Berliner Start-up

DotHIV will dem Internet eine rote Schleife verpassen

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Sören Kittel

Foto: Amin Akhtar

Die Endung einer Internetseite soll zeigen, wer Aids-Projekte unterstützt. Berlin ist für die Macher als Standort besonders geeignet.

ASDF und JKLÖ – auf diesen Buchstaben liegen die acht Tippfinger in Ruheposition auf der Computertastatur. Von dieser Ausgangslage kann der rechte Zeigefinger das „H“ sehr gut erreichen. Das „I“ kann der rechte Mittelfinger direkt danach ohne Mühe drücken, und das „V“ tippt der linke Zeigefinger, und muss dafür nur etwas nach unten gleiten. Hivhivhiv.

Das tippt sich wirklich ganz schnell, fast noch leichter als „com“, „net“ oder „org“, die sonst international typischen Endungen von Internetseiten. Die Nähe der Buchstaben H, I und V auf der Tastatur zueinander ist natürlich Zufall, aber es könnte dabei helfen, dass vielleicht in naher Zukunft ganz viele Menschen auf der Welt diese drei Buchstaben oft am Computer eintippen, und so Solidarität mit HIV-Erkrankten zeigen.

Es gibt nur ein Problem dabei: HIV ist nicht gerade ein Kürzel, dass man gern eingibt. Es ist die Abkürzung für Humanes Immundefizienz-Virus, das in Deutschland derzeit rund 63.000 Männer, 15.000 Frauen und 200 Kinder in sich tragen. Weltweit sind 34 Millionen Menschen betroffen, die meisten davon in Subsahara-Afrika. Jeden Tag stecken sich mehr an, in Berlin mindestens ein Mensch pro Tag. Nur die Zahl der Todesfälle konnte dank aufwendiger Therapien eingedämmt werden. Doch weil das HI-Virus vor allem über Austausch von Körperflüssigkeiten übertragen wird, ist es auch eine sehr intime Krankheit, eine, über die man nur ungern spricht. Warum sollte sie jemand gern eintippen?

Die drei Buchstaben positiv besetzen

Carolin Silbernagl und ihre Kollegen von dotHIV (für .hiv) in Berlin kennen das Problem, nennen es aber nicht so. Die 31-jährige Projektkoordinatorin sagt: „Das ist unsere größte kommunikative Herausforderung.“ Sie und ihre Mitstreiter von dotHIV wollen, dass die drei Buchstaben positiv besetzt sind, während HIV als Krankheit natürlich weiter negative Assoziationen auslöst – „unheilbar“ etwa.

Die Idee ihres Startups: Wenn 2013 die Internetadresse .hiv an den Start geht, sollen mit dieser Endung viele Unternehmen schnell und einfach zeigen können, dass sie HIV/Aids-Projekte weltweit unterstützen. In den ersten fünf Jahren könnten schon zehn Millionen Euro jährlich zusammenkommen, ein Spendentopf, der drei Mal im Jahr geleert werden soll. „Das Kürzel im Internet soll so etwas werden wie eine digitale rote Schleife“, sagt Silbernagl und meint damit das rote Zeichen, dass sich bisher Menschen ans Abendkleid oder den Anzug heften, um ihre Solidarität mit HIV-positiven Menschen zu zeigen.

Viele spenden, können es aber schwer nach außen tragen

Dieses Zeichen hängt auch übergroß in einer Ecke des Kreuzberger Großraumbüros Social Impact Lab. Zwischen Projekten, die sich mit nachhaltiger Produktion von Nahrung, mit ethischen Standards beim Verkauf oder mit Behindertenwerkstätten beschäftigen, ist so leicht die Büroecke von dotHIV zu erkennen. Silbernagl hat dieses Symbol jetzt seit zwei Jahren ständig um sich, obwohl auch sie, wie die anderen des zehnköpfigen Gründer-Teams von dotHIV, vorher mit dieser Krankheit nichts zu tun hatte.

Auf die Idee zur „digitalen Schleife“ kam Philipp Kafkoulas, ein Mitarbeiter der Hamburger Werbeagentur thjnk, mit seinen Kollegen. Sie wollten eine Kampagne für die Michael Stich Stiftung entwerfen, die sich für den Kampf gegen HIV/Aids einsetzt. Dabei fanden sie heraus, dass die Endung .hiv für das Internet noch nicht belegt ist. Gleichzeitig lernten sie, dass viele Unternehmen zwar für HIV-Projekte spenden, das aber nur schwer nach außen tragen können. Kafkoulas überzeugte Freunde und Bekannte von der Idee – so kam auch Silbernagl zum Team. „Je mehr wir uns damit beschäftigten, um so naheliegender erschien uns die Idee – so dass wir uns schon gewundert haben, dass noch niemand darauf kam.“

