Tarifkonflikt

Ver.di fährt 4,8 Prozent mehr Lohn für BVG-Mitarbeiter ein

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Thomas Fülling

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Die Gewerkschaft hat auch ohne Streik für BVG-Mitarbeiter eine Gehaltssteigerung und einen sehr langen Kündigungsschutz erreicht. Dafür verlangt das Unternehmen Zusagen vom Land Berlin.

Die Streiklisten sollen bereits gedruckt, die roten Ver.di-Westen schon eingepackt worden sein. Doch nun können die Transparente im Schrank der Gewerkschafter bleiben. In einem 13-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich im Tarifkonflikt bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) Arbeitgeber und Gewerkschaften am Mittwoch nun doch auf einen Kompromiss geeinigt.

Danach erhalten die knapp 13.000 Mitarbeiter der BVG und ihres Tochterunternehmens Berlin Transport (BT) schrittweise in den nächsten zwei Jahren rund 4,8 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Zudem wurden weitgehende Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung getroffen.

Berlins Verkehrssenator Michael Müller (SPD) reagierte mit großer Erleichterung auf den Tarifabschluss. „Das ist für die Beschäftigten wie auch für die BVG gut, aber auch für die Berlinerinnen und Berliner, die mit der BVG gewohnt gut und ohne Warnstreiks durch die Stadt kommen“, sagte Müller der Berliner Morgenpost.

Nikutta spricht von einem „fairen Ergebnis“

BVG-Chefin Sigrid Nikutta, die im Unterschied zu ihrem Vorgänger in der aktuellen Tarifauseinandersetzung nicht auf Konfrontation, sondern auf Ausgleich gesetzt hat, spricht von einem „fairen Ergebnis“. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gezeigt, dass sie engagiert Verantwortung übernehmen – sowohl für unsere sehr gute Verkehrsleistung als auch für den wirtschaftlichen Erfolg der BVG“, sagte sie.

Konkret werden sich die Löhne und Gehälter der BVG-Beschäftigten zum 1. Juli um ein Prozent erhöhen, zum 1. Januar 2014 um 2,2 Prozent und zum 1. Januar 2015 um weitere 1,5 Prozent. Daraus errechnet sich eine Einkommensverbesserung von 4,77 Prozent bei einer Vertragslaufzeit von zwei Jahren.

Erstmalig wurde für die Verkehrsbetriebe auch eine darüber hinaus gehende Vereinbarung getroffen. Demnach sollen die Mitarbeiter künftig direkt vom wirtschaftlichen Erfolg der BVG profitieren.

Aussicht auf weitere Steigerung

Wie es aus Unternehmenskreisen hieß, könnten die Löhne nach 2015 um weitere 2,5 Prozent pro Jahr steigen. Voraussetzung dafür sei, dass das Landesunternehmen wie geplant ab 2016 im operativen Geschäft ein positives Betriebsergebnis erreicht. Ver.di-Verhandlungsführer Frank Bäsler wollte auf Nachfrage diesen konkreten Lohnzuschlag nicht bestätigten. „Ein wenig verhandeln wollen wir dann schon auch noch“, sagte er.

In die aktuellen Verhandlungen war Ver.di mit deutlich höheren Forderungen gezogen. Die Gewerkschaft wollte Einkommensverbesserungen von 6,5 Prozent erzielen, bei einer kurzen Laufzeit von nur einem Jahr. Die Arbeitgeber hatten dagegen für dieses Jahr eine Einmalzahlung sowie je 1,5 Prozent Lohnsteigerungen in den kommenden zwei Jahren angeboten. Erzielt wurde am Ende ein klassischer Tarif-Kompromiss.

Die Geschäftsführerin vom Arbeitgeberverband KAV, Claudia Pfeiffer, hob hervor, dass es trotz sehr komplexer Problemlage gelungen sei, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen. Ver.di-Verhandlungsführer Bäsler sprach seinerseits davon, dass „relativ geräuschlos“ – also ohne die zuletzt üblichen langwierigen Streikrituale – ein „tragfähiger Kompromiss“ erreicht wurde.

