Die Sonne scheint. Sie scheint in ganz Berlin. Und am Kudamm scheint sie besonders kräftig. Jedenfalls ist die Stimmung prächtig: unter den Flaneuren und Touristen und den allermeisten Geschäftsleuten. Denn der Kudamm floriert, wirtschaftlich gesehen. In der AG City wird die Entwicklung als „außerordentlich positiv“ eingeschätzt. „Wir sind glücklich, wie sehr der Kudamm wieder im internationalen Fokus ist, es sind immer mehr internationale Labels zu sehen“, sagt der Vorsitzende Gottfried Kupsch.
Doch nicht nur Mode, Design und Schmuck zieren die Schaufenster, auch was Büroräume angehe, habe sich vieles getan. „Wir hatten eine Zeit lang mehr Leerstand im Bürobereich, auch das hat sich geändert. Und wohnen will man auch am Kudamm“, so Kupsch. „Der Hype ist enorm!“ Die AG City spürt das im eigenen Haus. So sei die Zahl der Mitglieder von rund 150 noch vor zwei Jahren auf inzwischen 280 gestiegen. Kupschs Erklärung klingt nach kleinklein, zeigt aber, das Optik an der Straße der großen Marken und Namen eine gewichtige Rolle spielt. So habe die AG City sich verstärkt um „erhöhte Reinigung, um Pflanzgefäße und positive Eingriffe in Raumgestaltung“ bemüht. „Das wurde von den Geschäftsleuten sehr honoriert und hat auch zu Beitritten geführt.“
„Großartige Stimmung“ am Kudamm
Die Strahlkraft reicht bis über den Boulevard hinaus. Die Centermanagerin des Stilwerks an der Kantstraße spricht sogar von „großartiger Stimmung“. „Der Kudamm macht eine fantastische Entwicklung durch“, sagt Sylvia Nielius. Das gilt wohl auch für das Stilwerk. Zwar nennt sie keine Zahlen zu Umsatz, Gewinn oder Besuchern, doch sie erklärt: „Vor fünf bis sieben Jahren gab es eine Delle, an Kurfürstendamm und der Fasanenstraße gab es viele Wegzüge. Doch seitdem zieht es wieder an. Und wir stehen besser da denn je. Wir sind fast voll vermietet.“
Als das Stilwerk vor 13 Jahren eröffnete, sei das Umfeld eher düster gewesen. Doch inzwischen habe sich viel getan. Dazu gehöre die Designmeile, die im Herbst ins dritte Jahr gehe und viele Händler zusammenfasse, die hochwertige Einrichtungen, Design und Lifestyle anböten. „Wir profitieren von den großen Bauprojekten“, sagt Nielius. Sie meint die Eröffnung des Hotels Waldorf Astoria am östlichen Rand der City West und den Umbau des Bikini-Hauses am Breitscheidplatz. Positiv sei das Beleuchtungsprojekt der Bahnbrücken vom Zoo südwärts, bei dem das Stilwerk sich finanziell beteilige. Dabei werden die bislang abweisend, schmutzig schwarz-grau wirkenden Bahnbrücken an Kantstraße, Hardenberg- und Bleibtreustraße angestrahlt.
Sicherlich könne die Entwicklung noch weiter nach oben streben. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, sagt Nielius, wäre es mehr Laufpublikum vom Kudamm. Bislang steuern viele Kunden das Stilwerk gezielt an – zumeist mit dem Auto, weil es im Haus und in der Nähe Parkhäuser gibt.
Luxusboutiquen ziehen aus Mitte zurück nach Westen
Auch René Grevsmühl, Mitinhaber und Geschäftsführer der Floralen Welten, sieht eine Kehrtwende. „Es geht wieder in Richtung Westen, viele Luxusboutiquen sind aus Mitte von der Friedrichstraße an den Kurfürstendamm zurückgekommen und zusätzlich im KaDeWe vertreten.“ Er nennt Chanel, Hermès und Maurice Lacroix im Haus Cumberland, für den Florale Welten die Dekoration anfertigen. Grevsmühl zufolge liegt das daran, dass der Kurfürstendamm wegen seiner Breite der einzige echte Boulevard sei, der zum Einkaufen einlade und zum Trinken und zum Essen. „Für uns ist die Entwicklung gut“, so Grevsmühl weiter. Der Umsatz sei in den vergangenen Jahren um 20 Prozent gestiegen. „Und das Jahr für Jahr.“
Positiv ist die Einschätzung der allgemeinen Entwicklung am Kurfürstendamm sogar bei jenen, denen wegen Abriss und Neubau oder Kündigung einschneidende Veränderungen in Haus stehen. So hat der letzte Familienbetrieb am Kurfürstendamm, das Fotostudio Urbschat, die Kündigung erhalten. „Unser Mietvertrag läuft noch bis 2019, aber wir schauen uns schon um“, sagt Daniela Urbschat. Die Mietpreise seien exorbitant gestiegen. „Sonst gibt es aber nichts Negatives zu sagen. Die Entwicklung gerade um das Haus Cumberland ist toll.“
Haus Cumberland als neue exklusive Adresse am Kudamm
Martin Woelffer, der Theater und Komödie am Kurfürstendamm leitet, urteilt zum Standort: „Es gibt keinen besseren. Der Kurfürstendamm hat uns geprägt und wir haben den Kurfürstendamm geprägt. Die Straße ist der einzige Boulevard in Deutschland und deswegen auch der einzige Standort für ein Theater am Kurfürstendamm.“
Mit Blick vor die Haustüre findet Woelffer es „toll“, dass der Kudamm immer noch eine beliebte Shopping- und Flaniermeile sei, und dass es mit der Wiedereröffnung des Haus Cumberland „eine neue exklusive Adresse am Kurfürstendamm gibt“. Andererseits sei zu bedauern, dass in den vergangenen 20 Jahren fast alle Kinos geschlossen wurden.