google.hiv statt google.de

Inzwischen wird dotHIV auf internationale Konferenzen eingeladen, spricht mit UN-Aids und Bundesgesundheitsministerium. Auch die Deutsche Aids-Hilfe zeigt sich begeistert und ist jetzt der wichtigste inhaltliche Partner für dotHIV. „Ihr Engagement und ihre Offenheit“, sagt Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe, „haben uns sehr beeindruckt und gefreut.“ Sie geben sich gegenseitig Anregungen. „Wenn dotHIV ein Erfolg wird, kann es zu unseren Zielen einiges beitragen – finanziell, aber auch durch Bewusstseinsbildung.“ Die Deutsche Aids-Hilfe, Internetadresse derzeit aidshilfe.de, kann sich selbstverständlich gut vorstellen, auch ein .hiv hinter seine Adresse zu stellen. Genauso einfach dürften sich Pharma-Unternehmen und Schwerpunkt-Arzt-Praxen davon überzeugen lassen. Doch die sind nicht die einzige Zielgruppe von dotHIV.

„Wir wollen Unternehmen erreichen, die sich vielleicht schon ohnehin gegen HIV einsetzen, die das aber bisher nicht kommunizieren können“, sagt Silbernagl. Das ganze könnte dann so funktionieren: Ein Unternehmen wie Google oder der Sportartikel-Hersteller Puma könnten jährlich für 150 Euro eine „.hiv“-Endung erhalten. Wenn Menschen also statt google.de im Internet dann google.hiv eingeben, gelangen sie zwar auf die gleiche Suchmaschinen-Seite, aber außerdem geht eine Mini-Spende aus dem Topf, in den das Unternehmen seine Registrierungsgebühr eingezahlt hat, an ein HIV-Projekt. Die Auswahl des Projekts kann der Internetnutzer bestimmen. Es wäre so auch möglich, lokale Projekte zu unterstützen.

Aids-Prävention und Ansteckung sind in Berlin ausgeprägt

Das zumindest könnte der Deutschen Aids-Hilfe zufolge in Berlin genau richtig sein. „Berlin ist natürlich die Stadt, in der die Strukturen für HIV besonders ausgeprägt sind“, sagt Sprecher Wicht. Er meint damit sowohl Prävention als auch Häufigkeit der Ansteckungen. In diesem Jahr ist die Zahl der Ansteckungen laut Robert-Koch-Institut leicht angestiegen. „Insgesamt aber sind die Infizierungsraten auch in Berlin seit vielen Jahren sehr stabil“, sagt Wicht. Viel wichtiger sei, dass viele HIV-Präventionsprogramme schlecht ausgestattet seien und oft überlaufen, wie Mann-o-Meter am Schöneberger Nollendorfplatz.

Aber es geht eben nicht nur um die gesundheitliche Aufklärung. Auch in Berlin kämpfen HIV-Infizierte gegen Vorurteile. Trotz einem 0-prozentigen Ansteckungsrisiko werden HIV-Infizierte am Arbeitsplatz gemieden, müssen mit Ausgrenzung rechnen oder mit Schwierigkeiten, wenn sie nur einen behandelnden Zahnarzt finden wollen. Da könnte mit Information zur Krankheit etwas verbessert werden. Oder zumindest mit Sichtbarkeit.

Einzige gemeinnützige Top-Level-Adresse

Genau hier will dotHIV ansetzen. Und bisher haben die jungen Gründer damit erst einmal nur Freunde. Es ist die einzige gemeinnützige Top-Level-Adresse, die beim Internet-Lizenzgeber Icann in den USA beantragt wurde. Insgesamt gingen mehr als 1900 Anträge für solche Internetendungen ein. Ob dotHIV erfolgreich war, ist erst Mitte 2013 klar. Es ist die letzte zahlreicher Hürden. „Ungefähr vor einem Jahr“, sagt Silbernagl, „platzte ein für uns sehr wichtiger Förderkredit, und es sah für einen Moment so aus, als würde es doch nichts werden.“ Eine schlimme Zeit für das Team. Die große Idee geriet ins Wanken. Aber im letzten Moment kam dann doch noch die Summe zusammen, eine Berliner und eine Hamburger Bank halfen.

Die Entscheidung, mit dem Projekt nach Berlin zu ziehen, haben sie jedenfalls nicht bereut. „Hier sind einfach die Politiker und Sozialunternehmer, mit denen wir kooperieren wollen“, sagt Silbernagl. Auch sei Berlin inzwischen eine gute Stadt für Startups. Die einzige andere Stadt, die sich ähnlich geeignet hätte, wäre San Francisco gewesen. Silbernagl: „Aber ich habe schon von Anfang an gesagt: ‚Das Ding muss nach Berlin.‘“