Ein gegen HIV eingesetztes Medikament wirkt auch gegen eine besonders aggressive Form des Brustkrebses. Das zeigt eine Studie, die US-Forscher mit Mäusen durchgeführt haben. Bekamen die Tiere das antivirale Mittel Nelfinavir, wuchsen bei ihnen Tumore des sogenannten HER2-positiven Brustkrebses nicht weiter.
Die für diese Wirkung nötige Dosis entspreche derjenigen, die heute bereits bei Aids-Patienten eingesetzt werde. Dies sei damit ein vielversprechender Ansatz gegen diese schwer behandelbare und aggressive Form des Brustkrebses. Das Mittel wirke sogar gegen Krebszellen, die gegen gängige Chemotherapien bereits resistent geworden seien, berichten die Forscher im „Journal of the National Cancer Institute“ (doi: 10.1093/jnci/djs396). „Weil Nelfinavir wenig giftig und sein Verhalten im Körper gut bekannt ist, könnte das Medikament sofort in klinischen Studien mit Brustkrebspatientinnen getestet werden“, schreiben Joong Sup Shim von der Johns Hopkins School of Medicine und seine Kollegen.
Nelfinavir ist ein sogenannter Protease-Inhibitor – eine Substanz, die ein für die Vermehrung des Aids-Virus wichtiges Enzym blockiert. In früheren Studien habe es bereits Hinweise darauf gegeben, dass dieses Mittel auch das Wachstum einiger Krebsformen hemme, berichten die Forscher. Unbekannt blieb aber, ob Nelfinavir auch gegen HER2-positiven Brustkrebs wirke. Bei dieser Tumorform tragen die Krebszellen besonders viele Andockstellen für Wachstumsfaktoren auf ihrer Oberfläche. Dadurch wächst der Tumor schneller und gilt als aggressiver. Bei rund einem Viertel aller Brustkrebspatientinnen sei der Tumor HER2-positiv, schreiben die Wissenschaftler.
Tests mit sieben Krebszell-Linien
Für ihre Studie hatten die Forscher in einer Substanzdatenbank gezielt nach einem Mittel gesucht, das gegen Brustkrebs wirkt. Die rund 200 vielversprechendsten Wirkstoffe testeten die Wissenschaftler in Zellkulturen mit sieben verschiedenen Linien von Brustkrebszellen. Fünf der Substanzen hätten sich als besonders wirksam gegen HER2-positive Krebszellen erwiesen, berichten die Forscher. Am effektivsten sei dabei Nelfinavir gewesen.
In einem Zellkulturtest hemmte das HIV-Medikament sogar das Wachstum therapieresistenter HER2-positiven Zellen, wie die Forscher berichten. Diese Stämme seien gegen das bisher gegen diese Krebsform eingesetzte Antikörper-Präparat Trastuzumab immun und daher nicht mehr damit behandelbar. Nelfinavir habe sich aber gegen diese resistenten Stämme als effektiv erwiesen, weil es einen entscheidenden Stoffwechselprozess an mehreren Stellen hemmte.
Im nächsten Schritt testeten die Wissenschaftler die Wirkung von Nelfinavir an Mäusen, denen menschliche Brustkrebszellen eingepflanzt worden waren. Als Folge entwickelten die Tiere Tumore. Alle Mäuse erhielten anschließend Nelfinavir – entweder als Injektion oder oral. „Beide Darreichungsformen hemmten selektiv das Wachstum der HER2-positiven Brustkrebszellen“, schreiben die Forscher. Zellen ohne solche Andockstellen für Wachstumsfaktoren seien dagegen nicht beeinflusst worden. Das mache das Mittel zu einem vielversprechenden Kandidaten für ein neues, spezifisch gegen den aggressiven Brustkrebs wirksames Chemotherapeutikum. „Diese Entdeckung hat große Bedeutung für die Entwicklung von neuen Antikrebs-Medikamenten aus Nelfinavir und ähnlichen Wirkstoffen“, konstatieren die Forscher.