Freiberufliche Lehrer an öffentlichen Berliner Musikschulen weigern sich, die neuen Honorarverträge zu unterzeichnen. Denn Ferien- und Feiertage sollen zukünftig nicht mehr bezahlt werden.
Die elfjährige Neima lernt schon seit sechs Jahren Violine an einer staatlichen Musikschule in Berlin. Dies würde sie auch gerne weiter tun, doch ob sie das kann, ist ungewiss. Ihre Geigenlehrerin soll wie alle anderen etwa 1500 Lehrer der öffentlichen Musikschulen bis zum 1. Mai einen neuen Honorarvertrag unterschreiben, doch für sie steht fest, dass sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren kann. Wie Neima müssen viele Musikschüler nun damit rechnen, kurz vor den Ferien ihre Lehrer zu verlieren.
Seit Tagen gehen bei der Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) Protestbriefe von Schülern und Lehrern der elf Musikschulen ein. Am Dienstagabend versammelten sich etwa 1000 Betroffene zu einer Protestkundgebung auf dem Gendarmenmarkt.
Nach den neuen Verträgen sollen die freiberuflichen Lehrer nun nicht mehr monatliche Pauschalhonorare erhalten, sondern die gegebenen Unterrichtsstunden einzeln abrechnen. Ferientage, Feiertage und unterrichtsfreie Tage sollen nicht mehr bezahlt werden. Ist ein Schüler krank, kann die Stunde nur abgerechnet werden, wenn sie nachgeholt wird.
In den Sommerferien ein Loch von sechs Wochen
Die bisherige Praxis habe zu einer „Überzahlung“ geführt, die mit der Haushaltsordnung des Landes nicht vereinbar sei, heißt es in einer Erklärung des Bildung-Staatssekretärs Mark Rackles für Eltern und Musikschüler.
Dafür könnten nun Tätigkeiten wie Elterngespräche und Vorspiele in Rechnung gestellt werden, die vorher nicht vergütet worden seien, so Rackles. Notwendig seien die neuen Verträge auch, um den Verdacht einer Scheinselbstständigkeit zu verhindern.
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Petra Prieß an der Spandauer Musikschule. Noch hofft sie, dass die Bildungsverwaltung einlenken und eine andere Lösung vorschlagen werde, so die Lehrerin. Die neue Honorarverordnung sei alles andere als verlässlich. Allein in den Sommerferien gebe es ein Loch von sechs Wochen. „Meine Schüler zuckten zusammen, als sie erfuhren, dass sie möglicherweise ihre langjährige Wegbegleiterin verlieren“, sagt die Geigenlehrerin.
Die meisten Honorarkräfte an Musikschulen gibt es in Berlin
Verärgert ist sie auch über die geringe Wertschätzung ihrer Arbeit. „Ich betreue 30 Schüler, das ist eine ganze Schulklasse“, sagt sie. Diese Arbeit verdiene eine Festanstellung. Neima hat nicht nur Einzelunterricht bei Petra Prieß, sondern spielt auch im Streichquartett mit, den die Lehrerin leitet. „Manchmal merken wir gar nicht wie schnell der Unterricht vergeht“, sagt die Elfjährige.
Kein anderes Bundesland hat so viele Honorarkräfte an den staatlichen Musikschulen wie Berlin. Hier macht der Anteil der Selbstständigen 95 Prozent aus. Doch eine Festanstellung komme wegen der knappen Haushaltslage nicht infrage, so Rackles in dem Schreiben an die Eltern. Nur durch die Honorarverträge sei es möglich, die gute Versorgung mit Musikschulplätzen aufrecht zu erhalten.
Der Bedarf kann aber nicht gedeckt werden. Nach Angaben des Landesmusikrates stehen 10.000 Schüler auf der Warteliste. „Wenn man den Auftrag der Musikschulen aus dem Schulgesetz ernst nimmt, dann muss das Land die Beschäftigten fest anstellen“, sagt Ina Finger vom Präsidium des Landesmusikrates. Doch das Gegenteil passiere. Mit den Honorarverträgen werde die Situation immer prekärer.
Abwanderung der Musiklehrer an Privatschulen
Die Umwandlung der Verträge ist schon seit 2011 beschlossen. Doch mit der Umsetzung ließ man sich bisher Zeit. Jetzt wird es ernst. „Die Bezirke haben verabredet, bis April allen Beschäftigten die neuen Verträge anzubieten“, sagt Jürgen Mularzyk, Leiter der Musikschule Spandau, die mit 120 Beschäftigten allein 2900 Schüler unterrichtet.
Wer das Angebot nicht akzeptiere, müsse gekündigt werden. „Ich muss befürchten, dass wir Lehrer verlieren, die durch Privatunterricht Honorare in ganz anderen Dimensionen erhalten können“, sagt der Musikschulleiter. Er hoffe sehr, dass die langjährigen Mitarbeiter jetzt nicht aufgeben. Denn für die Schüler sei die Kontinuität wichtig.
Klavierlehrerin Monika Stocksmeier ist tief verunsichert. Die Musikschullehrerin aus Tempelhof unterrichtet seit 25 Jahren klassisches Klavier und leitet mehrere Rock- und Pop-Bands an verschiedenen Berliner Musikschulen. „Ich möchte auf keinen Fall meine Arbeitsstelle verlieren, gleichzeitig aber auch auf keinen Fall dieses Angebot unterzeichnen,“ sagt die Klavierlehrerin.
Wenn Monika Stocksmeier nicht fristgerecht den neuen Vertrag unterschreibt, droht ihr die Kündigung. „Ich fühle eine Wut in mir aufsteigen, die noch lange nicht an ihrem Höhepunkt angekommen ist,“ so die Klavierlehrerin Stocksmeier.