Datenschützer kritisiert Abfrage

Berlins Polizei überprüft 4,2 Millionen Handydaten

| Lesedauer: 5 Minuten
Jens Anker

4,2 Millionen Handydaten hat die Berliner Polizei im Zuge ihrer Ermittlungen gegen Autobrandstifter erfasst. Damit setzte sie bei jedem vierten Fall auf massenhafte Funkkontrolle. Doch ohne Erfolg.

Die Berliner Polizei hat bei der Suche nach Autobrandstiftern in den vergangenen vier Jahren insgesamt 4,2 Millionen Verkehrsdaten von Handygesprächen überprüft. In 960 Fällen kam es dabei zu weiteren Nachforschungen. Allerdings ging den Ermittlern dabei kein einziger Tatverdächtiger ins Netz. Das geht aus dem Bericht an das Abgeordnetenhaus hervor, den die Vizepräsidentin der Polizei, Margarete Koppers, am Montag dem Innenausschuss vorlegte. Demnach hat die Polizei bei fast jedem vierten Autobrand in diesem Zeitraum die Handyverbindungen zur Tatzeit am Tatort überprüft.

Innensenator Frank Henkel (CDU) verteidigte die große Zahl an Datenabfragen. „Alles ist streng nach Recht und Gesetz abgelaufen. Ich vertraue der Justiz“, sagte Henkel am Montag im Innenausschuss. Alle Datenabfragen seien nach einer richterlichen Anordnung erfolgt. Auch die kommissarische Polizeipräsidentin Koppers rechtfertigte die massenhafte Abfrage der Handydaten. „Der Berliner Polizei ist nichts vorzuwerfen“, sagte Koppers. „Wenn der Gesetzgeber die Möglichkeit dazu gibt, darf sich niemand wundern, wenn davon Gebrauch gemacht wird.“

Seit 2008 brannten 1516 Autos

In der vergangenen Woche war ein Fall von massenhafter Datenabfrage bekannt geworden. Nach einem Autobrand an der Rigaer Straße in Friedrichshain hatte die Polizei die Daten von 13 Funkantennen rund um den Tatort abgefragt. Auch hier führte die massenhafte Überprüfung zu keinem Ermittlungsergebnis. Das Verfahren wurde eingestellt. Insgesamt brannten nach Angaben Koppers seit 2008 in Berlin 1516 Autos.

Im vergangenen Jahr nahm die Polizei einen Brandstifter fest, der zugab, 103 Fahrzeuge angezündet zu haben. Der Mann handelte ohne politische Absichten. Bei den abgefragten Handydaten tauchte laut Koppers das Handy des Mannes bei vier abgefragten Taten auf. Weitere Informationen holten die Ermittler nicht ein.

Berlins Datenschützer Otto Dix kritisierte das Vorgehen von Polizei und Justiz. „Es gibt dringenden Reformbedarf“, sagte er. So sei bislang ungeklärt, was mit den Daten von Unbeteiligten erfolge. Nach Angaben der Polizeivizepräsidentin sind 1,7 Millionen Datensätze noch nicht wieder gelöscht. In 15 Fällen leiteten die Berliner Ermittler die Daten an andere Behörden wie das Bundeskriminalamt (BKA) weiter.

Auch die Oppositionsparteien übten scharfe Kritik an der Datenabfrage. „Das ist ein Skandal“, sagte der Innenexperte der Piraten-Fraktion, Christopher Lauer, an den Senat gewandt. „Mich wundert, dass Sie eine so ineffektive Ermittlungsmethode verteidigen.“ Die Linkspartei forderte den Senat auf, die entsprechenden Regelungen durch den Bundestag überprüfen zu lassen. Der Vorsitzende der Linksfraktion, Udo Wolf, zeigte sich „schockiert, dass diese Handyüberwachung anscheinend zu einem Regelinstrument geworden ist“. Die Dimension übersteige seine Vorstellungen.

Die Grünen warfen der Polizei vor, falsche Schwerpunkte zu setzen. Es stelle sich die Frage, ob es angemessen sei, eine derartig arbeits- und personalintensive Ermittlung vorzunehmen, wenn sie zu keinem Ergebnis führe. Gleichzeitig räumten die Grünen ein, dass die Ermittlungsbehörden unter erheblichem öffentlichen Druck standen. CDU und FDP hatte die große Zahl der ungeklärten Brandstiftungen zum Thema im Wahlkampf gemacht.

Die rückwirkende Überprüfung von Handyverbindungen ohne einen konkreten Verdacht ist umstritten. Sie ist im Paragrafen 100g der Strafprozessordnung geregelt. Demnach dürfen die Daten abgefragt werden, wenn es um die Aufklärung einer schweren Straftat geht. Ursprünglich war diese Möglichkeit für den Kampf gegen den Terrorismus gedacht. Später kamen andere Straftaten, wie auch Brandstiftung, hinzu. Im März 2010 kippte das Bundesverfassungsgericht die damalige gesetzliche Regelung, sodass es zu einer neuen Regelung innerhalb der Strafprozessordnung kam.

In Dresden hatte ein Fall massenhafter Datenabfragen im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen Neonazis zu einem politischen Skandal und zum Rücktritt des Polizeipräsidenten geführt. Der Fall sei allerdings nicht mit dem Berliner Vorgehen vergleichbar, weil in Sachsen die Daten offenbar missbräuchlich erhoben wurden, sagte Koppers. In Berlin seien Telefonnummern derjenigen Handys erhoben worden, die rund um die Tatzeit am Tatort aktiv waren. Weder seien Telefonate abgehört, noch inaktive Handys abgefragt worden. Erst wenn mehrere Handynummern an verschiedenen Tatorten registriert waren, holten die Ermittler weitere Informationen über die Besitzer ein.

Keiner der Handybesitzer ist nach Angaben der Polizeivizepräsidentin nachträglich über die Datenabfrage informiert worden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei der Eingriff in die Grundrechte nicht erheblich genug. Das kritisierte Berlins oberster Datenschützer Dix. Nach der Strafprozessordnung können die Ermittlungsbehörden nach seiner Überzeugung nur im Ausnahmefall darauf verzichten. Dieser müsste in jedem einzelnen Fall begründet werden. Dix empfahl dem Senat, sich einer Bundesratsinitiative des Landes Sachsens zur Reform des betreffenden Paragrafen anzuschließen. Innensenator Henkel kündigte an, das in den nächsten Wochen zu prüfen.