Das Straßenausbaubeitragsgesetz wird abgeschafft. Darauf haben sich die künftigen Regierungspartner SPD und CDU kurz vor Schluss ihrer Koalitionsverhandlungen in der letzten Woche geeinigt. Und als wenn es um einen Wettlauf geht, wer die Regelung am schnellsten kippt, hat ausgerechnet die Linksfraktion, die 2006 das Gesetz mit beschloss, nun den Antrag zur Aufhebung des Straßenausbaubeitragsgesetzes ins Parlament eingebracht.
Doch wann und mit welchem genauen Wortlaut das neue Abgeordnetenhaus die Aufhebung des Gesetzes beschließt, ist noch offen. Bis dahin müssen Hausbesitzer und Gewerbetreibende, an deren Grundstücken Fahrbahnen oder Gehwege erneuert wurden, weiter mit deftigen Kostenbescheiden rechnen. Denn bis das Gesetz nicht rechtskräftig aufgehoben ist, gilt es uneingeschränkt weiter. Die für die Kostenberechnungen zuständigen Tiefbauämter sind daran gebunden. Doch nicht alle Tiefbauämter wollen für abgeschlossene Baumaßnahmen noch Beitragsbescheide verschicken, wie eine nicht repräsentative Umfrage von Morgenpost Online ergab.
Keine Bescheide mehr aus Spandau
In Spandau etwa können die betroffenen Anwohner zunächst aufatmen. Der Bezirk verschickt keine neuen Bescheide mehr, wie Baustadtrat Carsten-Michael Röding (CDU) am Freitag sagte. Ob bereits eingeleitete Verfahren – etwa für Anlieger der Hamburger Straße – nun noch beendet werden, ist nach seinen Angaben allerdings offen. „Wir haben keinen Zeitdruck und warten ab, wie die Regelung auf Landesebene im Detail aussehen wird“, sagte Röding. Denkbar sei etwa, dass ein bestimmter Stichtag – möglicherweise auch rückwirkend – gelten könne, ab dem das alte Gesetz nichtig sei. „Neue Tatsachen werden wir bis dahin nicht schaffen“, so der Stadtrat. In Spandau, wie auch in Treptow-Köpenick, hatte sich die Bezirksverordnetenversammlung bereits vor der Wahl dafür ausgesprochen, das umstrittene Gesetz nicht mehr anzuwenden.
Alle laufenden Verfahren zu stoppen – so weit will man im Bezirk Mitte nicht gehen. „Wir können das geltende Recht nicht einfach ignorieren“, sagte Baustadtrat Carsten Spallek (CDU). „Wo wir Gestaltungsspielräume haben, werden wir sie allerdings nutzen.“ So werden in Mitte alle Vorgänge bis auf weiteres nach dem alten Gesetz bearbeitet. „Wir müssen abwarten, welche Stichtage dann im formalen Gesetzgebungsverfahren festgelegt werden“, so Spallek. Der CDU-Stadtrat in Mitte begrüßt die Abschaffung des Gesetzes – weil Einsatz und Nutzen aus seiner Sicht in keinem gesunden Verhältnis stehen. „Die Einnahmen sind überschaubar“, sagte er. „Demgegenüber stehen ein hoher Verwaltungsaufwand und ein hohes Maß an Unverständnis bei den Betroffenen.“
Beim Pankower Stadtrat für öffentliche Ordnung, Jens-Holger Kirchner, stößt die Koalitionsankündigung dagegen auf Kritik. „Das hochverschuldete Land Berlin hängt am Tropf der Finanzzuweisungen anderer Länder und verzichtet freiwillig auf mögliche Einnahmen. Ich bin gespannt, wie die SPD und die CDU das ihren Kollegen in Bayern und Baden-Württemberg erklären werden“, sagte Kirchner. Für sein Tiefbauamt kündigte Kirchner an, das bis zur offiziellen Abschaffung des Gesetzes weiter Beitragsbescheide verschickt werden: „Wir können gar nicht anders. Pankow ist gesetzestreu.“ Insbesondere die Anwohner der Malchower Straße in Heinersdorf müssen bangen, denn für sie sind die Bescheide bereits vorbereitet. „Es geht um 400.000 Euro, die von zwölf Anliegern aufzubringen wären“, sagte Kirchner. Weitere Beitragsverfahren laufen im Bezirksamt Pankow unter anderem noch für Anwohner an der Pasewalker Straße in Französisch-Buchholz, der Blankenburger Straße und der Kastanienallee in Rosenthal.
Für Kirchner ist es mit dem Streichen des Gesetzes allein nicht getan. „Die Einnahmen sind fest eingeplant. Der Senat muss dann auch sagen, wie der Ausfall ausgeglichen wird. Das kann auf keinen Fall zu Lasten anderer Bereiche gehen.“
Angesichts drohender neuer Beitragsbescheide forderte Peter Ohm, Präsident des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN), die rasche Verabschiedung eines Gesetzes zur Aufhebung des Straßenausbaubeitragsgesetzes. „Im Sinne der Gerechtigkeit sollte dieses Gesetz auch eine Regelung zur Rückzahlung bereits gezahlter Ausbaubeiträge enthalten“, sagte Ohm Morgenpost Online. Wenn eine pauschale Regelung nicht möglich sei, könnte eine Einzellfallprüfung verankert werden. So könnte man etwa nachträglich auf Ausbaubeiträge verzichten, wo Fördergelder vorhanden sind.
Rückzahlungen unwahrscheinlich
Bei einem nachträglichen Verzicht auf alle Einzahlungen käme auf das Land Berlin eine relativ geringe Belastung zu. Nach einer Übersicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung haben bisher lediglich vier Bezirke (Mitte, Reinickendorf, Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg) Einnahmen aus Straßenausbaubeiträgen erzielt. 2008 und 2009 zusammen 107.000 Euro. Demgegenüber standen Verwaltungsausgaben von mehr als 4,8 Millionen Euro (2006 bis 2010). Allein 33,5 Planstellen in Bezirksämtern und zwei in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sind mit Mitarbeitern besetzt, die sich als Voll- oder Teilzeitbeschäftigte mit den Erschließungs- und Straßenausbaubeiträgen beschäftigen. Diese Mitarbeiter wären bei einer Aufhebung nicht mehr erforderlich, müssten aber an anderer Stelle in der Verwaltung weiterbeschäftigt werden.
Der CDU-Abgeordnete Mario Czaja dämpfte allerdings die Erwartungen auf eine Rückzahlung. „Beitragsbescheide, die auf Grundlage eines bestehenden Gesetzes ausgefertigt wurden, sind rechtswirksam und können nicht einfach nachträglich aufgehoben werden.“ Anders sei es bei Vorbescheiden, in denen die Anwohner über Ausbaumaßnahmen und Kosten informiert worden sind. „Diese Vorbescheide sind Teil des Bürgerbeteiligungsverfahrens und keine rechtsverbindliche Zahlungsaufforderung“, so Czaja.