Das Theater am Kurfürstendamm sitzt im Kudamm Karree und ist von Umbauplänen einer irischen Investmentfirma massiv betroffen, genau wie die „Story of Berlin“. Die Firma, die Episoden der Berliner Geschichte anschaulich präsentiert und damit jährlich 230.000 Besucher anzieht, verliert während des Umbaus ihre Räume. Geschäftsführer Axel Bering würde gerne am Kurfürstendamm oder in der Nähe bleiben. „Dass vieles abgerissen wird und Neues entsteht, macht die Straße attraktiv.“ Zu seinen Besuchern zählen vor allem Touristen und Schulklassen, gerade jetzt Mitte März gibt es wieder großes Gedränge vor dem Eingang.
Dichtes Verkehrsnetz als Pluspunkt
Viele Berliner nutzen den Kurfürstendamm mehr als Treffpunkt mit Freunden denn als Kulturort – auch wegen der guten Lage und des dichten Verkehrsnetzes: Es gibt viele Buslinien, U-Bahn-Stationen und – wenngleich gebührenpflichtig – Parkplätze. „Der Kurfürstendamm liegt zentral. Alle meine Freunde können sehr gut herkommen“, sagt Hatice Azadi. Die 31 Jahre alte Psychotherapeutin kauft ihre Taschen, Kleider und Schuhe am liebsten am Kudamm, weil dort das Angebot so vielfältig sei, obwohl sie als Steglitzerin die Schloßstraße direkt vor ihrer Haustüre habe.
Doch nun ist „Talking“ angesagt. Hatice Azadi hat sich mit Hasanito Niyet in einem ihrer Stammcafés, dem Caras verabredet – „aber es hätte auch das Einstein oder das Sets an der Schlüterstraße sein können“. Beide haben zwei der raren Plätze draußen in der Sonne ergattert. Ihre Laune ist bestens trotz winterlichen Minusgraden. Vor ihnen dampft Kaffee, daneben stehen Kuchenstücke, prahlerisch bunt glasiert.
Kudamm-Besuch für viele Touristen ein Muss
Niyet ist Schauspieler, er hat früher bei P&C als Verkäufer und Stylist gearbeitet. Der 37-Jährige kauft sehr gerne am Kurfürstendamm ein. „Das macht mehr Spaß als in einem Einkaufszentrum. Hier geht man von Geschäft zu Geschäft und kommt dazwischen immer wieder an die frische Luft.“ Außerdem, fügt er hinzu, seien die Menschen hier oft besser gekleidet in als in anderen Teilen der Stadt.
Aus München und Hamburg stammen die Studentinnen Julie Prutz und Nora Haas. Sie kennen den Kudamm schon von Klassenfahrten, für sie ist ein Besuch ein Muss. „Anders als in München gibt es hier dicht an dicht teure und günstige Klamotten.“ Mit letzterem hat Julie Prutz sich eingedeckt, im Anschluss wollen die beiden Freunde treffen. „Wir müssen uns beeilen, der Adenauer Platz ist viel weiter weg als wir dachten.“ Der Kudamm ist mehrere Kilometer lang.
Aus Spandau kommt Asya Keskin. Die Fachkosmetikerin trifft sich mit ihrer Schwester Banu Inaler. „Mir gefällt, dass es hier so lebendig ist“, sagt Asya. „Es ist immer etwas los, zu jeder Uhrzeit, die Geschäfte sind direkt beieinander, ich mag den Kaffee, ich mag die Restaurants.“ Ihre Schwester Banu spricht von „hoffnungsvollen Gesichtern“, die man am Kurfürstendamm sehe. „Die meisten Menschen lächeln. Das ist anderswo in Berlin nicht unbedingt so.“