Koalitionsgespräche

Wowereit und Henkel verhandeln auf Augenhöhe

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Gilbert Schomaker
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Letzte Runde der Koalitionsverhandlungen

Vertreter von SPD und CDU in Berlin haben am Dienstag mit den Schlussberatungen ihrer Koalitionsverhandlungen begonnen.

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Rot-Schwarz drückt aufs Tempo: SPD und CDU in Berlin wollen den neuen Senat möglichst schnell arbeitsfähig machen. In den Wochen letzten Wochen haben die Spitzenpolitiker beider Parteien viel Vertrauen zueinander aufgebaut. Die große Koalition in Berlin könnte kaum harmonischer beginnen – so scheint es.

Wenn man Klaus Wowereit in diesen Tagen begegnet, lächelt er. Nicht süffisant, sondern zufrieden. Der Regierende Bürgermeister steht vor seiner dritten Amtszeit. Das Besondere ist der Koalitionspartner: Ausgerechnet Wowereit, eine der treibende Kräfte des Bruchs der großen Koalition, schließt ein Regierungsbündnis mit der CDU. Mit der Partei, von der er im Wahlkampf im Leserforum dieser Zeitung noch gesagt hatte, dass theoretisch auch eine Zusammenarbeit mit ihr möglich sei. „Praktisch kann ich mir Letzteres aber schwer vorstellen“, so Wowereit.

Doch die praktische Arbeit soll nun beginnen. Und das hat im Wesentlichen mit seinem Widerpart in der Union zu tun. Der CDU-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Frank Henkel konnte in den vergangenen Wochen, in denen die Verhandlungskommissionen immer wieder im Roten Rathaus zusammenkamen, so etwas wie Vertrauen schaffen.

Zusammenstoß der Alphatiere

Wie wichtig ein solches Bauchgefühl für Koalitionsverhandlungen ist, zeigen die gescheiterten Gespräche mit den Grünen. Dort trafen mit Fraktionschef Volker Ratzmann und Wowereit zwei politische Alphatiere aufeinander. Noch in der letzten Abgeordnetenhaussitzung vor der Wahl hatten sich Wowereit und Ratzmann beim Thema Weiterbau der A100 ineinander verhakt. Wowereit warnte Ratzmann und die Grünen fast spöttisch, dass der Anzug womöglich doch im Schrank bleiben könne. So sollte es kommen.

Nun wird Henkel in den Regierungsanzug schlüpfen. Das Vertrauen basiert auf Gegenseitigkeit. Denn fast schon verwundert stellen die zwei führenden Politiker beider Parteien fest, dass von den zehn Koalitionsverhandlungen kaum etwas nach draußen drang. Weder hinaus in die jeweiligen Parteiflügel, die Unmut über Kompromisse zurück in die Koalitionsverhandlungen tragen könnten, noch gelangten Informationen über Streitigkeiten, die es ja beispielsweise beim Ausländerwahlrecht gab, an die Öffentlichkeit.

Die Koalitionsverhandlungen liefen in überraschender Harmonie. „Ohne Störfeuer – weder von außen noch von innen“, wie es ein Sozialdemokrat sagt. Zum Teil lag es auch daran, dass die wichtigen Themen nur im kleinen Zirkel besprochen wurden. Die Parteibasis soll schließlich auf einem Parteitag am 21. November über den Koalitionsvertrag von Rot-Schwarz abstimmen.

Bei der SPD hieß es, dass es einen Gewöhnungsprozess an die Union gab. Und auch noch gibt, wenn man Äußerungen von Parlamentariern wahrnimmt, die lauten: „Zusammen mit der CDU zu klatschen – daran müssen wir uns noch gewöhnen“, so eine ranghohe Sozialdemokratin. Denn eigentlich waren die Grünen der Wunschpartner.

