Mit den Vereinen von Türken und Arabern haben sie es nicht so. „Die Leute sollen sich lieber im Roten Kreuz engagieren, das ist besser für die Integration“, sagt Raed Saleh. Und Dilek Kolat, deren Mann Kenan Kolat die Geschäfte des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB) führt, legt Wert darauf, dass sie sich nicht im TBB engagiert.
Die beiden Sozialdemokraten aus der Hauptstadt werden in der kommenden Woche aller Voraussicht nach Sprossen auf der Karriereleiter erklimmen, die Politiker mit Migrationshintergrund in Berlin noch nie in einer Regierungskoalition erreicht haben. Der 34 Jahre alte gebürtige Palästinenser Raed Saleh hat beste Chancen, Chef der größten Regierungsfraktion zu werden. Die 44-jährige Dilek Kolat, die im türkischen Kelkit geboren wurde, gilt als sichere Kandidatin für einen Senatorenposten in der künftigen rot-schwarzen Landesregierung.
Für die SPD, die bundesweit mit dem Mangel an vorzeigbaren Zuwanderern in ihrer Partei hadert und darum in ihren Gremien sogar eine Migrantenquote diskutiert, kommt der Aufstieg der Berliner einer Revolution gleich. Von sechs Spitzenjobs, die die SPD in der hauptstädtischen Koalition zu vergeben hat, gehen zwei an Kinder ehemaliger Gastarbeiter.
Natürlich gibt es schon Spitzenpolitiker mit Migrationshintergrund, etwa Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU). Aber der Sohn eines britischen Militärbeamten und einer Deutschen entspricht sicher nicht dem gängigen Klischee, das man mit Migranten allgemein in Verbindung bringt. Fraktionsvorsitzende mit ausländischen Wurzeln wie der Hesse Tarek Al-Wazir, die Berliner Grüne Ramona Pop oder auch der Bundeschef der Grünen, Cem Özdemir, sind zwar auch schon weit aufgestiegen, aber sie üben keine Regierungsämter aus. Landesministerinnen wie die niedersächsische CDU-Frau Aygül Özkan oder die Berliner Ex-Grüne Bilkay Öney, die inzwischen für die SPD im grün-roten Kabinett in Stuttgart sitzt, wurden Integrationsministerinnen von Gnaden eines mächtigen Fürsprechers ihrer Parteien.
Bei Kolat und Saleh ist das etwas anders. Diese Berliner Karrieren sind möglich, weil beide in ihrer politischen Arbeit gerade nicht auf die klassische Einwanderkarte gesetzt haben. Beide werden nicht von mächtigen Altpolitikern erwählt. Kolat und Saleh verkörpern auf ihre Weise beide die von Wowereit und der SPD gern erzählte Geschichte vom Aufstieg aus kleinen Verhältnissen, der gelingen kann, wenn man sich anstrengt und die Umgebung einen nur lässt.
Dilek Kolat ist als Gastarbeiterkind im Berliner Bezirk Neukölln aufgewachsen. Sie kämpfte sich hoch zum Abitur, studierte dann an der Technischen Universität Berlin Wirtschaftsmathematik und machte anschließend Karriere in einer Bank. Raed Saleh wurde im Westjordanland geboren, mit fünf Jahren zog er nach Spandau, wo sein Vater seit 1962 als Gastarbeiter Geld verdiente. Schon während seiner Schulzeit arbeitete Saleh in einem Burger-Restaurant. Weil er sich dort für Kollegen einsetzte, wurde sein Vorgesetzter auf ihn aufmerksam. Saleh stieg auf, wurde Chef von Burger King in Spandaus Altstadt und schaffte es bis zum leitenden Angestellten. 2005 machte er sich selbstständig, gründete mit Freunden eine Medienfirma, die bis heute mit Sitz in einem Loftbüro auf der Havelinsel Eiswerder wächst und gedeiht. „Es ist gut, wenn man nicht abhängig ist von Politik“, sagt Saleh.
Früh engagierten sich beide bei der SPD. Wie so vielen hart arbeitenden Migranten standen ihnen die Sozialdemokraten näher als Konservative oder Grüne. Kolat zog nach einigen Jahren in der Bezirksverordneten-Versammlung Tempelhof-Schöneberg 2001 ins Abgeordnetenhaus ein. Der zehn Jahre jüngere Saleh folgte 2006. Sie stürzte sich ihrem Beruf entsprechend in die Finanzpolitik. Er wurde zum integrationspolitischen Sprecher gewählt.
Die Grundlage für ihren nun anstehenden Karrieresprung legten beide aber mit einer ausgeprägten Basis- und Lobbyarbeit. Beide gehören in die Riege der mächtigen Kreisvorsitzenden in der Berliner SPD, Kolat in Tempelhof-Schöneberg, Saleh in Spandau. Wenn Saleh durch Spandaus Fußgängerzone geht, grüßt ihn gefühlt jeder dritte Passant. Der Mann ist wer in seinem Heimatkiez, wo er im Problemviertel Neustadt aufwuchs. Erst vor Kurzem zog er ins noblere Kladow um.
Saleh und Kolat sind zwar politische Verbündete, persönlich empfinden sie jedoch keine ausgeprägte Sympathie füreinander. Beide haben sich bei den Parteilinken der SPD eingeordnet und gehören als Mitglieder des Sprecherrats der Linken zur Führung des Mehrheitsflügels innerhalb des Landesverbandes. Dabei gehen sie jedoch nicht dogmatisch vor. Er spricht mit allen. Und so kommt es, dass auch Parteirechte die Kandidatur Salehs um den Fraktionsvorsitz unterstützen.
Kolat hat zudem ein Frauennetzwerk geknüpft. Sie ist Kopf des Branitzer Kreises, einer flügelübergreifend agierenden Gruppe von SPD-Fraktions-Frauen. Die Genossinnen haben in den vergangenen Jahren den Druck auf die Männerriege verstärkt, wenn es um die Besetzung von Spitzenjobs ging. Auch Klaus Wowereit weiß, dass er an Kolat nicht vorbeikommt, ohne einen Frauenaufstand zu riskieren. Und sie lässt die Genossen wissen, dass sie keineswegs gewillt sei, sich mit einem Posten als Staatssekretärin zu begnügen. Sie hätte auch die Chance gehabt, nach der Fraktionsspitze zu greifen. Aber nach Absprachen mit den anderen Linken hat sich Kolat entschlossen, in die Exekutive zu gehen. Seit Tagen macht sie einen derart gelösten Eindruck, dass niemand den Erfolg des Strebens bezweifelt, Berlins erste türkischstämmige Senatorin zu werden.
Der arabischstämmige Selfmademan Saleh ist es gewohnt, mit Erfolg Mehrheiten von unten zu organisieren und eigene Machtoptionen durchzusetzen. Er ist auch umtriebig außerhalb des engen Politikparketts. So initiierte er mit anderen „Jede Stimme zählt“, eine symbolhafte Landtagswahl für Berliner ohne deutschen Pass. Und vor vier Jahren startete er als Reaktion auf eine Massenschlägerei unter Jugendlichen in den Spandau Arcaden das Projekt „Stark ohne Gewalt“. Jugendliche laufen seither dort gemeinsam mit Polizeibeamten Streife. Als SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel dem Projekt einen Besuch abstattete, lobte dieser den „Genossen Saleh“. Ein Ritterschlag.