Exakt 18 Minuten lang beschrieb Klaus Wowereit den Aufschwung. Das Wirtschaftswachstum in Berlin, höher als im Bundesgebiet. Die Gründerhauptstadt und die vielen Start-ups. 40.000 neue Arbeitsplätze in einem Jahr, 10.000 Arbeitslose weniger. Höhere Lohnsteigerung als anderswo in Deutschland, mehr Touristen, 40.000 zusätzliche Einwohner. Der Regierende Bürgermeister bemühte bei der Pressekonferenz zum einjährigen Bestehen der Koalition aus SPD und CDU die ökonomischen Kennzahlen als Ausweis kluger Politik.
Dass seine SPD gar nicht das Wirtschaftsressort verwaltet und dass diese Zuständigkeit noch vor 13 Monaten bei den Linken und zwischendurch bei der zurückgetretenen Sybille von Obernitz lag, schien für Wowereit kein Hinderungsgrund. Es ging darum nachzuweisen, dass der Senat die Ziele des Koalitionsvertrages, „starke Wirtschaft und gute Arbeit“, erfüllt hat. „Wir haben die Trendwende geschafft“, sagte der Regierende Bürgermeister.
Infrastruktur
Zur Infrastruktur erwähnte Wowereit den Bau der U-Bahn-Linie 5, den für März avisierten Baustart der A 100 und diverse Bauvorhaben des Bundes und privater Investoren, die „an die Zukunft dieser Stadt“ glaubten. Der Flughafen sei ein „Rückschlag“, man versuche aber, alle Kräfte zu bündeln, um ihn „zur Eröffnung zu bringen“, so Wowereit.
Soziales
Das dritte Thema des Koalitionsvertrages, „sozialer Zusammenhalt“, kam in Wowereits Bilanz nur kurz vor. Investitionen in Bildung, vor allem Kitas, nannte er dabei. Der Zuzug nach Berlin bringe „neue Herausforderungen“. Es sei nach wie vor schwierig, Langzeitarbeitslose aus ihrer „Lethargie“ zu wecken, so der Senatschef. „Das ist noch ein Knackpunkt.“
Mieten
Es blieb Innensenator Frank Henkel (CDU) überlassen, das erste Mal an diesem Mittag das Wort „Mieten“ zu erwähnen. Der Innensenator dankte auch den beiden Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU, die zum „stabilen Fundament“ des Bündnisses beitrügen. Henkel schrieb sich die Abschaffung des Straßenausbaubeitragsgesetzes auf die Habenseite, das zusätzliche Geld für die Bädersanierung, die Entwicklung des Flughafengeländes in Tegel zu einem Zukunftsort, die Handy-Blockade im Jugendgefängnis, die zusätzlichen Polizisten und den „kontrollierten Neuanfang“ nach den Akten-Schredder- und Kommunikationspannen im Verfassungsschutz. Die Bilanz könne „sich insgesamt sehen lassen“, sagte Henkel.
BER-Debakel und Verfassungsschutz-Skandal
Dass die beiden rot-schwarzen Spitzenleute wegen des Flughafen-Debakels beziehungsweise des Verfassungsschutz-Skandals angeschlagen seien, diesen Eindruck wollte Henkel trotz des müde wirkenden Gesichtsausdrucks seines Partners und zuletzt schlechter Umfragewerte zerstreuen. „Hier geht niemand gebeugt, und niemand muss sich gegenseitig stützen“, sagte Henkel über sich und seinen Koalitionspartner, mit dem er vor Jahresfrist annähernd gleich gekleidet vor die Kameras getreten war. Am Dienstag trug er eine lila gestreifte Krawatte, Wowereit eine rote. „Wir haben gezeigt, dass wir auch Nehmerqualitäten haben“, sagte Henkel. Wowereit rief dazwischen: „Und austeilen können wir auch.“
Konflikt zwischen Senatoren Nußbaum und Müller
Das tat Wowereit auch sogleich, als er nach dem Zerwürfnis zwischen den beiden von der SPD gestellten Senatoren Michael Müller (Stadtentwicklung) und Ulrich Nußbaum (Finanzen) gefragt wurde, das in der SPD inzwischen ernsthafte Sorgen an der Funktionsfähigkeit der Regierung hervorruft. „Ein Austausch ist nicht geplant“, sagte Wowereit. Es gebe natürliche Konflikte zwischen einem Fachressort wie Stadtentwicklung und einem Querschnittsressort wie Finanzen. „Diese Konflikte müssen ausgetragen werden. Notfalls gibt es da Chefgespräche.“
Erst im informellen Gespräch nach der Pressekonferenz räumte Wowereit ein, dass es zwischen beiden auch persönliche Konflikte gebe. Auch dass er selbst mit Müller zerstritten sei, weil dieser sich für einen Wechsel in den Bundestag interessiert haben soll, wies er zurück. „Er macht sein Amt mit Verve“, sagte Wowereit.
Der Vorwurf an Finanzsenator Nußbaum, die von ihm geleitete GmbH diene dem Zweck der Steuerersparnis, empört den Regierenden Bürgermeister. Eigene Vermögensverwaltung sei für Senatoren zulässig, daran sei nichts anrüchig „Wenn wir diese Debatte zulassen, müssen wir uns nicht wundern, dass sich bestimmte Persönlichkeiten nicht mehr im öffentlichen Bereich einsetzen“, schimpfte er.
Henkel hörte zu und gab mit keiner Miene zu erkennen, ob ihm die Zerwürfnisse im SPD-Lager nicht doch ganz gelegen kommen vor der Bundestagswahl.