Nach den zahlreich gefundenen Brandsätzen in Berlin ist nun der Umgang mit dem neuen Linksextremismus auch Thema in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD.

In einer Woche, in der praktisch jeden Tag irgendwo in Berlin mit Benzin gefüllte und mit einem Zünder bestückte Plastikflaschen an Schienen gefunden werden, erregt auch ein banaler Müllsack Aufmerksamkeit. 18 Brandsätze an neun Tatorten habe die Polizei mittlerweile gefunden, sagt die Bundesanwaltschaft. Doch der letzte Fund am Freitagvormittag erwies sich als harmlos. In dem blauen Plastiksack in einem Versorgungsschacht am S-Bahnhof Poelchaustraße in Marzahn steckte nur alte Arbeitskleidung.

Doch bis es Entwarnung geben konnte, wurde im Berufsverkehr der S-Bahnbetrieb zwischen Springpfuhl und Ahrensfelde zweimal für gut 30 Minuten unterbrochen. Weitere Brandsätze wurden zunächst nicht entdeckt. Die Kontrollen der Bahnstrecken durch Beamte von Bundespolizei, Polizei und Bahn-Sicherheit dauerten aber weiter an.

Der Fern- und Regionalverkehr der Deutschen Bahn hat sich am Freitag wieder normalisiert. „Alle Züge fahren planmäßig“, sagte ein Bahnsprecher am Nachmittag. Das gelte auch für die ICE-Züge von und nach Hamburg. Vor allem auf dieser wichtigen Schnellverbindung war es seit Montag zu erheblichen Verspätungen gekommen, weil die Züge nach einem Anschlag nahe dem brandenburgischen Finkenkrug (Havelland) über Wittenberge umgeleitet werden mussten. Durch den Brand in einem Kabelschacht waren Signal- und Steuerungsleitungen zerstört worden. Auch im Regionalverkehr im Nordwesten Berlins war es dadurch zu Verspätungen, Ausfällen und Umleitungen gekommen. Durch weitere versuchte Anschläge war zudem immer wieder der Bahnverkehr in und um Berlin gestört worden.

Laut einem Bahnsprecher waren seit Montag in Berlin und Brandenburg insgesamt 1800 Züge von Verspätungen, Umleitungen oder Ausfällen betroffen. Die Gesamtverspätung summierte sich auf 50.000 Minuten. 350 Züge – vor allem des Fernverkehrs nach Hamburg und Hannover – wurden umgeleitet. 150 Nahverkehrszüge fielen komplett aus. Die Störungen hatten auch bundesweit Auswirkungen auf den Fernverkehr der Deutschen Bahn. Der entstandene Schaden für das Unternehmen liege im Millionenbereich, so der Sprecher.

S-Bahn weiter betroffen

Die Fahrgäste der Berliner S-Bahn mussten am Freitag noch unter den Spätfolgen der Anschläge leiden. Die Ost-West-Linie S75 (Wartenberg–Spandau) konnte in der Hauptverkehrszeit nur im 20-Minuten-Takt bedient werden. Die sogenannten Verstärkerzüge zwischen Wartenberg und Warschauer Straße fielen aus. Der Grund: Dem krisengeplagten Tochterunternehmen der Deutschen Bahn fehlten die Fahrzeuge für den dichteren Takt, wie ein Sprecher bestätigte. Durch die zahlreichen Sperrungen der vergangenen Tage konnten Züge nicht planmäßig zu Wartungsarbeiten und Sicherheitschecks in die Werkstätten gefahren werden. Statt zuletzt 466 Doppelwagen waren am Freitagmorgen daher nur 450 Fahrzeuge einsatzbereit.

Angesichts der versuchten Brandanschläge ist unterdessen die Diskussion in vollem Gange, wie die Politik künftig mit der Bedrohung aus der linksextremistischen Szene umgehen sollte. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) setzt sich jetzt für eine stärkere Überwachung linksextremistischer Gruppen ein.

Der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt sagt, in der linksextremistischen Szene seien zu wenige verdeckte Ermittler im Einsatz. An diesen Spezialisten fehle es der Polizei sowohl im Bund wie in den Ländern, so Wendt. Es erfordere aber Zeit und mehr Geld, um eine entsprechende Ausbildung zu vermitteln. Die eingeschleusten Ermittler müssten außerdem befugt sein, sich zum Schein an szenetypischen Straftaten zu beteiligen, um deren Legende glaubhaft zu erhalten. Ansonsten bliebe deren Einsatz ein „stumpfes Schwert“, so der Gewerkschafter.

