Das Streitobjekt liegt hinter einem Bretterzaun verborgen, an der Ecke Schlesische Straße und Cuvrystraße, in Berlin-Kreuzberg. Eigentlich unzugänglich – aber an zwei, drei Stellen fehlen die Bretter. Und dahinter liegt eine riesige Brache, mit Rasen, Sandhügeln, mit Senken voller Müll, bemalten Hauswänden und einem faszinierenden Blick auf die Spree. Bei schönem Wetter sitzen die Berliner und die Kreuzberger gerne an der Ufermauer. Chillen, Leute beobachten, reden und trinken. Leere Chipstüten und Coladosen zeugen davon, dass schon viele Menschen hier waren.
Dieser ungezähmte Ort schien wie geschaffen für die Ideenschmiede und Denkfabrik, die das BMW Guggenheim Lab sein will. Doch weil die Anwohner und Mitglieder der linken Szene gegen das Projekt protestierten und den Organisatoren sogar Gewalt angedroht wurde, hat die Guggenheim-Stiftung das Vorhaben an diesem Ort abgesagt.
Kritik am Autokonzern
Ein Ort, der auch Anaëlle Perney fasziniert. Die junge Französin lebt seit einem Monat in Berlin. Sie arbeitet ganz in der Nähe, als Consultant für Designer-Firmen, und hat einen Streifzug durch Kreuzberg unternommen. „Eine wilde Gegend“, sagt sie über die Brache. „Ich kann verstehen, dass die Leute hier diese Atmosphäre bewahren wollen.“ Die 23-Jährige zieht ihren Fotoapparat aus der Tasche. Sie will die Atmosphäre einfangen. Auch die Angst vor steigenden Mieten sei ihr verständlich, erzählt sie. Vielleicht, sagt Anaëlle Perney , wäre es besser gewesen, das Guggenheim Lab an einem anderen Standort zu planen.
Kein Verständnis für die Gegner des Labors hat dagegen Pascal Zuta. Er fordert mehr Toleranz und meint, dass niemand in Kreuzberg ausgegrenzt werden dürfe, auch nicht die Macher des BMW Guggenheim Labs. Der 33 Jahre alte Mann ist mit seiner sechs Monate alten Tochter Mikita unterwegs. Er ist Geschäftsführer einer Firma für Online-Spiele in Kreuzberg und kommt auf seinem Arbeitsweg an der Brache vorbei. „Es ist genug Platz für alle da“, sagt der 33-Jährige. Eine neue Attraktion im Kiez fände er gut.
Doch diese Attraktion wird nun anderswo aufgebaut. An welchem Ort – dazu wollen die Verantwortlichen bei Guggenheim noch nichts sagen. Auch zu den Kosten für das Labor gibt es keine Auskunft. „Es hat nichts damit zu tun, dass wir nicht transparent sind“, teilt eine Mitarbeiterin mit. „Aber wir bitten sehr um Verständnis, dass wir keine Auskunft zum finanziellen Rahmen unserer Projekte geben, da wir diese an den Inhalten messen wollen.“ Doch die Grundstückssuche gestaltet sich immer schwieriger. Ob der Eröffnungstermin am 23. Mai noch zu halten ist, ist fraglich. Nun müssen mit den Berliner Behörden neue Absprachen getroffen werden. Auch Anwohner und Initiativen sollen einbezogen werden, denn beim BMW Guggenheim Lab soll es um die Stadt der Zukunft gehen und um das Zusammenleben. Künstler, Architekten und Ingenieure entwickeln Ideen, das Labor soll aber für jedermann offenstehen.
Aber das Konzept kommt nicht bei jedermann an. In der Eckkneipe „Die fette Ecke“, die direkt an der Kreuzung liegt, auf der Schlesische Straße und Cuvrystraße zusammentreffen, spült der Barkeeper an Montagabend Biergläser und wundert sich. Er blickt aus dem Fenster auf die Brachfläche. Von dem Projekt habe er bisher wenig gehört, sagt der Mittdreißiger. Aber müsse das nicht für viele Kreuzberger verdächtig klingen, fragt er: „Ein Rieseninvestor wie BMW lädt die Kiezbewohner dazu ein, mitzugestalten?
