Mehr als zehn Jahre ist Klaus Wowereit nun schon im Amt. Und eigentlich hat der Regierende Bürgermeister schon alles erlebt in Berlin. „Doch das heute hier ist auch ein Novum für mich. Ich freue mich, hier zu sein“, sagt Wowereit. Er ist zu Gast bei den Piraten. Zum ersten Mal treffen die Neulinge im Parlament direkt auf den Regierenden Bürgermeister, der sich anschickt, am Donnerstag wiedergewählt zu werden. Insofern ist Wowereits Auftritt im Abgeordnetenhaus, wo die Piraten ihre zehnte Fraktionssitzung abhalten, nicht nur ein Höflichkeitsbesuch aufgrund einer Einladung, sondern natürlich auch Selbstzweck. Werbung in eigener Sache.
Es sind Tage des Umbruchs für Klaus Wowereit. Am Vorabend hat die eigene Partei den Vertrag für eine Koalition mit der CDU gebilligt. Am Dienstagmorgen findet dann im Roten Rathaus die letzte rot-rote Senatssitzung statt. Die Senatoren der Linken haben eine Torte mitgebracht. „Viel Spass mit den Neuen!“ (mit Doppel-s statt korrekt mit ß geschrieben) ist dort zu lesen. Sie sei sehr süß gewesen, die Torte, berichten Teilnehmer später. Zuckersüß. Von den Dunkelroten geht es dann zu den Orangen. Orange ist die Farbe der Piraten.
"Oberster Pirat der Sozis unter den Piraten"
Die Abgeordneten der Piraten haben gerade mit den Kosten für ein Presseseminar zu tun, als Klaus Wowereit leicht verspätet den Raum 107 betritt. Im virtuellen Raum gibt es erwartungsgemäß sogleich die ersten Botschaften. „Hihi, der oberste Pirat der Sozis unter den Piraten“, twittert Björn Böhning, der den Regierenden Bürgermeister begleitet. Hauptberuflich leitet Böhning das Grundsatzreferat in der Senatskanzlei. Wowereits Vordenker ist auch einer der Hauptakteure, der die SPD-Politik im Netz vertritt. Längst hat der Parteilinke erkannt, dass sich für die Politik neue Kommunikationswege über das Netz eröffnen. Und so zückt Böhning, der sich in den vergangenen Monaten schon so manches Twitter-Duell mit den Piraten geliefert hat, sein Smartphone und arbeitet.
Der Regierende Bürgermeister, dessen Netzaffinität auf einer Skala von 0 bis 100 wohl eher im unteren einstelligen Bereich zu sehen ist, holt dann auch gleich ganz groß aus. 20 Minuten dauern seine Eingangsworte über den Koalitionsvertrag im Großen und Ganzen, über die Mieten, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der sozialen Probleme. Der Fraktionsvorsitzende der Piraten, Andreas Baum, runzelt die Stirn und schaut Christopher Lauer an. Der fasst den Blick als Signal auf und unterbricht Wowereit. Wie lange das noch dauere, will er wissen. „Sonst können wir ja keine Fragen mehr stellen.“ Das sei keine Absicht, antwortet Wowereit, um dann wieder in den monotonen, ermüdenden Vorlesungsstil zu verfallen.
Werbung in eigener Sache
Nach dem Neubau von 30.000 Wohnungen und dem NPD-Verbot versucht es Wowereit mit einem Internetthema. „Wir sind gegen Netzsperren“, so Wowereit. Die Resonanz ist eher verhalten.
„Haha, wir werden episch getrollt“, kommentiert Lauer den Dauervortrag des Senatschefs per Twitter. Der SPD-Abgeordnete Lars Oberg twittert zurück: „Wenn Piraten sich beschweren, dass Wowereit zu lange redet, sollten sie sich mal Fidel Castro einladen.“ Böhning stellt lapidar fest: „Eigentlich total normal hier. Fraktionssitzungen wie überall.“ Die Piraten hören Wowereit zu und schauen immer wieder auf die vor ihnen aufgeklappten Bildschirme. Im Netz läuft ein Livestream von der Fraktionssitzung – das ist nicht so wie bei anderen Fraktionen.
Dreierbündnis kein Thema
In Raum 107 mühen sich die Piraten. Fabio Reinhardt fragt nach der Asylpolitik und dem Problem, dass nun die CDU mit den Ressorts Inneres und Soziales für Flüchtlinge zuständig sei. „Dass wir Soziales abgegeben haben, hat geschmerzt“, sagt Wowereit. Und in der Innenpolitik gebe es schon Unterschiede. Aber er verspricht eine Kontinuität in der Asylpolitik. Dann stellt Christopher Lauer die Bündnisfrage. Statt einer Koalition mit den Konservativen – wäre denn nicht auch ein rot-rot-oranges oder rot-grün-oranges Regierungsbündnis möglich gewesen? Wowereit sagt darauf einen klassischen Satz der Machtpolitik: „Solange eine Zweierkoalition möglich ist, ist ein Dreierbündnis kein Thema.“ Ob ein solches Bündnis überhaupt für die Piraten ein Thema sein könnte, „da weiß ich nicht, ob Sie das schon für sich diskutiert haben“, spielt Wowereit den Ball zurück. „Aber inhaltlich können Bündnisse unterstützt werden.“ Über die Zusammensetzung seines neuen Senats will Wowereit auch bei den Piraten nichts sagen. Wie es aus SPD-Kreisen heißt, hat eine Wunschkandidatin mittlerweile abgesagt. Aber davon redet Wowereit nicht. Erst einmal will er am Donnerstag gewählt werden.
Zum Schluss bedanken sich die Piraten höflich, Wowereit sagt: „Dann kann ich ja jetzt den Kudamm illuminieren gehen.“