Es ist die bislang größte Serie von Brandanschlägen eines Einzeltäters in Berlin: Innerhalb eines Jahres zündete André H. mehr als hundert Autos an - aus Frust über seine Arbeitslosigkeit. Nun steht der 28-Jährige vor Gericht.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn André H. rechtzeitig eine Arbeit bekommen hätte. Möglich wäre es. Die Serie seiner Brandanschläge auf Autos endete, nachdem der 28-Jährige einen Job im Catering-Bereich eines Hotels in Mitte bekam. Aber da wurde schon akribisch gegen ihn ermittelt.
Aufgefallen war er erstmals am 23. August vergangenen Jahres, als im Zusammenhang mit mehreren Brandanschlägen Fotos der Überwachungskameras im nur wenige Schritte entfernten U-Bahnhof Haselhorst ausgewertet wurden. André H.s Gesicht war mehrfach zu sehen. Mit Hilfe dieses Fotos wurde er gesucht und gefunden. Polizisten der Soko „Feuerschein“ stellten fest, dass H. sich häufig an Orten aufhielt, in deren Nähe Autos brannten.
Am Ende wurde der Küchenhelfer observiert. Und vier Wochen, nachdem er die Arbeit in dem Hotel bekam, standen die Polizisten vor seiner Wohnungstür in der Moabiter Tile-Wardenberg-Straße. Er habe schon geahnt, dass nun alles vorbei sei, sagte André H. später zu seinem Anwalt Mirko Röder. Und er hatte bei der Polizei dann auch nicht lange versucht, alles abzustreiten. „Er hatte am Ende sogar Taten zugegeben, für die er noch gar nicht in Betracht gekommen war“, so Röder.
Ab Freitag steht André H. nun wegen schwerer Brandstiftung vor einer Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts. Die Anklage stützt sich auch und vor allem auf sein Geständnis. Vom 7. Juni 2011 bis zum 29. August 2011 hat André H. in verschiedenen Bezirken mindestens 102 Autos angezündet. Das ist die bislang größte Serie von Brandanschlägen auf Autos, die in Berlin ein Einzeltäter verübte: Nicht ganz zufällig vor allem auf Fahrzeuge der Luxusmarken BMW, Mercedes und Audi.
Sein Verteidiger Röder spricht von Frust. „Mein Mandant hat unter seiner Arbeitslosigkeit gelitten und war generell mit den sozialen Verhältnissen unzufrieden.“ Das könne natürlich das Motiv sein, so Röder. „Aber wir machen es uns zu leicht, wenn wir es so mechanisch sehen. Das Problem ist vermutlich viel komplexer.“ Vielleicht komme man in dem Prozess ja durch Zeugenaussagen und das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Hans-Ludwig Kröber der Erklärung näher.
Es gibt nicht den typischen Brandstifter. Aber meist handelt es sich um schwache Persönlichkeiten, die offenen Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen und stattdessen ihre Triumphe durch das heimtückische, gemeingefährliche Zündeln erleben.
Ende Januar verurteilte das Berliner Landgericht einen Zeitungszusteller, der in Prenzlauer Berg in Hausfluren abgestellte Kinderwagen anzündete. Der 29-Jährige wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Maik D. nahm nach eigenen Angaben Unmengen von Drogen, hatte Schulden und arbeitete 14 bis 16 Stunden am Tag: morgens als Zeitungszusteller, nachmittags als Helfer auf dem Bau.
Bei der Polizei sagte er, dass er Hass auf die vielen wohlhabenden Schwaben habe, die jetzt in Prenzlauer Berg wohnen. Eine forensische Psychiaterin sah darin aber nicht den eigentlichen Beweggrund. Sie sprach von „einem sozialen Suizid“. Maik D. sei ein „introvertierter, gehemmter, ängstlicher, zwanghafter Mensch“. Es sei möglich, dass er in die Straftaten „flüchtete“, um sein als schwer erträglich empfundenes Leben nicht mehr weiterführen zu müssen – und Hilfe zu bekommen.
Vergebliche Suche nach Arbeit
Bei André H. indes scheint alles anders zu sein. Zumindest bei oberflächlicher Betrachtung. Er raucht nicht, trinkt nicht und nimmt auch sonst keine Drogen. Er hatte nie eine feste Freundin, keine teuren Hobbys und lebte mit seiner Mutter und einer geistig behinderten Schwester unter ärmlichen Verhältnissen in einer kleinen Wohnung. Seinen Lebensinhalt fand er als Missionsleiter einer mormonischen Gemeinde in Tiergarten. Er war in diese Gemeinde vier Jahre zuvor, ohne etwa von Eltern oder anderen Bezugspersonen gedrängt zu werden, eingetreten. Und er war dort, so heißt es, durchaus beliebt und anerkannt.
Im Gegensatz dazu standen seine Bemühungen auf dem Arbeitsmarkt. Nach einer Ausbildung zum Maler und Lackierer fand er keine Anstellung. Und das ging dann immer so weiter, obwohl er durchaus flexibel war und sich auf anderen Gebieten versuchte: Er absolviert einen Kassiererlehrgang und ein Seminar zum Callcenter-Agenten, arbeitete in einer Malerwerkstatt beim Christlichen Jugenddorfwerk Deutschland. Immer wieder gab es Versuche, Praktika, Mini-Jobs, aber nie eine dauerhafte Anstellung.
Und dennoch kann es kaum ein Grund sein, warum sich der von Medizinern als intellektuell absolut normal eingeschätzte André H. Grillanzünder und ein Feuerzeug kaufte und nächtens loszog, um Autos anzuzünden. Ganz gezielt. Nach seiner Festnahme wurden in seinem Zimmer Zeitungsausschnitte gefunden, in denen über Straftaten, Verhaftungen und auch über Brandanschläge auf Autos berichtet wurde. Einige dieser Berichte dienten ihm als Vorbild, andere beschrieben seine eigenen Taten. Bei der Polizei sagte er, dass er andere Auto-Zündler übertreffen und eine Art Rekord aufstellen wollte. Das ist ihm gelungen. Und seine Taten endeten erst, als er seine Arbeit bekam in dem Hotel.
„Diese Tatsache und dass er vieles von selber eingestanden hat, spricht zwingend für ihn“, betont der Verteidiger Röder. Aber auch dem erfahrenen Anwalt ist klar, dass es André H. kaum vor einer längeren Haftstrafe bewahren wird.