Muss es das? Sarah D.* (31) versinkt im hinteren Raum der Bar in einem Sessel, den eine große Schirmlampe in schummriges Licht taucht. Sie spricht von einer kontroversen Diskussion, die es im Kiez gegeben habe. „Eine Gruppe hat gefordert, das komplette Projekt plattzumachen und zu verhindern. Die andere Gruppe wollte das Lab für sich nutzen und eigene Belange einbringen“, sagt die junge Hausfrau und Mutter, die seit mehr als vier Jahren im Wrangelkiez wohnt. Gegenüber von der Brachfläche habe es in einem Ausstellungsraum mehrere Treffen gegeben, bei denen die Anwohner das Für und Wider des Projekts abgewogen hätten. Das Aus des BMW Guggenheim Labs kam für viele völlig überraschend, auch für Sarah D. „Gewaltandrohungen gegen Menschen sind auf keinen Fall in Ordnung. Farbbeutel hingegen finde ich legitim.“
Die Position der 31-Jährigen ist die vieler Anwohner: „Wenn das Projekt entstanden wäre, hätte dies das Grundstück total aufwerten könne, was wiederum die Wohnungspreise anhebt“, sagt die Kreuzbergerin. Und es ist natürlich auch der Kommerz, der bei vielen Kiezbewohnerin so verhasst ist: „Das ist doch nur ein Prestigeprojekt von BMW“, meint die Frau. „Wer wirklich Probleme hat, der geht noch nicht in so ein Lab. Allein die Idee ist völlig absurd, so etwas hier zu bauen.“
Interesse an der Kunst
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich die Bar „Myskiwska“. Ein dunkler Laden, Rockmusik, Stammpublikum aus der linken Szene. Am Tresen entzündet sich ein Streitgespräch. „Gentrifizierung ist doch ein natürlicher Prozess. Und dazu gehört auch ein solches Projekt“, sagt der 50 Jahre alte Wolfgang, der schon vor dem Mauerfall im Kiez lebte. Auch er will seinen Nachnamen nicht nennen. Kreuzberg ändere sich nun mal, schließlich sei man nicht mehr in den 60er-Jahren, sagt er.
Seine Begleitung, Karla (40), widerspricht ihm. „Man kann sich über jedes gekippte Projekt freuen“, sagt die Sozialarbeiterin und zieht einen literarischen Vergleich: „Das ist wie bei der Geschichte von Momo und den grauen Herren.“ Sie zieht an ihrer Zigarette – und die Barfrau, Tanja S.*, schaltet sich ein. Sie hat einen anderen Blick auf das gescheiterte Bauvorhaben. „Einer unserer Inhaber hätte sich über das Projekt gefreut. Er ist kunstinteressiert und hätte gern gesehen, was dort entstanden wäre.“
Vor der Bar ist der Bauzaun aufgebaut, an dem gerade der Terrier von Olaf T.* (41) schnüffelt. Olaf T. wohnt auf der anderen Spreeseite, war bei allen Veranstaltungen gegen das andere in Kreuzberg umstrittene Großprojekt, die „Mediaspree“, mit auf der Straße. Er sei gut in die Szene eingebunden, sagt er. Gewaltandrohungen seien ihm nicht bekannt. „Man muss das Potenzial der Demokratie ausnutzen – so weit es eben geht. Ich spreche nicht von Gewalt gegen Personen.“ Er blickt auf die brache Fläche. Der 41 Jahre alte Mann findet das gut so. „Das ist ja eine große Nische und wenn die wegfällt, das wäre schwer zu verkraften. Die Nische – davon lebt doch Berlin, oder?“
Das Guggenheim-Projekt werden die Kreuzberger also nicht erleben. Dabei war der Wrangelkiez bereits der dritte Standort-Vorschlag für das BMW Guggenheim Lab. Zuerst war eine Brache an der Kastanienallee in Prenzlauer Berg im Gespräch. Eigens deshalb änderte das Bezirksamt Pankow seinen Zeitplan für den Umbau der Straße. Doch auch die Bürgerinitiative, die gegen den Umbau der Kastanienallee protestierte, schaltete sich ein. Deshalb fiel die Wahl auf eine Fläche des Pfefferberg-Geländes, ebenfalls in Prenzlauer Berg. Auch sie wurde aufgegeben – man habe einen besser geeigneten Ort gefunden, hieß es im Januar. Nun ist wieder der Pfefferberg im Gespräch.
*Namen von der Redaktion geändert