Der Berliner Senat will die Arbeitszeitkonten der Pädagogen abschaffen. Dagegen regt sich Widerstand, denn man lasse sich „nicht veräppeln“.

Jürgen Austinat wird im Dezember 65 Jahre alt. Er unterrichtet an der Friedensburg-Oberschule in Berlin-Charlottenburg, im Abiturjahrgang derzeit die Leistungskurse Mathe und Physik. Seit Jahren arbeitet er zwei Stunden mehr pro Woche. Damit häuft er sein Arbeitszeitkonto an, damit er früher in Rente gehen kann.

Doch damit soll jetzt Schluss sein. Die geleistete Mehrarbeit der Lehrer soll künftig nicht mehr abgegolten werden – weder durch freie Tage noch mit Geld. Der Senat will die sogenannten Arbeitszeitkonten abschaffen.

Seit 2003 unterrichten alle Lehrer 26 statt 24 Stunden wöchentlich – ohne dafür mehr Gehalt zu bekommen. Der Deal war, dass sie die Überstunden ansparen und dafür eher in Rente gehen können. Künftig sollen die Lehrer zwar weiterhin 26 Stunden arbeiten, freie Tage sollen sie dafür aber nicht mehr erhalten. Nur noch die bisher angehäufte Arbeitszeit sollen sie vor dem Ruhestand ausgleichen können.

Die Lehrer fühlen sich betrogen. Sie haben sich mit der Senatsbildungsverwaltung nun derart überworfen, dass die Bildungsgewerkschaft GEW erklärt, sie stelle alle weiteren Gespräche ein. Die GEW fordert mindestens eine Stunde pro Woche Ermäßigung für alle Lehrer. Doch das lehnte Staatssekretär Mark Rackles (SPD) in den letzten gemeinsamen Gesprächen am Montag ab.

Personalnotstand programmiert

Jürgen Austinat hatte durch die Mehrarbeit in den vergangenen Jahren 39 Tage angespart. „Da ich eine halbe Stelle habe, sind das 78 Tage. Mein Ruhestand würde also schon im März statt im August 2013 beginnen“, sagt Austinat. Immerhin: Für seine bereits gesammelten Tage soll er entschädigt werden – mit Geld oder freien Tagen.

Für seine Schüler wäre es eine Katastrophe, wenn sich der Lehrer kurz vor den Abiturprüfungen verabschieden würde. „Meine Schüler im Stich zu lassen kommt für mich nicht infrage“, sagt Austinat. Er werde sich wohl dafür entscheiden, sich die Tage auszahlen zu lassen. Doch auch dieses Angebot des Senats sei ungerecht. Für 30 geleistete Arbeitstage soll ein Monatsgehalt zurückgezahlt werden. Dabei hat ein Monat nur 22 Arbeitstage, rechnet man die Ferientage dazu, sind es sogar noch weniger. „Eine solche Trickserei ist völlig unnötig“, sagt Jürgen Austinat.

Schon im Koalitionsvertrag hatten SPD und CDU vor einem Jahr beschlossen, die Arbeitszeitkonten zu stoppen. Schließlich könne man es sich nicht leisten, die Lehrer immer früher in den Ruhestand zu schicken, ohne neue dafür einzustellen. Die Schulen würden auf einen massiven Personalnotstand zusteuern. Schon jetzt können die ohnehin knapp ausgestatteten Schulen das vorzeitige Ausscheiden der Ruheständler kaum noch auffangen. Zusätzliche Vertretungskräfte sind dafür nicht vorgesehen. „Das ist ein riesiges Problem“, sagt Paul Schuknecht, Vorsitzender der Berliner Schulleitervereinigung.

Verärgert sind auch Lehrer, die noch einige Berufsjahre vor sich haben. Sie sollen lange Jahre weiter Mehrarbeit leisten, ohne dafür durch einen vorzeitigen Ruhestand entschädigt zu werden. Thomas Weiske, Lehrer für Bautechnik am Knobelsdorff-Oberstufenzentrum, sagt: „Die Kollegen sind stinksauer.“ Es sei doch bekannt, dass der Umgang mit den Schülern schwieriger geworden sei und dass sich die Arbeitsbedingungen insgesamt für die Pädagogen verschärft hätten.

Beleg dafür sei die hohe Zahl der dauerkranken Lehrer. „Zu befürchten ist, dass der Krankenstand durch die versteckte Arbeitszeitverlängerung nun noch weiter wächst“, sagt Thomas Weiske. Tatsächlich ist die Zahl der dauerkranken Lehrer, wie berichtet, in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Insgesamt standen nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung Ende Juni 1448 Pädagogen aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht zum Einsatz in den Schulen zur Verfügung. Das sind mehr als fünf Prozent der 28.000 Berliner Lehrer.

Protestaktionen geplant

Fast die Hälfte von ihnen fällt schon über ein Jahr lang aus. Das Hauptproblem: Die Kollegien sind überaltert, das Durchschnittsalter liegt bei mehr als 50 Jahren. Die dauerkranken Lehrer sind im Durchschnitt 55 Jahre alt. Die Gewerkschaft fordert schon lange eine Stundenentlastung, um den hohen Krankenstand abzubauen.

Handlungsbedarf sieht hier auch die Bildungsverwaltung. Aus einem Schreiben des Staatssekretärs Rackles an den Vorstand der GEW, das aus internen Kreisen bekannt geworden ist, geht hervor, dass es durchaus Vorschläge der Bildungsverwaltung gab, um die Mehrarbeit künftig zumindest teilweise zu kompensieren. Angeboten wurde demnach beispielsweise eine Altersermäßigung für Kollegen, die über 50 Jahre alt sind, oder Entlastung für Lehrer in Brennpunkten durch kleinere Klassen. Auch eine Reduzierung der Pflichtstunden an Grundschulen war im Gespräch.

Doch auf all diese Vorschläge will sich die Gewerkschaft offenbar nicht einlassen. Wenn alle Lehrer mehr arbeiten sollen, müssen auch alle Lehrer etwas dafür bekommen, so die Position der Gewerkschaft. Die Lehrer sind aufgefordert, an die Abgeordneten und die Senatsverwaltung Postkarten zu verschicken mit der Aufschrift „Wir lassen uns nicht veräppeln“. Zudem sollen Unterschriften gesammelt werden.

Welche weiteren Protestaktionen es geben wird, soll jetzt in einer Mitgliederbefragung geklärt werden.