Der Berliner Fahrradverkehr ist seit 2001 um 44 Prozent gestiegen. Acht Millionen Euro mehr für Radwege fordert die Opposition. Der Senat investiert, will Autofahrer aber nicht belasten.
Der Radverkehr in Berlin hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Nach einer Zählung des Ingenieurbüros für Verkehrserhebungen im Auftrag des Senats ist der Radverkehr seit 2001 um 44 Prozent gestiegen.
Das Büro zählt seit 1983 an elf Straßenkreuzungen in der Stadt monatlich die Radfahrer. Am stärksten fiel die Zunahme des Radverkehrs demnach an der Messstelle in der Zossener Straße in Kreuzberg aus. Hier fuhren 2013 zweieinhalb Mal so viele Radfahrer als 30 Jahre zuvor. Selbst im kältesten Wintermonat Februar wurden 3300 Radfahrer täglich an der Kreuzung Zossener Straße/Blücherstraße gezählt. Im Sommermonat August waren es 11.000 – mehr als an irgendeiner anderen Stelle in der Stadt. Die Steigerungsquoten fielen in den vergangenen zehn Jahren besonders hoch aus. Fuhren 2003 durchschnittlich 3600 Radfahrer täglich durch die Zossener Straße, waren es im vergangenen Jahr rund 8000.
Auch an den anderen Messstellen in der Innenstadt hat sich der Radverkehr stark erhöht. In der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte hat sich die Zahl im Vergleich zu 2003 fast verdoppelt – auf 8300 Radfahrer täglich. In der Kastanienallee fiel die Steigerung nicht ganz so hoch aus. Hier wurden im vergangenen Jahr durchschnittlich 5100 Radfahrer täglich gezählt, zehn Jahre zuvor waren es 4000. Allerdings macht hier der Radverkehr mit bis zu 50 Prozent bereits einen großen Teil des Gesamtverkehrs aus.
„Wir freuen uns, dass offensichtlich immer mehr Berliner aufs Rad umsteigen“, sagte Verkehrssenator Michael Müller (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. „Deshalb ist es wichtig, die Verkehrspolitik an das sich wandelnde Mobilitätsverhalten anzupassen.“ Der Senat erhöhte die Mittel zum Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur von vier auf sechs Millionen Euro. Außerdem ist es seit diesem Jahr möglich, Mittel aus dem Schlaglochsanierungsprogramm für die Instandsetzung von Radwegen zu verwenden.
Radfahren vor allem in der Innenstadt populär
Um künftig mehr aussagekräftige Zahlen über den Radverkehr zu erhalten, will die Stadtentwicklungsverwaltung die Messstellen von elf auf 21 erhöhen. Die vorhandenen Kreuzungen bieten zwar deutliche Hinweise darauf, dass der Radverkehr stärker zugenommen hat als bislang gedacht. Sie stellen aber keine repräsentative Auswahl dar. Zurzeit wertet die Technische Universität Dresden eine umfangreiche Zählung für ganz Berlin aus. Ergebnisse sollen im Herbst dieses Jahres vorliegen.
Während der Radverkehr in der Innenstadt stark zugenommen hat und die bereits vorhandenen Wege oder Radstreifen sogar streckenweise überlastet sind, ist das Radfahren in den Außenbezirken Berlins weniger populär. Etwa an der Kreuzung Neuendorfer Straße Ecke Schönwalder Straße in Spandau wurde sogar ein Rückgang des Radverkehrs registriert. Hier waren es im Jahr 2003 rund 1400 Fahrradfahrer pro Tag, im vergangenen Jahr wurden dann nur noch 1200 Radfahrer gezählt. Am Teltower Damm ist das Aufkommen mit 2200 Radfahrern zuletzt täglich nahezu unverändert geblieben.