Dass nun der Rationalismus siegt, hängt offenbar auch mit der Verhandlungsführung von Frank Henkel zusammen. Denn anders als Wowereit, der sich auch in Einzelfragen in den Verhandlungen teilweise hart zeigte, übernahm Henkel in den Gesprächen im Louise-Schröder-Saal im Roten Rathaus häufig eine abwartende, vermittelnde Rolle. So trat im Bereich der Innenpolitik vor allem die Rechtsexpertin der Fraktion, Cornelia Seibeld, als diejenige auf, die inhaltlich die „Pflöcke“ einschlug. Und weil auch Wowereit weiß, dass ein kleinerer Koalitionspartner Erfolge aufweisen muss, gab es 250 zusätzliche Polizisten, eine längere Aufzeichnungsfrist für Videoüberwachung in der U-Bahn und einen längeren Unterbindungsgewahrsam, beispielsweise für gefährliche Hooligans. So konnte Henkel nach den Verhandlungen auch sagen: „Ich bin mit diesem Tag zufrieden. Wir haben versprochen und gehalten.“

Die Umfragezahlen der vergangenen Wochen deuten darauf hin, dass die große Koalition auch an Zustimmung bei den Berlinern gewinnt. Laut Forsa wollen nun 47 Prozent die große Koalition.

Es ist nicht nur die äußere Erscheinung – häufig kamen beide Spitzenpolitiker im offenen Hemd. Es ist offenbar auch die Chemie, die zwischen den beiden stimmt. Hier der Aufsteiger aus Tempelhof, der es aus einfachen Verhältnissen bis ins Rote Rathaus schaffte. Dort der ehemalige Referent des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, der es erreichte, die zerstrittene Berliner CDU zu einen, und am Ende einen Wahlkampf absolvierte, ohne bei seinem direkten Konkurrenten bleibende Wunden zu hinterlassen.

Natürlich ist es nicht nur das Atmosphärische. „Wir wollen eine Koalition, keine Fusion der beiden Parteien“, sagte Henkel in den vergangenen Wochen immer wieder. Aber die CDU hat – auch zur Verblüffung der SPD – bewiesen, dass sie mit einem Schuss Pragmatismus ohne allzu viel Ideologie die Stadt regieren will. Befürchtungen von einigen Sozialdemokraten, dass die CDU eine Law-and-order-Politik machen wolle oder in der Wirtschaftspolitik die Sale-and-lease-back-Verfahren wieder auf den Koalitionstisch packen würde, bestätigten sich nicht. Selbst bei so aufgeladenen Fragen wie dem Religionsunterricht konnte man noch vor der Schlussrunde eine Einigung erzielen. Es bleibt beim verpflichtenden Ethikunterricht in den weiterführenden Schulen und einem freiwilligen Religionsunterricht.

Respektvoller Umgang

Wie respektvoll miteinander umgegangen wird, zeigt auch die Anrede, die Henkel für Wowereit benutzt: „Der Regierende Bürgermeister hat das Wort“, sagt Henkel, wenn er in einer Pressekonferenz das Wort an Wowereit übergibt. So schafft es Henkel, auf Augenhöhe zu kommen, ohne seinen Gegenüber herabzusetzen. Die Grünen hatten immer nur von Klaus Wowereit gesprochen. Wirtschaftskraft aufbauen, die Zahl der Arbeitsplätze vergrößern und dabei den sozialen Zusammenhalt der Stadt nicht aus den Augen lassen – das sind die Ziele einer SPD-CDU-Koalition. Fünf Jahre will das Bündnis Berlin regieren. Am Mittwoch wollen sie nach einer langen Nachtsitzung sagen, wie das gelingen soll. Die Koalitionsgespräche jedenfalls haben gezeigt, dass eine große Koalition bestehen kann.

Schnelle Regierungsbildung

Regierender Bürgermeister: Klaus Wowereit soll am 24. November zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden. Nach dem kurzen rot-grünen Übergangssenat und zweier Bündnisse mit der Linkspartei wäre die CDU der dritte Koalitionspartner, durch den Wowereit zum Regierungschef wird. Zuvor sollen Parteitage von SPD und CDU am 21. November der Koalition zustimmen.

CDU-Senatoren: Nur zwei Tage nach der Wahl des Regierenden Bürgermeisters will CDU-Chef Frank Henkel seine Senatsmannschaft auf einem kleinen Parteitag vorstellen und bestätigen lassen.

SPD-Senatoren: Klaus Wowereit will seine Senatoren bis zum 30. November benennen und sie dann auf einer Sondersitzung der Fraktion vorstellen.

Neuer Senat: Die neue Landesregierung soll offenbar nicht erst am 8. Dezember, sondern möglicherweise schon auf einer Sondersitzung des Parlaments am 1. oder 2. Dezember, vereidigt werden. Die Politik-Spitzen von SPD und CDU drücken auch aufs Tempo, weil ab dem nächsten Jahr mit einem Nothaushalt regiert werden muss, bis der neue Doppelhaushalt beschlossen ist.