kein Platz, baut man in die Höhe. Nach diesem Prinzip will der Berliner Senat ein Problem lösen: Es gibt nicht genug Abstellplätze für Fahrräder in der Stadt. Eine genau Zahl ist nicht bekannt, aber „gefühlt sind es viel zu wenig“, sagt Christian Gaebler, Staatssekretär für Verkehr und Umwelt. Mit dem „Doppelstock-Fahrradabstellsystem“, kurz Doppelstockparker, soll der wenige vorhandene Platz in der Hauptstadt besser genutzt werden.
Die Technik stammt vom sächsischen Unternehmen Orion. Als „etwas futuristisch, aber leicht in der Handhabe“ bezeichnet Prokurist Dambier die Stahlkonstruktion, bei der die Fahrräder in zwei Reihen übereinander stehen. Die oberen Stellplätze lassen sich über eine Schiene herausziehen. Auf dieser wird das Fahrrad abgestellt und angeschlossen, die Schiene lässt sich anschließend „mit einem Finger“ nach oben schieben. Laut Gaebler hat das System einen geringen Platzbedarf, Diebstahlschutz und fahrradschonende Bedienbarkeit.
Sollten sich die Doppelstockparker durchsetzen, werden die Berliner allerdings kräftig üben müssen. Bei der Präsentation am Köllnischen Park in Mitte stellt sich heraus, dass die Bedienung nicht ganz so einfach ist. „Das System ist gut, aber nur für bestimmte Fahrräder“, sagt Detlef Wendtland vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Berlin (ADFC).
Denn je nach Ausstattung und Größe ist nicht immer genügend Platz. Bei Rädern in der unteren Reihe darf der Sattel nicht zu hoch eingestellt sein, sonst könnte die Schiene darüber beim Herausziehen blockieren. Gleiches gilt für Kindersitze und Fahrradkörbe. Fahrräder mit Anhängern, Elektroräder oder Tandems können die Doppelstockparker gar nicht nutzen.
Senat will System schmackhaft machen
Fahrradtaschen gehen auch nicht, dafür ist der Achsenabstand der Stellplätze mit 50 Zentimetern zu klein angesetzt. Das entspricht zwar den Richtlinien des ADFC. Doch laut Senatsrichtlinie müssen es mindestens 80 sein. „Zum Glück ist es ja unsere Richtlinie“, sagte Gaebler, „das wird keine Hürde sein.“ Klar sei, dass die Doppelstockparker keine Patentlösung darstellten, aber immerhin einen Schritt in die richtige Richtung.
Denn immer mehr Berliner treten in die Pedale. Seit 2001 ist der Radverkehr um 44 Prozent gestiegen, mehr als 70 Prozent besitzen ein Fahrrad. Die Abstellplätze in Geschäftsstraßen, Wohngegenden und an Bahnhöfen sind aber nicht in gleichem Maße mitgewachsen. Der Senat will Bezirken und Verkehrsunternehmen das neue System deshalb schmackhaft machen. „Wir wollen prüfen, welche Einsatzmöglichkeiten es gibt“, sagt Gaebler.
Hersteller Orion hat seine Doppelstockparker bereits in Bernau sowie am Bundesministerium für Bildung und Forschung aufgestellt. Die Frage wird sein, wo die ästhetisch eher unattraktiven Gebilde hinpassen. In einen schicken Kiez in Prenzlauer Berg wohl eher nicht. „Die Bezirke müssen entscheiden, ob sie es wollen“, sagt Gaebler. Möglich sei, dass bald ein Pilotprojekt gestartet werde.
Zauberwort „Bike and Ride“
Interesse zeigen vor allem die Verkehrsunternehmen. Der intermodale Verkehr, die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel, ist schon länger ein Thema. Das Zauberwort lautet „Bike and Ride“, eine Erweiterung des Einzugsbereichs von Haltestellen durch Fahrradfahrer. Das beste Mittel dafür sind ausreichend Abstellmöglichkeiten. Seit 1999 haben S-Bahn und Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 11.600 davon an ihren Bahnhöfen eingerichtet. Jährlich kommen bei der S-Bahn 600, bei der BVG 500 hinzu, hauptsächlich finanziert aus Landesmitteln. Zudem gibt es 1750 öffentliche Leihfahrräder an 145 Stationen.
Die S-Bahn will nun an zehn Standorten prüfen, ob die Doppelstockparker dort Sinn machen. „Sie wären besonders attraktiv bei einer Fläche mit hoher Nachfrage“, sagt Geschäftsführer Peter Buchner. Diese bestehe derzeit vor allem an den Bahnhöfen Warschauer Straße, Schönhauser Allee, Prenzlauer Allee und Pankow.
Die BVG hat sich mit der neuen Technik bisher nur am Rande beschäftigt, will nun aber tiefer einsteigen. „Es ist nie in unserem Interesse, dass zu viele Leute ihre Fahrräder mit in die U-Bahnwagen nehmen“, heißt es bei der BVG.
Wie genau könnten die Lösungen aber aussehen? Dem ADFC schwebt ein geschlossenes System vor mit integriertem Service: Fahrradreparatur, Überwachung und am besten überdacht. „Solche Radstationen gibt es in Nordrhein-Westfalen bereits fast 100-mal. In Berlin noch gar nicht“, sagt ADFC-Mann Wendtland.
Lob von der Polizei
Doch dafür braucht es externe Betreiber, die die Kosten dafür zumindest teilweise über Gebühren refinanzieren. Inwiefern das möglich ist, prüft der Senat derzeit im Rahmen einer Ausschreibung. Interessenten sollen ein Konzept vorlegen, wie sich die Flächen am Bahnhof Ostkreuz bestmöglich in attraktive Bike-and-Ride-Flächen verwandeln lassen. Beispielsweise in Form eines Fahrradparkhauses mit dem Doppelstocksystem. In einem Jahr soll es ein Ergebnis geben.
Lob für die neue Technik gibt es schon jetzt – von der Polizei. „Die obere Reihe wird sicherer vor Dieben sein, da es auffällig ist, wenn sie sich dort zu schaffen machen“, sagt Verkehrssicherheitsreferent Andreas Tschisch. Sein Tipp: Teure Fahrräder immer oben abstellen. Von den 26.513 Fahrraddiebstählen im vergangenen Jahr konnte die Polizei nur vier Prozent aufklären.
Bleibt die Frage, ob die Doppelstockparker wirklich für Gleichberechtigung sorgen. Seine Mutter, sagt Wendtland, könnte das System wahrscheinlich nicht bedienen.