Radfahren 20 Prozent des Gesamtverkehrs
Die Verkehrsstrategie des Senats sieht vor, dass das Radfahren bis zum Jahr 2025 20 Prozent des Gesamtverkehrs ausmachen soll. Nach der letzten repräsentativen Zählung im Jahr 2008 lag der Anteil bei 14 Prozent. Bleibt der Zuwachs gleich, wird die vom Senat angestrebte Zielzahl deutlich früher erreicht. Allein im vergangenen Jahr fuhren stadtweit vier Prozent mehr Menschen auf dem Rad als im Jahr davor. In einigen Bereichen der Innenstadt ist dieses Ziel sogar bereits erreicht, vor allem in den Außenbezirken ist das Radfahren aber noch nicht so weit. Hier macht der Radverkehr derzeit lediglich zehn Prozent des Verkehrsaufkommens aus.
Die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus kritisiert dagegen, dass der Senat im Vergleich zum Boom des Radverkehrs zu wenig Geld für den Ausbau der Infrastruktur bereitstellt, um auf diesen Trend zu reagieren. Die Piraten bemängelten, dass zwar genug Konzepte für den Ausbau des Radverkehrs und der Infrastruktur vorlägen, „davon kommt aber auf der Straße wenig an“, so der Abgeordnete Andreas Baum. Der verkehrspolitische Sprecher der Linken, Harald Wolf, ergänzte, der Ausbau der Radstreifen auf den Berliner Straßen verfehle seine Wirkung, so lange die Ordnungsämter nicht das Parkverbot auf den Streifen kontrollieren würden.
Radfahr-Infrastruktur soll überproportional ausgebaut werden
Der Senat will an dem Ausbau der Infrastruktur für alle Verkehrsarten festhalten. „Wir brauchen eine intelligente Konstruktion, die alle Verkehrsarten verbindet“, sagte Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) am Donnerstag. „Auch der motorisierte Verkehr hat seine Berechtigung.“ Künftig werde es beim Ausbau der Infrastruktur darauf ankommen, verschiedene Verkehrsarten kombinieren zu können. „Wir werden den alten Fehler einer autogerechten Stadt nicht durch den neuen Fehler einer fahrradgerechten Stadt wiederholen“, sagte Müller weiter. Es soll weiterhin ein Mix aus öffentlichem Nahverkehr, Fuß-, Rad- und motorisiertem Verkehr möglich sein.
In der aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses hatten die Oppositionsfraktionen zuvor das fehlende Engagement des Senates für den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur kritisiert. „Es gibt kein Erkenntnisproblem, es gibt ein Finanz- und Umsetzungsproblem“, sagte Wolf. „Mit geringen Mitteln lassen sich spürbare und sichtbare Verbesserungen herstellen.“ Derzeit gebe das Land insgesamt jährlich rund sechs Millionen Euro für den Ausbau des Radverkehrs aus. Um die vom Bund geforderten fünf Euro je Einwohner zu erreichen, fehlten lediglich acht Millionen Euro. „Das ist doch in diesem Haushalt nicht das Problem“, sagte Wolf weiter.
8000 Gefahrenstellen in Berlin bekannt
Dass Berlins Radfahrer nach einem Aufruf der Verkehrsverwaltung in den vergangenen Monaten 8000 Gefahrenstellen gemeldet hätten, sei nicht als Erfolgsgeschichte zu werten, kritisierten die Grünen. „SPD und CDU sind mit ihrer Infrastrukturpolitik krachend gescheitert“, sagte Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar. Das treffe auf den Ausbau des Radwegenetzes genauso zu, wie für den BER, das Tempelhofer Feld und den Plan, ein flächendeckendes WLan in der Innenstadt zu etablieren.
Die Regierungskoalition räumte ein, dass es in den vergangenen Jahren zu einem Sanierungsstau auch bei den Radwegen gekommen sei. Mit der Steigerung der bereitstehenden Mittel von vier auf sechs Millionen Euro sei die Koalition jedoch auf einem richtigen Weg, sagte CDU-Verkehrsexperte Oliver Friederici. „Die CDU wehrt sich gegen eine Bevormundung im Verkehr“, sagte Friederici. Nicht jeder wolle oder könne Rad fahren.