Einheitliche Wochen-Arbeitszeit von 38 Stunden gescheitert

Als „Bigpoint“ bezeichnete er dabei die gleichzeitig zum Lohnabschluss erzielte Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung. Danach hat sich die BVG-Spitze bereit erklärt, den Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen für die aktuell knapp 11.000 BVG-Mitarbeiter sowie die weiteren 2000 Beschäftigten beim Tochterunternehmen Berlin Transport (BT) einheitlich bis zum Jahr 2025 zu verlängern.

Ein Erfolg insbesondere für die Mitarbeiter der BT, bei der einst Fahrer von Bussen, Straßen- und U-Bahnen zu deutlich schlechteren Konditionen als beim Mutterkonzern eingestellt wurden. Inzwischen sind sie mit ihren BVG-Kollegen tariflich nicht nur bei den Löhnen, sondern auch beim Kündigungsschutz gleich gestellt. Gescheitert ist Ver.di indes mit der Forderung nach einer einheitlichen Wochen-Arbeitszeit von 38 Stunden für alle Beschäftigten.

Die Vereinbarung gilt unter Gewerkschaftern dennoch als großer Erfolg, weil der aktuelle Verkehrsvertrag, den das Land Berlin 2005 mit der BVG abgeschlossen hat, 2020 endet. Eine darüber hinaus gehende Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiter kann es nur geben, wenn der Senat die Angebote bei Bussen und Bahnen auch danach direkt an die BVG vergibt und – anders als etwa beim S-Bahn-Verkehr – auf die nach EU-Recht möglichen Ausschreibung von Leistungen verzichtet.

Rückendeckung von Finanzsenator Nußbaum

„Um die Beschäftigungssicherung umsetzen zu können, brauchen wir natürlich das klare Bekenntnis der Eigentümerin zur BVG“, betonte Personalvorstand Lothar Zweiniger.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD), der zugleich auch Chef des BVG-Aufsichtsrats ist, habe ihm bei einem Telefonat am Mittwochmorgen die dafür notwendige Rückendeckung bereits gegeben. Auch Verkehrssenator Müller sieht keinen Grund, die Zukunft der BVG infrage zu stellen. „Aus unserer Sicht kann und sollte unser kommunales Unternehmen auch über 2020 hinaus langfristig mit den Verkehrsleistungen beauftragt werden“, sagte er.

Laut BVG-Personalvorstand Zweiniger hat der vereinbarte Tarifkompromiss ein Volumen von 24 Millionen Euro für zwei Jahre. Dies sei bei einem Personaletat von gut einer halben Milliarde Euro im Jahr vertretbar und entspreche der mittelfristigen Finanzplanung. Das Ziel, dass die BVG im Jahr 2016 im operativen Geschäft eine „schwarze Null“ erreicht, sieht Zweiniger durch den Lohnabschluss nicht gefährdet.

Fahrpreiserhöhung ab 1. August

„Wir sind optimistisch, dass wir das hinkriegen“, sagte er. Wichtig dafür sei allerdings, dass das Land einen angemessenen Preis für die von ihm bestellten Verkehrsleistungen zahlt. „Das ist momentan nicht der Fall“, sagte Zweiniger mit Blick auf die seit Jahren überfällige Revision des Verkehrsvertrages. Darin sind die Zahlungen des Landes an die BVG festgeschrieben: derzeit 150 Millionen Euro für Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur und weitere 75 Millionen Euro in den Fahrbetrieb von Bussen und Bahnen.

Gerade den laufenden Betrieb sieht die BVG jedoch nicht kostendeckend finanziert. Sie hat einen jährlichen Zusatzbedarf von 44 Millionen Euro geltend gemacht, abzüglich eigener Sparbemühungen bleibe immer noch ein Fehlbetrag von 35 Millionen Euro pro Jahr, heißt es.

Um Mehreinnahmen zu erzielen, setzte die BVG zuletzt vor allem auf das Gewinnen zusätzlicher Fahrgäste – und auf höhere Ticketeinnahmen. Die nächste Fahrpreiserhöhung im Verkehrsverbund ist für den 1. August bereits verkündet.