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) reagierte auf diese Forderung gelassen. „Für die Berliner Sicherheitsbehörde gilt generell, dass alle möglichen, rechtlich zulässigen Maßnahmen ausgeschöpft werden, auch im Bereich Linksextremismus“, sagte seine Sprecherin Nicola Rothermel-Paris. Für Präventionsmaßnahmen im Bereich der Bahnanlagen sei auch nicht der Berliner sondern der Bundesverfassungsschutz beziehungsweise das Bundeskriminalamt zuständig, ergänzte sie. Insgesamt sei die Berliner Polizei gut ausgestattet. Mit 16.150 Vollzugsbeamten könne man den hauptstadtbedingten Aufgaben und besonderen Lagen gerecht werden.

Thema in Koalitionsverhandlungen

Der Umgang mit dem Linksextremismus ist auch Thema in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD. Am Donnerstag hatte die Arbeitsgruppe zum Bereich innere Sicherheit ihre Arbeit aufgenommen. Die Zusammenarbeit der Innenexperten beider Parteien laufe sehr gut, sagte Andreas Gram, der zur Verhandlungsgruppe der CDU gehört.

Beim Thema Linksextremismus dürften dennoch die Ansichten beider Parteien auseinander gehen. In den vergangenen Tagen wurde bundesweit heftig diskutiert, ob die Berliner Anschlagsversuche als ein beginnender Linksterrorismus zu werten sind. Die SPD hatte entsprechende Äußerungen der Union zurückgewiesen und vor Übertreibung gewarnt. Und auch in der Berliner Landespolitik gehen die Ansichten der Experten, wie nun mit dem Linksextremismus umgegangen werden müsse, auseinander. In den letzten Jahren sei die Bekämpfung des Linksextremismus sträflich vernachlässigt worden, sagte Gram. „Wir müssen uns aber mit der selben Entschlossenheit gegen rechts wie gegen links wenden“, so der CDU-Abgeordnete. Gram regt ebenso wie sein Parteikollege, der Vorsitzende des Innenausschusses Peter Trapp an, die Personal- und Mittelverteilung im Verfassungsschutz zu prüfen und gegebenenfalls neue Prioritäten zu setzen. Außerdem müsse an Schulen mehr über die Gefahren durch Linksextremismus aufgeklärt werden.

SPD-Innenexperte Thomas Kleineidam sieht die Verfassungsschutzbehörden dagegen gut aufgestellt. Auch Projekten gegen Linksextremismus steht er skeptisch gegenüber. „Ich halte es für sinnvoller, in Schulen positiv für die Ideen des Rechtsstaats zu werben“, sagte Kleineidam. In Schülerdebatten stelle er oft fest, dass Wissen fehle – etwa darüber, warum das Gewaltmonopol beim Staat liege. „Wer versteht, warum wir kein Faustrecht mehr haben, weiß unseren Staat mehr zu schätzen“, so Kleineidam.

Bauarbeiten: Fahrgäste der nachfragestärksten Regionalexpresslinie in Berlin und Brandenburg, des RE1 (Magdeburg-Eisenhüttenstadt), müssen sich auf weitere Einschränkungen einstellen. Am Stellwerk in Erkner und an den Gleisen zwischen Pillgram und Frankfurt (Oder) wird von Sonnabend, 18 Uhr, bis Sonntagmittag gearbeitet.

Signalmasten: Ein spektakuläres Schauspiel können am Wochenende Anwohner der Bahnstrecke in Erkner beobachten. Dort werden die Signalmasten für das elektronische Stellwerk per Hubschrauber eingeflogen und an der Trasse aufgestellt. Zwischen den Stationen Berlin-Ostbahnhof und Fangschleuse fahren deshalb keine Züge.

Ersatzverkehr: Wegen Gleisarbeiten fallen auch die Züge zwischen Pillgram und Frankfurt (Oder) aus. Dort fahren ebenso Ersatzbusse wie zwischen Erkner und Fangschleuse. Vom Ostbahnhof bis Erkner müssen Reisende die S-Bahnlinie S3 nutzen. Außerdem fährt vom Ostbahnhof ein Expressbus mit Halt in Fürstenwalde nach Frankfurt.